12/23/14

Wie ein Arzt ohne Fernseher

In diesem Blog bin ich schon des öfteren auf die Vorurteile und irrigen Vorstellung eingegangen, die viele Menschen mit dem Beruf des Schreibens verbinden. Gleich zwei dieser belustigenden Fehlschlüsse durfte ich in den letzten Wochen erleben – beide nicht zum ersten Mal.

Schreiben zu „können”, ist eine Fähigkeit, die ein breites Spektrum an Einfallsreichtum zu beflügeln scheint.
Einerseits umweht den Schreibenden der Hauch des Allwissenden und Allmächtigen, andererseits ist sein (ja „naturgegebenes”) Können ein gutes Argument, um seine Leistung kostenlos in Anspruch zu nehmen. Seine Situation ist dahingehend mit derjenigen eines Arztes vergleichbar, der auf der Straße, im Supermarkt, im Theater oder auf dem Golfplatz gebeten wird, sozusagen zwischen Tür und Angel Wehwehchen zu kurieren, Symptome zu beurteilen oder sogar Ferndiagnosen zu stellen. Ungeachtet der Themenschwerpunkte wird davon ausgegangen, dass es jemandem, der von Berufs wegen schreibt, nicht schwerfallen kann, alles zu retten, was irgendwie textlicher Art ist, und er „mal eben” ohne Weiteres eine Diplomarbeit im Fachbereich Physik oder Rechtswissenschaften zu begutachten, zu lektorieren und idealerweise auf mögliche Plagiatvorwürfe zu prüfen vermag. Schließlich sind Wörter Wörter, und wer damit umgehen kann, so die vorherrschende Meinung, wird das nebenbei auf die Schnelle erledigen können – natürlich kostenlos, denn wenn man Texte liebt, ist es bekanntlich keine Arbeit.
Einen dieser verblüffenden Momente erlebte ich neulich bei einer Bekannten neueren Datums, die die Antwort auf ihre Frage nach meinem Beruf mit der Bemerkung quittierte, es sei schade, dass wir uns nicht ein paar Jahre zuvor kennen gelernt hätten, ich hätte ihr dann bei ihrer Doktorarbeit helfen können. Pikant wird die Anekdote erst, wenn man weiß, dass die junge Dame im Fach Medizin promoviert hat.

Mit einem weiteren und ebenfalls beliebten Vorurteil beglückte mich kurz darauf eine ältere Dame, die spontan, nachdem sie erfahren hatte, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, als erstes anmerkte: „Ach, dann haben Sie ja gar keinen Fernseher!” Auch dieses Bild scheint in den Köpfen fest verankert zu sein. Menschen des Textes und infolgedessen des Buches können sich unmöglich für triviale Dinge interessieren. Sie beziehen ihre Informationen ausschließlich aus den renommiertesten Zeitungen – oder aber sie nehmen von der bodenständigen Wirklichkeit um sich herum keinerlei Kenntnis – so das Klischee. Im Falle dieser konkreten Geschichte habe ich auf eine ausführliche Aufklärung verzichtet, obwohl die Bemerkung mich sehr schmunzeln ließ. Die Dame wäre sicherlich sehr verunsichert gewesen, wenn ich ihr eröffnet hätte, dass ich nicht nur einen Fernseher besitze, sondern bei weitem nicht nur Kultursendungen schaue, dass das Fernsehen für Schreibende sogar ein wichtiges Arbeitsinstrument sein kann, und dass ich oft vor dem Fernseher schreibe.

Amüsant und kennzeichnend ist die Tatsache, dass sich beide Vorstellungen nicht widersprechen, sondern vielmehr ergänzen: Überschätzung und völlig unrealistische Verherrlichung bedingen geradezu die Erwartung einer ständigen und kostenlosen Einsatzbereitschaft – wie eben bei den „Göttern in Weiß”.

12/16/14

Gute Partner

Eine Bekannte fragte mich vor kurzem, warum ich gezielt Kooperationen mit Grafikdesignern suche.
Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Ganz allgemein ausgedrückt ist es natürlich immer angenehm, mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen ein grundsätzliches gegenseitiges Verständnis vorhanden ist.
Grafiker, Typographen, Setzer und Webgestalter leben in ihrer Arbeit den gleichen Ansatz wie ich: die Umsetzung eines ästhetischen Konzepts. Ihr Ziel ist es – wie meins auch –, eine Verbindung zwischen den Bedürfnissen und Wünschen ihres Auftraggebers und ihren eigenen Vorstellungen dessen, was sie als geschmackvoll und angemessen empfinden, zu schaffen. Sie sind wie ich Mittler zwischen Idee, Material und Kunden.

Designer sind sich außerdem in besonderem Maße dessen bewusst, dass zwischen einem Text und seinem Erscheinungsbild oder Vorstellungsrahmen eine enge und geeignete Beziehung vorhanden sein muss, damit ein Projekt als Ganzes gelungen, sinnig und erfolgbringend ist. Sie wissen, dass zwischen Text und Layout eine gegenseitige Abhängigkeit besteht und beide nur dann ihre jeweilige volle Wirkung entfalten können, wenn sie miteinander harmonieren. Es ist nur verständlich: Ein edles Juwel in einer Vitrine kann verzaubern und faszinieren. Eine schöne Frau ist ihrerseits ebenso ein beglückender Anblick. Bringt man beide zusammen, unterstreicht das Schmuckstück die Schönheit der Frau, und die Schönheit der Frau hebt erst die Kostbarkeit des Schmuckstücks hervor. Dies ist in etwa die Beziehung, die Text und Layout im Idealfall eingehen: Durch ihre gemeinsame Inszenierung erfahren sie eine gegenseitige Aufwertung. Und genau wie das falsche Kleid auch ein Supermodel zur Witzfigur auf dem Roten Teppich werden lassen kann, kann das falsche Layout die Wirkung eines guten Textes fast zunichtemachen.
Grafiker wissen das, und so ist der Dialog mit ihnen immer fruchtbar und konstruktiv.

Ein weiterer angenehmer Aspekt einer solchen Zusammenarbeit ist der Zeitfaktor. Designer sind ebenfalls Freie, die also auch kaufmännisch „dieselbe Sprache” sprechen und die üblichen Praktiken und Vertragsbedingungen von Kreativen kennen. Es ist nicht erforderlich, sie langatmig und mühselig über Begriffe wie „Nutzungsrecht” oder „Meilensteinzahlungen” aufzuklären, sie nutzen sie auch für ihre eigenen Aufträge. Es spart Zeit und Nerven.

Mit Gestaltern zusammenzuarbeiten, bedeutet für Schreibende zum einen einen Austausch zwischen eng verwandten Welten, zum anderen die Sicherheit, dass Professionalität und zielgerichtetes Handeln eine entspannte und sinnschaffende Projektabwicklung ermöglichen werden – eine ideale Situation.

12/14/14

Mein Giftschrank

Ein kleiner Balkontisch, der nach einer hartnäckigen Abfolge nicht eintretender Sommer seinen Sinn eingebüßt hatte, wurde im Laufe der Jahre immer mehr zu einer Hilfsablage umfunktioniert, die heute einen festen Platz neben meinem Schreibtisch hat. Zwei Karteikästen mit Blogplänen und Kundenkartei sowie verschiedene, täglich benötigte Hefte und Notizbücher sind so in Reichweite, ohne die ohnehin immer zu knappe Arbeitsfläche einzuengen.

Fast unscheinbar in der unteren rechten Ecke des Tischchens liegt ein schwarzer Notizblock. Dass die Farbe des Einbands so ideal zu Inhalt und Zweck passt, ist zugegebenermaßen reiner Zufall, entbehrt jedoch nicht eines gewissen Humors. Dieses Büchlein ist nämlich mein Giftschrank.
Bevor Missverständnisse entsehen: Es sind darin keinerlei Mordpläne oder -methoden verzeichnet. Tatsächlich enthält es eine Vielzahl von Blogartikeln, Kolumnenentwürfen, Buchideen und Aphorismen. Mittlerweile ist der „Giftschrank” gut gefüllt und würde genug Material für mehrere Blogs bieten. Aber vermutlich wird niemand diese Texte je zu lesen bekommen.

Es ist nicht so, dass ich zu schüchtern wäre, sie preiszugeben, oder dass sie mir peinlich wären. Sie sind absolut jugendfrei und weder persönlicher noch politischer Natur. Sie befassen sich vorwiegend mit Themen des Zeitgeistes, des Alltags in der analogen und digitalen Welt, mit der Beobachtung bestimmter Verhaltensmuster des unkritischen Denkens und mit ihren folgenschweren gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Auswirkungen.
Es klingt harmlos und unverfänglich, und dennoch wäre es ein rechtlich unkalkulierbares Risiko, sie zu veröffentlichen – denn sie könnten gegen eine ganze Reihe deutscher Gesetze verstoßen, die die (so die offizielle Terminologie) „Schranken” der Freien Meinungsäußerung regulieren.

Mein Giftschrank ist ein Ventil, aber durch den selbstverhängten Maulkorb fungiert es nur bedingt als solches. An schlechten Tagen ist der geheime Schatz mehr Last und Frust denn Befreiung.
An diesen Tagen verschließe ich den Notizblock wieder … und träume von New York.

12/7/14

Home Office & Nachbarschaft

Während der Begriff des „Home Office” mittlerweile in aller Munde ist, ist die Arbeit in den eigenen vier Wänden paradoxerweise noch immer alles andere als selbstverständlich und wird nach wie vor als Kuriosum betrachtet – nicht zuletzt von Nachbarn.

Bei der älteren Generation sind Argwohn und Verdacht die ersten üblichen Reaktionen. Wer den ganzen Tag zu Hause ist, kann kein anständiger Mensch sein. Das Missverständnis kann allerdings und meist dank unverhohlener bis bohrender Neugier im allgemeinen schnell aufgeklärt werden, und gerade dann erweisen sich die Klischees, die sich um den Beruf des Schreibens ranken, als ungeheuer hilfreich. Als „Wortvirtuose”, der in der Tat in der Lage ist, mit dieser schweren Kunst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, genießt man von da an sogar ein gewisses Maß an Anerkennung, was ein wenig zum Schmunzeln verführt.
Jüngere Menschen kennen solche Vorurteile zwar nicht mehr, aber auch für sie ist die Situation offenbar nicht alltäglich und sie wird unterschiedlich bewertet. Die Palette erstreckt sich von Neid – Geld verdienen zu können, ohne bei Regen und Schnee das Haus verlassen zu müssen, erscheint als äußerst erstrebenswert – bis Mitleid – ein Leben ohne den täglichen Umgang mit den Kollegen an der Kaffeemaschine können sich viele überhaupt nicht vorstellen.

Unabhängig von der Akzeptanz oder Rezeption dieser für die meisten noch immer ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen ist das Home Office in Wirklichkeit eine sehr fruchtbare Grundlage für angenehme und interessante nachbarschaftliche Beziehungen.
In unserem Haus, in dem die Mieter sehr häufig wechseln, haben wir schon eine Reihe spannender Bekanntschaften machen dürfen – darunter eine sympathische und entwaffnend chaotische junge Familie, eine alleinstehende Dame mit Hang zur öffentlichen Darstellung ihres Sexuallebens, verirrte Nordlichter, heimwehgeplagte Schwaben, trinkfreudige Studenten und viele Pärchen aller Art … Mit einigen ehemaligen Nachbarn pflegen wir heute noch, lange nach ihrem Auszug, Kontakt.

Tatsächlich wird unser Home Office von unseren Nachbarn als Glücksfall betrachtet, und sie genießen es offenkundig: Kein Paket muss an den Absender zurückgeschickt oder vom Postamt abgeholt werden; während der Urlaubszeit ist jemand da, der den Briefkasten regelmäßig leert, die Blumen gießt oder die Katzen füttert; niemand muss an einem Arbeitstag zu Hause bleiben, weil Handwerker oder Schornsteinfeger ihren Besuch angekündigt haben.
So haben wir unsererseits die abwegigsten Geschichten erlebt: Wir wurden einmal vom Flugzeug aus angerufen und gebeten, eine vergessene Kaffeemaschine auszuschalten; ein anderes Mal mussten wir Briefe mit langersehnten Prüfungsergebnissen öffnen und am Telefon vorlesen.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, so unfreiwillig in das Privatleben Anderer eindringen zu müssen, so hat dieses besondere nachbarschaftliche Verhältnis einen sehr schönen Aspekt. Ob wir eine ungeduldig erwartete Bestellung, ein bunt dekoriertes Überraschungspäckchen, einen abgegebenen Blumenstrauß überreichen oder einen für einen Tag hinterlegten Schlüssel zurückgeben – wir bekommen jedes Mal, wenn wir die Tür öffnen, das Geschenk eines aufrichtigen Lächelns. Manchmal – so gestern am Nikolaustag – ist auch ein süßes Dankeschön dabei.

07/1/14

Die Bezeichnung „Textkünstlerin“

Eine gute Freundin zeigte sich neulich darüber überrascht, dass ich auf meiner Website als Berufsbezeichnung nunmehr „Textkünstlerin“ eingetragen habe. Sie schickte sich schon an, mich für ein ganz atypisches und möglicherweise neu entdecktes Selbstwertgefühl zu loben – vorschnell und ungerechtfertigterweise allerdings, denn es handelt sich dabei um eine sehr pragmatische und offen gestanden ungeliebte Entscheidung und den Versuch, Klarheit zu schaffen.

Als ich das Projekt „TextLoft“ ins Leben rief, ging es vor allem darum, Texten und Textkäufern einen Raum zu geben, in dem die ästhetischen Werte, also die Schönheit des Produkts „Text“, im Vordergrund stehen. Was für mich ganz selbstverständlich ist, muss für andere aber nicht notwendigerweise einleuchtend sein – erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass ich damit einen sehr eigenwilligen und im deutschen Sprachraum erstmaligen Weg gehe.
Eine Berufsbezeichnung ist nichts an sich Wichtiges, sie ist nur ein Wort. Nichtsdestotrotz kann sie hilfreich sein, um eine bestimmte Art von Leistung von anderen, mit ihr eng verwandten, abzugrenzen und das eigene Selbstverständnis in kurzer und prägnanter Form darzulegen.
Ich bin nicht Schriftstellerin, denn ich schreibe und veröffentliche nichts, was annähernd literarischen Kriterien entspräche.
Ich bin auch nicht Autorin – auch wenn ich in der Vergangenheit an einigen Publikationen mitgearbeitet habe. Dass ich Kriminalromane schreibe, ist eine Freizeitbeschäftigung, die nichts mit einer bezahlten Tätigkeit zu tun hat.
Ich bin auch nicht Texterin, Copywriter oder Werbetexterin. Ich entwickle keine Claims und schreibe nicht nach Vorgaben und einer kurzen Einarbeitungszeit alltagstaugliche Texte zu jedem beliebigen Thema.

Für mich ist das Schreiben die Fortsetzung der Innenarchitektur, der Malerei, der Bildhauerei, der Fotografie mit anderen Mitteln.

Wenn ich im Auftrag schreibe, dann in meinem eigenen, erkennbaren Stil und innerhalb einer bestimmten Auswahl an Themen, die mit diesem Stil harmonieren. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Maler oder ein Bildhauer gebeten werden, ein Porträt oder eine bestimmte Dekoration anzufertigen. Im fertigen Werk bleibt im Rahmen der Auftragsbeschreibung und der Wünsche des Kunden ihre Handschrift immer präsent, deutlich und unverwechselbar – auch Jahrzehnte später werden das Bild oder die Skulptur mühelos dem Künstler und nicht seinem Auftraggeber zugeordnet. Der Sinn von TextLoft ist es, genau diese Art von Arbeiten zu erschaffen, und in dieser Hinsicht ist mein Ansatz kein primär kaufmännischer, sondern ein künstlerischer – sei es als Artketing für Unternehmen oder als Texte für Künstler oder Kunst- und Kulturorganisationen oder in meiner Eigenschaft als Kunstschriftstellerin.

Dass ich mich also als Textkünstlerin bezeichne, ist zum einen nur ein Wort, weil Berufsbezeichnungen in einer positionssüchtigen Welt nur einmal verlangt und erwartet werden. Im Inhalt ist diese Bezeichnung wiederum vor allem der Ehrlichkeit geschuldet und soll Interessenten helfen, zu verstehen, was ich ihnen anbieten kann und was sie bei mir nicht bekommen. Künstlerische Arbeit ist nämlich auch immer mehr oder weniger genregebunden. Ich schreibe keine Sockenbeschreibungen für einen Versandkatalog, blogge nicht über elektronische Geräte oder Investment. Sehr wohl aber kann ich einem Restaurantbesitzer helfen, seine Spezialitäten so vorzustellen, dass der Leser sie zu schmecken meint, Touristen die Stimmen eines ganzen Landes plastisch und greifbar vermitteln. Ich (be)schreibe Stimmungen, lasse Assoziationen entstehen.
Ich tue also genau das, was Künstler eben tun: Augenblicke und Bilder einfangen und teilen. Und ja: Ein Hinweis auf meine Preisvorstellungen ist diese Berufsbezeichnung auch, denn für 0,02 €/Wort arbeite ich nicht.

Außerdem hat meine Arbeit andere Aspekte. Wie auf meiner anderen Website zu sehen ist, arbeite ich auch an Projekten, die weder der Textarbeit im üblichen Sinne noch der Schriftstellerei zuzuordnen wären. Es sind zweckfreie Texte, die als in sich (ab)geschlossen zu betrachten sind, die ausgestellt oder einzeln als „l’art pour l’art“-Miniaturen oder Sammlung erworben werden können, die keine Geschichte erzählen, nicht veröffentlicht werden, sondern die kleinen und schönen Dinge des Lebens einfach festzuhalten versuchen.

So fügt sich ein Mosaik zu einem Begriff zusammen. Wohl fühle ich mich damit zugegebenermaßen ganz und gar nicht. Er klingt merkwürdig und hochtrabend. Vielleicht sogar ein wenig lächerlich. Aber er trifft den Kern der Sache.

06/26/14

Zurück in den Alltag

Erstreckt sich eine Auftragsarbeit über einen längeren Zeitraum und erfordert sie besondere Ausdauer und intensive Konzentration, gehört es zu den schwierigeren Aufgaben, nach ihrem Abschluss physiologisch und gedanklich ins Leben zurückzufinden.
Nachtschichten, vernachlässigte Mahlzeiten und völlige Abgeschiedenheit haben den Biorhythmus durcheinandergebracht, und es entsteht eine Art „Jetlag“. Bis der Körper wieder funktioniert, wie er es sollte, kann es durchaus einige Tage dauern. Die vielgepriesene „Mütze voll Schlaf“ genügt hier nicht. Eine erhöhte Flüssigkeits- und Vitaminzufuhr ist hilfreich – und sei es hauptsächlich subjektiv.
Vor allem aber muss der Geist zur Ruhe kommen, und es muss wieder an die Wirklichkeit angeknüpft werden. Ersteres kann sich manchmal von allein ergeben: Ist man vollkommen erschöpft, fällt es nicht schwer, Abstand zwischen sich, den Texten und dem Kunden zu schaffen. Der Weg zurück zur Normalität kann auch über bodenständige Tätigkeiten führen: Putzen, Aufräumen und zu beseitigende Wäscheberge haben eine recht heilsame Wirkung. Diese kleinen Pflichten sind zwar ein befriedigender und positiver Ausgleich, der das schöne Gefühl eines Neuanfangs vermittelt, allerdings sind sie bei weitem nicht hinreichend, um wieder Fuß im „echten Leben“ zu fassen.
Einige Dinge müssen regelrecht neu erlernt werden. Hierzu gehört die Wahrnehmung der „Welt da draußen“, deren Existenz über Tage oder Wochen weniger verleugnet denn gänzlich vergessen wurde. Es gilt, Nachrichten nachzulesen, sich wieder auf den neuesten Stand dessen zu bringen, was inzwischen passiert ist. Es ist nicht immer ganz leicht, die enge Zelle des Auftrags, die weder Licht noch Töne hereinließ, zu verlassen und sich vor Augen zu führen, dass andere in dieser Zeit, die einem selbst wie ein milchiger Raum jenseits aller Dimensionen vorkommt, tatsächlich unverändert ihren üblichen Beschäftigungen nachgegangen sind.
Paradoxerweise verlängern solche Arbeitsphasen durch ihre Wirklichkeitsferne die Zeit, verformen sie, ziehen sie ins Unendliche auseinander und können dadurch eine Art Entfremdung selbst zu nahestehenden Menschen schaffen. Wie nach einer langen Krankheit, während derer alles still steht, fällt die Rückkehr zur Selbstverständlichkeit, zu den einfachsten Gewohnheiten mitunter schwer, erfordert Geduld und Maß. Die wiedergewonnene Selbstbestimmtheit und die Erleichterung sind zunächst kaum zu genießen – zu kompromisslos und brutal wurden Körper und Geist traktiert, zu irreal scheint in diesen ersten Stunden das Ende der Kasteiung.
Während dieses Übergangs, in dem nichts mehr so wichtig wirkt, wie Erholung und Freiheit, legt sich jeder Sonnenstrahl, der überraschend durchs Fenster tritt, pflegend auf das geschundene Hirn, jedes Vogelgezwitscher führt ein wenig zurück. Zu dem, was sich so Leben nennt.

05/6/14

FAQ für Schreibende

Hat man erst einmal erzählt – wenn auch ungern -, dass man schreibt, gibt es eine Reihe von Fragen, die mit schlafwandlersicher Sicherheit lawinenartig auf einen zukommen: „Seit wann schreibst Du denn?“ „Wie kamst Du zum Schreiben?“ und „Und wieso kannst Du denn so gut schreiben?“.
Diese FAQ kommen vorzugsweise gerade dann ans Licht, wenn man sie nicht gebrauchen kann: auf einer Party; wenn der Verwalter einen neuen Nachbarn vorstellt und sich befleißigt fühlt, gleich darauf hinzuweisen, was die anderen Mieter im Haus beruflich denn so anstellen; wenn Menschen aus dem Viertel, die man zum Beispiel zufällig bei der Gartenarbeit kennengelernt hat und mit denen man ab und zu Small Talk pflegt, irgendwann auffällt, dass man den lieben langen Tag zu Hause verbringt und nicht ersichtlich ist, womit man sein Geld verdient … Es gibt so viele Gelegenheiten dazu. Zu viele.
Selbst dann, wenn die Situation bekannt und bereits erwartet wird, ist sie nicht ohne Weiteres zu meistern. Der Umstand, in den unpassendsten Momenten urplötzlich unter gaffenden bis bewundernden Blicken im Mittelpunkt stehen zu müssen, ist nur ein Aspekt dieser Peinlichkeit. Viel schlimmer ist die Tatsache, dass es darauf keine Antworten gibt –  genauer gesagt keine, die als solche empfunden und akzeptiert würden.

Erfahrungsgemäß haben sich im ersten Fall „Schon immer“ oder „Soweit ich zurückdenken kann“ als für das Gegenüber wenig befriedigend erwiesen. Die nächste Frage folgt auf dem Fuße: „Was meinst Du mit: ‚schon immer’?“ Dann wird es heikel. Erwartet derjenige etwa wirklich Einzelheiten? Die ganze Geschichte in aller Ausführlichkeit? Soll ich vielleicht, damit er Ruhe gibt, erzählen, dass ich schon als Kleinkind Bücher für meine Puppen schrieb und es für meinen Schreibdrang nie genug Papier im Haus geben konnte, und damit mitten auf einer Hochzeit, Beerdigung oder einer Geburtstagsfeier, die nicht einmal meine ist, eine Aufmerksamkeit, die ich auf keinen Fall will, auf mich ziehen? Es ist eher nicht meine Art, und der Satz „Ich habe schon als Kind geschrieben“ ist in den meisten Fällen nachweislich kein kluges Ausweichmanöver, denn ein bohrendes „Ach ja? Was denn? Und wie alt warst Du da?“ lässt nie lange auf sich warten. Das selbstironische und abwinkende „Ach, schon ewig“ hingegen vermag es zwar hie und da, eine gewisse abwehrende Haltung und Distanz zu vermitteln, aber nur bedingt, und dies ist nicht von langer Dauer. Ist der Zeitpunkt schon nicht zu ermitteln, dann muss ja wohl zumindest das „wie und warum“ herauszubekommen sein. Womit die zweite häufig gestellte Frage erreicht ist.

Der Erfolg einer ehrlichen Antwort hängt hier stark vom Bildungsgrad und Feingefühl des jeweiligen Gesprächspartners ab. Ein ernstgemeintes „Ach, ich kann gar nicht anders“ setzt manchmal durchaus den ersehnten Schlusspunkt – sei es, weil derjenige aufgrund seines akademischen Hintergrunds in der Tat nachvollziehen kann, was gemeint ist, sei es, weil er mich dann für eine kauzige und überhebliche Verrückte hält und um sein Leben fürchtend das Weite sucht. Schlimmstenfalls aber geht das Verhör unbeirrt weiter, und minutenlang schaue ich in leere, fragende Augen, bis endlich eingesehen wird, dass von mir wohl keine vernünftige, für alle verständliche und als gültig zu betrachtende Erklärung zu erwarten ist und ich vermutlich der langweiligste oder exzentrischste Mensch – was im Grunde ja das Gleiche ist – auf der Veranstaltung bin. Hilfreicher ist die achselzuckende Variante, es habe sich so ergeben, nach der man nur noch als öde, aber zumindest nicht als seltsam betrachtet wird.

Bei der dritten FAQ ist es ein wenig anders. Kennt derjenige meine Arbeiten nicht, ist das Thema schnell ausgeräumt: Mit der von einem verschmitzten bis charmanten Lächeln unterstrichenen Bemerkung, ich könne es eigentlich gar nicht so gut, täte es aber trotzdem, ist die Sache in der Regel erledigt.
Bezieht sich die Frage konkret auf meine Texte, wird es wieder recht unangenehm. Ganz gleich, für welchen Weg ich mich entscheide – er ist der falsche. Sage ich, dass ich schon immer so schreiben konnte und nicht weiß, warum, umgibt mich die unangenehme Aura des überheblichen Genies, dem alles zufliegt und das unfair spielt, weil die Natur ihm etwas gegeben hat, was andere nicht haben können. Und das mag niemand. Erzähle ich, dass ich schon als Kind Tausende von Büchern gelesen habe und ich darin einen Zusammenhang sehe, gehöre ich in die Schublade der rechthaberischen Streber, der obendrein noch etwas verschweigt, denn so einfach kann die Lösung ja nicht sein. Das mag auch keiner. Erkläre ich, dass ich Dinge schlichtweg gern beobachte und festhalte, so wie andere eben eine Kamera zücken, und ich deswegen das dazu nötige Werkzeug immer wieder und jeden Tag zu verbessern versuche, klingt es abgehoben und reichlich verschroben. Als Begründung kommt es nicht durch und auch nicht gut an. Erzähle ich, dass Schreiben nichts als Handwerk ist, bin ich ein lästiger Oberlehrer oder wahlweise falsch bescheiden. Das ist ebenso wenig vorteilhaft.

Ob mich diese FAQ deutlich in Verlegenheit bringen oder ich sie lediglich als lästig empfinde, hat hauptsächlich mit Tagesform und Laune zu tun. Im Nachhinein muss ich nicht selten schmunzeln und frage mich, ob auch Kunstmaler oder -fotografen ähnliche auch erdulden müssen. Interessanterweise fragt so gut wie niemand, was ich eigentlich so schreibe …

04/29/14

Im Rhythmus der Landschaft

Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung können bekanntlich recht unterschiedlich ausfallen. Letztere kann Korrektiv sein … oder einfach auf gegensätzlichen Vorlieben beruhen.

Aus meiner Sicht plätschert mein Leben gleichmäßig dahin. Es ist nicht besonders aufregend, vielleicht sogar etwas eintönig. Dass ich mit dieser Meinung relativ alleine da stehe, vergesse ich meistens, und erst Fragen oder Bemerkungen in meinem Umfeld erinnern mich daran, dass das, was ich als unspektakulären Alltag und – von den kleinen und großen Katastrophen, die jeden mal heimsuchen können, abgesehen – ereignislose Normalität bezeichnen würde, für andere nichts als Chaos und unzumutbare Achterbahnfahrten ist.
Tatsächlich gleicht ein Schreiberleben in vielerlei Hinsicht einer Autofahrt auf Landstraßen durch die Alpen im Hochsommer. Anstrengende, endlos scheinende Streckenabschnitte zwischen unerbittlich überhitzten Steinwänden, die jeden Lufthauch verschlingen, fordern bei aller Schönheit höchste Wachsamkeit und Konzentration. Gerade dann aber, wenn die Erschöpfung greifbar wird, erbarmt sich die Landschaft. Die haaarnadelartigen Kurven werden seltener, die Straße nach und nach breiter, der Asphalt glatter, die Atmung ruhiger. Malerische Ortsdurchfahrten vermitteln Sicherheit und Geselligkeit. Körper und Geist entspannen und erholen sich, tanken Kraft vor dem nächsten Anstieg.

Dieser ständige und stetige Wechsel zwischen arbeitsreichen und ruhigen Phasen, zwischen Zeiten, in denen nicht einmal Nachtschichten reichen wollen, um Herr der Auftragsflut zu werden, und schreibtischfreien Tagen, gehört für mich zu den angenehmsten Seiten meines Berufs. Ich empfinde ihn als gesund, weil regenerative Abschnitte bewusster und tiefer erlebt werden, der Biorhythmus spürbarer ist und das subjektive und objektive Wohlbefinden individueller gesteuert werden können. Er ist außerdem bereichernd, weil im Tal die Luft frischer, die Farben leuchtender werden. Das Leben scheint vervielfacht, überschwänglich, großzügig, verschwenderisch sogar. Wenn sich dann der nächste Berg am Horizont abzeichnet, wird seine steinerne Übermacht nicht mehr zur Last, sondern zur spannenden Herausforderung.

Nur wenige können offenbar diese Art des Lebens und Arbeitens nachvollziehen, die nicht selten mit mitleidvollen Blicken quittiert wird, als wäre ich in einem Horrortrip gefangen und gezwungen, ihn durchzustehen. Was die meisten als undurchschaubare Belastung betrachten, ist mein Weg in die Freiheit – in den sonnigen Süden.

09/15/12

Technik & Papier

Schreibende leben oft ein wenig „anders“. Es betrifft Arbeitszeiten, Einkommensverhältnisse, soziales Umfeld und vieles mehr. Schreibende denken hier und da vielleicht auch „anders“. In einem Punkt aber unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Menschen auch: in ihrer Beziehung zu technischen Werkzeugen.
Es gibt die „Ganz-und-gar-Begeisterten“. Sie betrachten den Computer als größten Segen seit Entstehung der Schrift, wechseln alle zwei Jahre das Gerät, haben immer das neueste Betriebssystem und die neueste Software, das neueste Mobiltelefon mit Internetzugang, haben seit Jahren keine Briefmarken mehr gekauft, und ihr Terminkalender ist samt Notizbuch längst ausschließlich auf vernetzten elektronischen Gerätschaften zu finden. Interessanterweise und wider Erwarten ist dies weder alters- noch geschlechtsspezifisch. Ihre frühere Arbeitsweise mit Handschrift und/oder Schreibmaschine – so sie der entsprechenden Generation angehören – ziehen sie gern ins Lächerliche und bezeichnen sie als altmodisch, unpraktisch, ineffizient, untragbar. Berühmte Namen in dieser Kategorie sind Elfriede Jelinek und Siri Hustvedt.
Es gibt die „Gewohnheitstiere“, die ihre Schreibinstrumente niemals geändert haben. Peter Handke schreibt mit Bleistift, Paul Auster mit einer Olympia-Schreibmaschine, Günter Grass bleibt bei seiner Olivetti. Mit mangelnder Flexibilität hat diese oberflächlich betrachtet sture Treue wenig zu tun, und sie sollte auch nicht vorschnell als mangelnde Neugier gedeutet werden. In der engen Verbindung zwischen Schreibendem und Text ist das durch die Vertrautheit des Schreibgerätes gesicherte Wohlbefinden ganz entscheidend: Der Geist kann nur dann frei und gelöst arbeiten, wenn das, was er nutzt, ihm so natürlich vorkommt, dass er es vergessen kann. Zwischen der bequemen Gewohnheit des sprichwörtlichen alten Schuhs, animistischer Furcht und Qualitätskontrolle einerseits und natürlicher Verlängerung des eigenen Körpers andererseits wird das Schreibinstrument oder zumindest die Schreibtechnik zum unabdingbaren Teil des Schreibprozesses.
Dazwischen bewegen sich die „Konvertiten“, die entweder aus Vernunft oder Resignation den Wechsel zum Computer vollzogen haben. Sie nutzen ihn als Schreibmaschine, Speicherplatz und Archiv, besitzen aber dennoch einen Terminkalender und ein Adressbuch aus Papier.

Ich gehöre zugegebenermaßen zur dritten Sorte.
Als ich zu schreiben begann, war mein erstes Arbeitsgerät ein schwarzer BIC-Kugelschreiber. Was abgegeben werden musste, wurde noch einmal der Lesbarkeit halber mit dem Füller in blauer Tinte säuberlich und mit großem Zeilenabstand abgeschrieben, bevor ich es der Schreibkraft meines Vertrauens zum Abtippen gab. Gegen Ende des Studiums aber erwies sich diese Praxis immer mehr als zu zeitraubend, und ein Jahr, bevor ich promovierte, schenkte mir mein Großvater eine mechanische Olympia-Reiseschreibmaschine. Ich schrieb meine Texte weiterhin vor, konnte sie aber von da an schneller fertigstellen, da ich nicht mehr auf freie Kapazitäten anderer angewiesen war. Tippen (mit drei Fingern!) erwies sich nicht als meine Lieblingsbeschäftigung: die Finger schmerzten schnell, und letztlich war ich erleichtert, als ich mein Manuskript endlich abgeben durfte. Als sich dann nach einigen Wechselfällen des Schicksals – nicht zuletzt gesundheitlicher Natur – ergab, dass ich von der Ware „Text“ würde leben müssen, wechselte ich zu einer elektrischen Gabriele 9000 mit Korrekturtaste und leichtgängigerer Tastatur. Meine gute mechanische Olympia behielt ich aber aus Sentimentalität und als Ausweichmöglichkeit. Ich habe sie heute noch, wenn auch im Keller.
Von mir aus hätte es dabei bleiben können: Ich schrieb vor, tippte ab, und dieser Komfort eines unsichtbaren Korrekturbands schien mir absolut ausreichend. Doch nach und nach verlangten immer mehr Kunden die Abgabe der Aufträge in Form von Dateien, und ich musste mich dem für mich unverständlichen und überheblichen Diktat des Marktes beugen. Glücklicherweise wurden die Computer immer kleiner, und ich besitze heute nur noch ein Laptop, das als selbstverständliches, wenn auch nicht geliebtes Instrument sein Dasein auf meinem Schreibtisch fristet.

Vor etwa fünf Jahren beschloss ich in einem Anflug konsequenter Sparsamkeit, unnötigen Papierverbrauch abzuschaffen und den Computer nicht nur als Schreibmaschine mit dem Vorteil der beinahen Geräuschlosigkeit und zur Speicherung von Aufträgen zu nutzen, sondern auch meine bis dahin auf Papier in entsprechenden Büchern stattfindenden Buchhaltung, Kunden- und Auftragsverwaltung direkt am Computer vorzunehmen.
Glücklich wurde ich damit nicht und habe in diesem Jahr beschlossen, viele Dinge wieder auf Papier umzustellen. Es ist für mich effizienter und beruhigender.

Zunächst gibt es nichts Sichereres als Papier: Ich muss mich nicht mehrmals am Tag ängstlich fragen, ob ich wirklich genug Backups und andere Sicherheitskopien gemacht habe. Eine in ein Heft mit Kugelschreiber geschriebene Information bleibt dort für alle Zeiten geschrieben, es sei denn, das Haus würde komplett abbrennen – Kugelschreiber widersteht sogar der Wirkung von Wasser und der meisten Chemikalien.
Papier ist auch deshalb ein Sicherheitsfaktor, weil es menschliches Versagen zu einem viel größeren Teil ausschließt. Natürlich ist es auch möglich, sich auf Papier zu verschreiben. Allerdings geschieht es aber seltener, und ein Fehler wird auch schneller während des Schreibvorgangs selbst bemerkt. Zahlendreher etwa sind unwahrscheinlicher. Zudem schließt Papier alle Fehler aus, die sich aus tückischen Fehlerquellen ergeben. Wer hat nicht schon in einem Text an beliebiger Stelle die Buchstaben „dc“ eingefügt, als er die Datei schließen wollte?
Papier spart Zeit. Auch wenn es das Tippen ermöglicht, in kürzerer Zeit größere Textmengen zu erfassen, ist der Zeitgewinn in der Tat illusorisch: Nicht nur die Zeit für das Sichern der Dateien, das Kopieren auf mehrere Sticks und Festplatten muss hinzugerechnet werden, sondern es müssen auch die „Zwischenereignisse“ berücksichtigt werden. Fragt ein Programm nach Bearbeiten einer Datei, ob man die vorgenommenen Änderungen speichern möchte, während man selbst der Meinung ist, man hätte es getan, muss in mühsamer Kleinarbeit geprüft werden, was die angesprochene Änderung sein soll, ob sie gewollt war oder aus Versehen geschehen ist – möglicherweise, um festzustellen, dass nur ein Druckvorgang gemeint ist, der nichts mit dem tatsächlichen Inhalt zu tun hat. Nach einem Eintrag in ein Papierbuch wird das Buch ohne Zweifel und ohne zeitraubende Kontrolle einfach geschlossen.
Papier ist wirtschaftlicher. Wer wirklich verantwortungsbewusst mit den auf dem Computer gespeicherten Daten umgehen will, muss sie zusätzlich auf USB-Sticks und mehreren inhaltsgleichen externen Festplatten archivieren, damit sie auch wieder zugänglich werden, wenn der Computer eines schlechten Tages beschließen sollte, zu seinen Ahnen zu gehen. Zur Sicherheit empfiehlt es sich ohnehin, wirklich wichtige Dinge zudem auszudrucken. Dies gilt zum Beispiel für steuerlich relevante Unterlagen, die dem Gesetz nach „jederzeit wieder auf Papier lesbar gemacht werden können müssen“, wie mein Steuerberater es ausdrückt. Den teuren Umweg über mehrere Speichermedien und den Papierausdruck kann man sich also getrost sparen, indem/wenn man direkt mit altertümlichen Methoden arbeitet.

Mittlerweile habe ich schon vieles auf Papier zurückumgestellt. Telefonische Anfragen und mündlichen Austausch zu bestimmten Projekten etwa speichere ich nicht mehr als Datei ab, ich notiere sie wieder samt Inhalt der Besprechung in ein Moleskine-Heftchen. Ich genieße die Ruhe und die Sicherheit, die mir meine Heftchen und Bücher geben.
Mit Papier zu arbeiten, ist auch ein Weg, einen Teil des Übermaßes an Verantwortung, das heutzutage immer mehr zu unserem Leben gehört, zu entschärfen. Meine Passwörter kann niemand hacken, denn ich habe sie nicht auf dem Computer. Die Kontaktdaten meiner Kunden sind in einem Papieradressbuch und einem Holzkarteikasten „gespeichert“. Ich kann sie sogar bei Stromausfall anrufen. Alle Informationen, die ich benötige, könnte ich – überspitzt ausgedrückt -, auch im Falle einer wochenlangen weltweiten Panne der Strom- und Internetnetze einsehen. Ein gutes Gefühl.

Mein Computer ist also wieder zu dem geworden, was er einmal war: eine besonders praktische, schnelle und leise Schreibmaschine.

NACHTRAG: Zufällig gerade entdeckt: Der Mythos des papierlosen Büros

03/14/10

Textqualität

Jeder, der ein Auto, eine Couch, einen Anzug kaufen möchte, versteht, was es bedeutet, wenn die Werbung zu dem entsprechenden Objekt seiner Begierde in Begrifflichkeiten der Qualität ausgedrückt wird. Es ist auch nicht schwer zu begreifen. Assoziiert werden dabei sehr fassbare und messbare Daten wie Sicherheit, Langlebigkeit des Materials, Komfort, Funktionalität.

Bezieht sich das Qualitätsversprechen auf weniger materielle Dinge, stellt sich schnell heraus, dass der Kunde mangels konkreter Anhaltspunkte aus dem Alltag regelrecht überfordert ist. Für Texte zum Beispiel gibt es keine Skala, die es ermöglichen würde, Kriterien miteinander zu vergleichen. Erschwerend kommt hinzu, dass der primären Beurteilung von Texten (und oft der einzigen, die überhaupt bekannt ist), der Literaturkritik also, in der breiten Masse der Bevölkerung der Ruf der Subjektivität und der Willkür anhaftet. Negative Erinnerungen aus der Schulzeit, in denen schlechte Pädagogen es nicht vermocht haben, als ungerecht empfundene Noten im Schulaufsatz sinnvoll und nachvollziehbar zu begründen, sind schmerzhafte Narben im Gedächtnis vieler und machen es praktisch unmöglich, zu vermitteln, dass die objektive Beurteilung eines Textes in der Tat durchführbar wäre, wenn man es nur wollte.

Auf der verzweifelten Suche nach einer Möglichkeit, den Begriff „Textqualität“ zu interpretieren, greift der Kunde daher auf andere, ihm bekannte Maßstäbe zurück und reduziert sie im Allgemeinen auf Grammatik, Rechtschreibung und soziale Komponente. Ein guter Text ist demnach frei von Tippfehlern, korrekt orthografiert, weist eine den Regeln entsprechende Interpunktion auf und verzichtet auf Kraftausdrücke oder Beleidigungen. Auf diese Weise wird das, was als Mindestanforderung an einen Text anzusehen wäre, auf einmal zum einzigen Auswahl- und Bewertungskriterium.
Da aber davon auszugehen oder zumindest zu hoffen ist, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen jeder Textdienstleister diese Grundsätze erfüllt, stellt sich die Frage der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Angeboten ungelöst und immer weiter aufs Neue. Im Zweifelsfall wird die Entscheidung durch die Referenzenfrage, durch den Preis oder über den ersten persönlichen Eindruck getroffen.

Für Schreibende, die Wert darauf legen, auf hohem Niveau zu arbeiten, ergibt sich dadurch ein kaum überwindbares Problem: Eine deutliche Positionierung und eine Differenzierung von der sogenannten Konkurrenz wird auch dann mehr als nur schwierig, wenn eben diese Konkurrenz gar keine ist.

Vergleiche aus anderen Bereichen können als eine Art Erste Hilfe-Kasten angesehen werden.
Ein guter Text unterscheidet sich von einem durchschnittlichen Text wie ein Kleid von Dior von C&A-Ware, wie belgische Pralinen von Discounter-Schokolade, wie ein Diamant-Collier von Modeschmuck, wie ein Luxushotel von einer Jugendherberge.
Dieser Wink mit dem Zaunpfahl bietet zumindest einen Vorteil: Er ermöglicht eine sofortige Einordnung des potenziellen Kunden. Wer ihn versteht, wird wahrscheinlich in der Lage sein, mit einigen weiteren Erklärungen an die wirklichen Merkmale der Textqualität herangeführt zu werden. Wer ihn nicht versteht und damit argumentiert, dass er keinen Unterschied zwischen selbst gemahlenem und frisch gebrühtem Espresso einerseits und Instant-Kaffee aus dem Glas andererseits schmecke und dass man somit den Verbraucher nur düpiere, der bei gleichem Produkt für den Markennamen bezahle, darf in Begriffen der Textqualität als beratungsresistent gelten – eine schöne Umschreibung dafür, dass dieser Kunde keinen Geschmack hat und niemals welchen haben wird. Im TextLoft bedeutet dies, dass der Interessent höflich aber dezidiert hinauskomplimentiert wird.

Dabei ist eine Definition von Textqualität recht einfach und besteht aus zwei Aspekten: eine klare und übersichtliche Gliederung, eine differenzierte Sprache.

Eine sinnvolle Gliederung besteht der allgemeinen Meinung entgegen nicht aus den 3 Punkten „Einführung“, „Hauptteil“ und „Schluss“. Dieses mehr hilflose als hilfreiche Konstrukt aus der Schulzeit, das sicherstellen sollte, dass der Schüler niemals vergisst, eine Einleitung zu schreiben, und sein Text in Gottes Namen nicht wie das Hornberger Schießen ausgeht, ist zwar allgemein bekannt, hat mit der wirklichen Textarbeit aber wenig zu tun.

Eine Gliederung soll dem Leser in erster Linie als Reiseführer dienen. Er darf sich an keinem Punkt des Textes fragen müssen, wo er sich gerade befindet und was er dort überhaupt zu suchen hat.
Zudem soll der Aufbau des Gedankengangs mühelos erfasst, verstanden und verinnerlicht werden können. Die Gliederung ist ein Gerüst der Logik.

Der im TextLoft nur zu gern verwendete Vergleich mit Architektur und Innenausstattung mag für die Stammleser dieses Blogs mittlerweile etwas langweilig werden, er verdeutlicht aber sehr genau, nach welchen Kriterien die Gliederung eines Textes beurteilt werden kann und sollte. Sie ist das raum(ein)teilende Element und sollte auch als solches betrachtet werden.
Eine gut geschnittene Wohnung besteht aus klar abgegrenzten Bereichen, die einerseits eine eigene, festgelegte Funktion haben, andererseits die freie Entfaltung des Geschmacks und der Einrichtungsvorstellungen des Einzelnen unterstützen, indem unter anderem Stellflächen ausreichender Größe und viele klare, gerade Linien eine individuelle Möblierung ermöglichen. Diese Maßstäbe lassen sich auch auf eine Gliederung anwenden.

Die Einleitung eines Textes sollte wie die Diele oder der Flur einen einfachen Zugang zum gesamten Haus sowie die Öffnung und Verbindung zu allen anderen Räumen, sprich Kapiteln oder Absätzen, gewährleisten. Ungern betritt man als Erstes die Küche oder das Wohnzimmer, geschweige denn das Schlafzimmer.
Was für ein Haus selbstverständlich ist, sollte für einen Text erst recht grundlegend sein. Unklar, schlecht oder gar nicht gegliederte Texte erkennt man daran, dass weder die Funktion der einzelnen Abschnitte deutlich ist (ist das hier das Kinderzimmer oder der Abstellraum?), noch eine Grundlinie erkennbar ist. Sie verhalten sich bestenfalls wie Durchgangszimmer, in denen eine Abtrennung von Nutzbereichen nur bedingt gegeben ist oder erst mit zahlreichen Hilfsmitteln erreicht werden kann, schlimmstenfalls – ist die Gliederung überhaupt nicht vorhanden – wie ein unaufgeräumter Dachboden, in dem sich alles ungeordnet stapelt, was irgendwann vielleicht nützlich sein könnte – für eine Schnitzeljagd an einem regnerischen Novembertag ganz und gar reizvoll, aber niemand möchte dauerhaft in einem Labyrinth wohnen.

Ebenso wichtig ist der Zuschnitt – also die Form der Räume und ihr Verhältnis zueinander. Es ist kein Zufall, wenn Wohnungen, deren Zimmer in etwa gleich groß und quadratisch sind, auf dem Immobilienmarkt einen höheren Wert haben. Undurchsichtige Strukturen mit vielen Winkeln, engen Bereichen und Hindernissen werden als ungemütlich und unpraktisch empfunden.
In einem Text ist es nicht anders. Die Kapitel und Abschnitte sollten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, die freie Entfaltung des Gedankens ermöglichen und inhaltlich einwandfrei zuzuordnen sein.

Neben dem Aufbau der Wohnung ist die Inneneinrichtung von entscheidender Bedeutung. Ob der Raum eher zweckmäßig mit wahllos aufgestellten, funktionsbezogenen Gegenständen „gefüllt“ oder aber bis ins kleinste Detail feinfühlig dekoriert wird, entscheidet über den ersten Eindruck und bestimmt, ob Bewohner und Besucher sich wohl fühlen werden. Außerdem ist die Einrichtung auch repräsentatives Element und spiegelt die Einstellung, die soziale Stellung und die Vorlieben der Besitzer wider.

Nicht anders verhält es sich mit Text. Hier steht eine differenzierte Sprache für Niveau, Kultiviertheit und Lebensgefühl.
Ein guter Text unterscheidet sich von einem durchschnittlichen oder schlechten Text also nicht dadurch, dass die primitivsten Gebote der Höflichkeit eingehalten werden, und Sprachniveau ist nicht auf den Verzicht auf Rüpeleien beschränkt. Wer Rechtschreibung als Qualitätsmerkmal für einen Text zur Sprache bringt, würde den Immobilienmakler wahrscheinlich fragen, ob in der Wohnung auch wirklich eine Toilette vorhanden ist oder das Haus ein Dach hat.
Vereinfacht ausgedrückt: Sprache darf dann als differenziert aufgefasst werden, wenn Wortwahl und Satzbau ungeachtet des eigenen Geschmacks von einem breiten, kultivierten, anspruchsvollen Wortschatz und einem Sinn für subtile Nuancen und fein schattierte Unterscheidungen in der Synonymik zeugen.

Die Verbindung von Strukturen – dem Grundriss einer Wohnung und der Gliederung eines Textes – und individueller, ausgesuchter Einrichtung – stilvoller Möblierung und Dekoration und gehobenem Sprachniveau – entscheidet bei Immobilien und Text gleichermaßen über den Marktwert. Minimalanforderungen sollten nur für diejenigen eine Rolle spielen, die sich für gewöhnlich mit eben solchen begnügen.

03/7/10

Ein Text ist kein Reinigungsmittel

TextLoft wirbt mit eindeutigen Botschaften. Begriffe wie Exklusivität, Differenziertheit und Individualität stehen im Vordergrund aller PR-Maßnahmen und auch dieses Blog lässt Zweifel gar nicht erst aufkommen. Zahlreiche plastische bis drastische Vergleiche mit namhaften Vertretern der Haute-Couture und des Designs sowie konkrete Anlehnungen an Bereiche der Innenarchitektur machen deutlich, in welcher Welt sich der potenzielle Interessent hier bewegt.

Mag die wiederholte Betonung der Qualitätsmaßstäbe und des Selbstverständnisses des Unternehmens mitunter überheblich, realitätsfremd und nicht zuletzt penetrant anmuten, sie ändert nichts daran, dass auch der Textkunde heutzutage in erster Linie Verbraucher ist und als solcher längst verinnerlichte Verhaltensmuster schlecht ablegen kann. Erstaunlicherweise betrifft dies weniger die Preisverhandlungen, die in den meisten Fällen fair und angemessen verlaufen, oder die Suche nach dem günstigsten Angebot als vielmehr ein grundsätzliches Missverständnis der Ware „Text“.
Während das TextLoft durch Namen, Motto, optisches Erscheinungsbild und erklärte Positionierung eine im deutschen Sprachraum einzigartige Dienstleitung anbietet, die sich weder in Kategorien noch in Brancheneinteilungen ausdrücken lässt, geht aus vielen Anfragen hervor, dass oft weniger ein Luxusprodukt denn eine Allzweckwaffe angestrebt wird. Erzielt werden soll etwas, das sich am besten für die Homepage, verschiedene Flyer, Handzettel und Anschreiben verwenden lässt. All-in-One.

Das Anliegen ist verständlich und hat am seltensten mit ökonomischen Beweggründen zu tun.
Die Werbung zeigt es – wir können heute mit einer einzigen Flasche in der Hand Bad, Küche, Fenster, Fernseher und Möbel mit modernen Oberflächen erfolgreich von Staub und Keimen befreien und sie sogar zugleich zum Glänzen und Duften bringen.
Der Gedanke hat einen Schönheitsfehler: Ein Text ist kein Reinigungsmittel.

Flyer etwa bestehen aus einer Titelseite und fünf beschriebenen Spalten. Das Format impliziert nicht nur eine Begrenzung der Gesamtlänge, es macht auch eine ausgewogene Auf- und Verteilung der Inhalte erforderlich, die nicht nur von der Papierhöhe, sondern auch von der Reihenfolge bedingt wird, in der der Prospekt aufgefaltet und gelesen wird. Ebenso genügt es nicht, für ein Anschreiben an eine präzise Zielgruppe die eher allgemeinen Informationen einer Internet-Präsenz einfach auf Briefpapier einzukopieren. Form und Inhalt sind in der Textarbeit nicht von einander zu trennen, das Medium ist Grundlage und Kontext einer jeden Konzeptentwicklung. Auch die Wahl von Papier, Farben, Abbildungen und Schriftbild gehören zu den Faktoren des Texterfolgs. Genau so wie eine sehr schöne Frau durchaus lächerlich erscheinen kann, wenn sie overdressed ein Flüchtlingslager besucht oder underdressed auf einem offiziellen Empfang auftritt, muss der Text dem Anlass angemessen sein, für den er verwendet wird.

TextLoft bietet Texte jenseits des Alltäglichen an – Unikate und Sammlerstücke, keine für alles taugliche Sprühflasche.

05/18/09

Die Re-Writing-Lüge

Viele Textschaffende bieten eine Leistung an, die als Re-Writing bezeichnet wird. Doch worum handelt es sich genau? Die Antwort ist einfach: um etwas, was es nicht gibt.
Soll ein Text optimiert werden, handelt es sich um eine Lektoratarbeit. Ist er wirklich so schlecht, dass nichts Brauchbares damit anzufangen ist, ohne Tabula rasa zu machen, hilft es nur, die Inhalte als Stichpunkte zu betrachten und einen ganz neuen Text zu schreiben. Dies ist keine rätselhafte, besondere und eigene Leistung, sondern das, was der Texter jeden Tag tut: schreiben.
Wer ein Haus komplett abreißt und auf demselben Grundstück ein völlig neues baut, ist kein Verbesserungshandwerker, sondern ein Architekt, der seiner ganz normalen Aufgabe nachgeht, und niemand redet hier von Re-Building.

Dass der Begriff von Textarbeitern gern benutzt wird, um den Preis für eine komplexe und zeitintensive Lektoratleistung in die Höhe zu treiben, ist nachvollziehbar. Und was der Textdienstleister kann, beherrscht der Kunde wiederum schon lange – gibt er doch vor, einen fast fertigen Text vorgelegt zu haben, auch wenn nichts davon zu verwenden war.

Vergleicht man hier erneut die Textarbeit mit der Baubranche, käme das Re-Writing in etwa dem Entkernen gleich.
Eine solche Sanierungsmaßnahme mag aus wirtschaftlicher Sicht für den Bauherrn durchaus legitim sein: Der Gesamtabriss wird gespart, es muss kein Architekt beauftragt werden. Dass es sich um eine aus der (finanziellen) Not geborene Lösung, um einen Kompromiss handelt, dürfte ebenso klar sein – und meist haben die vier Wände, die man zu retten versucht, um den ökonomischen Schaden möglichst klein zu halten, selbst schon lange nicht mehr die Qualität, die ein Neubau aufweisen würde. Mit ihren Mängeln wird man leben müssen und kann nur versuchen, sie einzudämmen. Es geht hier um ein „gerade noch tauglich“, um eine letzte Rettungsaktion, die sich auch schnell als Milchmädchenrechnung erweisen kann. Ganz gleich, wie gut das Ergebnis letztlich sein mag, es handelt sich nicht um ein neues, modernes Gebäude, sondern um eine extrem aufwendige Renovierung – schlimmstenfalls mit allen Nachteilen eines Altbaus.

TextLoft versteht sich als kreativer Raum. Hier wird erdacht, erschaffen und geschrieben – und nicht aus einer Hülle mit schlechter Bausubstanz gerade noch etwas hinbekommen. Entkernen ist eine Sache der Bauunternehmer und Handwerker, nicht der Architekten und Designer.

05/3/09

TextLoft ist keine Änderungsschneiderei

Oft werde ich gefragt, ob ich einen Text lektorieren würde. Dass ich es ablehne und TextLoft auch grundsätzlich eine solche Leistung in seiner Werbung überhaupt nicht anspricht, stößt oft auf Unverständnis. Zum einen weil viele Schreibende in der Tat eine sehr breite Palette anbieten, die sich vom Texten über Korrekturlesen bis hin zu Lektorat, Re-Writing und Coaching erstreckt, zum anderen auch weil Textarbeit von den meisten ganz unreflektiert als eine Art Einheitsbrei betrachtet wird, in dem die Aufgabenbereiche nicht wirklich abgegrenzt sind.

Ein Vergleich mit anderen kreativen Berufen ist hier hilfreich: Niemand geht zu Karl Lagerfeld, um sich zeigen zu lassen, wie man Fingerhut und Nadel richtig hält, oder um löchrige Socken stopfen und einen defekten Reißverschluss ersetzen zu lassen. Nicht dass Karl Lagerfeld solchen Aufgaben nicht gewachsen wäre, es ist im Gegenteil anzunehmen, dass er das durchaus ist. Aber nähen lernen können Anfängerinnen auf der Volkshochschule, und für Reparaturen sind eher Änderungsschneidereien zuständig – deren handwerkliche Fertigkeiten in keiner Weise minder wertvoll, solide und vielseitig sind, die aber nichts mit Haute-Couture und Kreation zu tun haben. Um es in eine allgemein verständliche Sprache zu übertragen: Karl Lagerfeld wäre zwar höchstwahrscheinlich dazu in der Lage, aber es ist schlichtweg nicht sein Job, und interessieren würde es ihn auch nicht.

Wer seinen Text zur Lektorierung zu einem kreativen Schreibenden bringt, verhält sich so, als würde er mit einem Topf versalzener Suppe unter dem Arm zu einem Vier-Sterne-Koch rennen und ihn anflehen, schnell zu retten, was zu retten ist.
Natürlich kann man eine misslungene Soße manchmal noch „retten“. Einen schlechten Text auch. Doch gerade in diesem Begriff liegt auch ein Teil der Problematik: „Retten“ bedeutet, aus etwas Schlechtem, Ungenießbarem, etwas Akzeptables zu machen. Akzeptables ist aber für TextLoft kein Qualitätsmaßstab.
Aus schlechten Zutaten lässt sich kein herausragendes Gericht zaubern, aus Tiefkühl-Früchten entsteht keine aromatische Marmelade, sondern fades Discount-Einerlei. Wenn die Rohstoffe nicht stimmen, ist das Ergebnis nur mittelmäßig, das weiß schon ein Koch-Lehrling. Bei der Textarbeit lässt sich eine schlechte Ausgangsware nur durch Vertuschung, Abstriche und Flickwerk, durch Kompromisse zu etwas Brauchbarem verwandeln. Aber „essbar“ ist nicht „köstlich“. Noch einmal: Sockenstopfen ist nützlich, aber kein Mode-Design – und auch hier sollte man die sprichwörtlichen Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.

Ein guter Lektor muss zudem Eigenschaften mitbringen, die dem kreativen Schreibenden gänzlich fremd sind, ja gar seiner eigentlichen Tätigkeit im Wege stünden.
Dazu zählen zum Beispiel selbstverleugnerische Geduld und ein bewundernswertes diplomatisches Geschick. Es ist alles andere als einfach, einen Kunden, der zwar keine textpsychologischen oder stilistischen Kenntnisse besitzt aber von dem eigenen Satz so überzeugt ist, wie man es nur sein kann, eitelkeiten- und egoschonend zur Einsicht zu bringen. Es erfordert eine geradezu mütterlich-seelsorgerische Begabung, einem unbeholfenen Text positive Aspekte abzugewinnen, nur um den Kunden nicht zu verletzen. Die Wahrheit – in den meisten Fällen nämlich, dass der Text bei aller Liebe und Nachsicht den direkten Weg in die Rundablage nehmen sollte, weil er beim Leser die unangenehme Erinnerung an den typischerweise von einem Zahnarztbohrer verursachten Schmerz wachruft (das Bild von Fingernägeln auf einer Schiefertafel mag zuweilen treffender sein) – darf ein guter Lektor nicht aussprechen, er darf sie im Grunde nicht einmal denken.
Lektoratarbeit, wenn sie richtig verstanden wird, erfordert außerdem und paradoxerweiser ein erstaunliches Durchsetzungsvermögen – nicht zuletzt in kaufmännischer Hinsicht. Zu vermitteln, wie notwendig eine Textänderung ist, ist eine oft gesprächsintensive und kraftraubende Machtprobe.
Der Kreative wäre hier fehl am Platz. Er taugt zum nicht Therapeuten, er ist Künstler – auch wenn sein Schaffen abstrakter bleibt als auf die Leinwand aufgetragene Farbe.
Auch in anderer Hinsicht ist der kreative Schreibende per se ein schlechter Lektor – neigt er doch dazu, im Zweifelsfall zu glauben, dass eine stilistische Abweichung gewollt und durchdacht ist, weil er sich selbst solcher bedient. Zum Lektorat gehören – von den besagten schweren Fällen abgesehen, in denen der Text wirklich sehr schlecht und nicht zu gebrauchen ist – eine gewisse Anmaßung und der Glaube, die textliche Wahrheit gepachtet zu haben, die in der Regel der natürlichen Demut des Künstlers entgegenstehen, der allen ästhetischen Welten offen und (zu) tolerant gegenübersteht. Lektorat unterscheidet sich dahingehend von Textkritik, Rezension oder Kunstkritik, dass es die eigene Meinung nicht nur äußert und für einen Leser als Alternative und Denkanstoß vermittelt, sondern den eigenen stilistischen Geschmack subjektiv und gewaltsam durchsetzt – mit welchem Recht auch immer. Grenzfälle wie Texte von Designern oder Architekten, die ihre eigenen semantischen und stilistischen Gesetze haben, würde ein Kreativer aber als Ausdruck und Teil des Designs und des Zeitgeists betrachten und niemals zu dem machen wollen, was die allgemeine Öffentlichkeit als „richtiges“ oder „verständliches“ Deutsch betrachtet. Er wäre also für diese Aufgabe die falsche Besetzung.

TextLoft übernimmt keine Lektorat- und keine Korrektorat-Aufträge. TextLoft erschafft Texte. Weil Karl Lagerfeld keine Änderungsschneiderei betreibt.