Technik & Papier

Schreibende leben oft ein wenig „anders“. Es betrifft Arbeitszeiten, Einkommensverhältnisse, soziales Umfeld und vieles mehr. Schreibende denken hier und da vielleicht auch „anders“. In einem Punkt aber unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Menschen auch: in ihrer Beziehung zu technischen Werkzeugen.
Es gibt die „Ganz-und-gar-Begeisterten“. Sie betrachten den Computer als größten Segen seit Entstehung der Schrift, wechseln alle zwei Jahre das Gerät, haben immer das neueste Betriebssystem und die neueste Software, das neueste Mobiltelefon mit Internetzugang, haben seit Jahren keine Briefmarken mehr gekauft, und ihr Terminkalender ist samt Notizbuch längst ausschließlich auf vernetzten elektronischen Gerätschaften zu finden. Interessanterweise und wider Erwarten ist dies weder alters- noch geschlechtsspezifisch. Ihre frühere Arbeitsweise mit Handschrift und/oder Schreibmaschine – so sie der entsprechenden Generation angehören – ziehen sie gern ins Lächerliche und bezeichnen sie als altmodisch, unpraktisch, ineffizient, untragbar. Berühmte Namen in dieser Kategorie sind Elfriede Jelinek und Siri Hustvedt.
Es gibt die „Gewohnheitstiere“, die ihre Schreibinstrumente niemals geändert haben. Peter Handke schreibt mit Bleistift, Paul Auster mit einer Olympia-Schreibmaschine, Günter Grass bleibt bei seiner Olivetti. Mit mangelnder Flexibilität hat diese oberflächlich betrachtet sture Treue wenig zu tun, und sie sollte auch nicht vorschnell als mangelnde Neugier gedeutet werden. In der engen Verbindung zwischen Schreibendem und Text ist das durch die Vertrautheit des Schreibgerätes gesicherte Wohlbefinden ganz entscheidend: Der Geist kann nur dann frei und gelöst arbeiten, wenn das, was er nutzt, ihm so natürlich vorkommt, dass er es vergessen kann. Zwischen der bequemen Gewohnheit des sprichwörtlichen alten Schuhs, animistischer Furcht und Qualitätskontrolle einerseits und natürlicher Verlängerung des eigenen Körpers andererseits wird das Schreibinstrument oder zumindest die Schreibtechnik zum unabdingbaren Teil des Schreibprozesses.
Dazwischen bewegen sich die „Konvertiten“, die entweder aus Vernunft oder Resignation den Wechsel zum Computer vollzogen haben. Sie nutzen ihn als Schreibmaschine, Speicherplatz und Archiv, besitzen aber dennoch einen Terminkalender und ein Adressbuch aus Papier.

Ich gehöre zugegebenermaßen zur dritten Sorte.
Als ich zu schreiben begann, war mein erstes Arbeitsgerät ein schwarzer BIC-Kugelschreiber. Was abgegeben werden musste, wurde noch einmal der Lesbarkeit halber mit dem Füller in blauer Tinte säuberlich und mit großem Zeilenabstand abgeschrieben, bevor ich es der Schreibkraft meines Vertrauens zum Abtippen gab. Gegen Ende des Studiums aber erwies sich diese Praxis immer mehr als zu zeitraubend, und ein Jahr, bevor ich promovierte, schenkte mir mein Großvater eine mechanische Olympia-Reiseschreibmaschine. Ich schrieb meine Texte weiterhin vor, konnte sie aber von da an schneller fertigstellen, da ich nicht mehr auf freie Kapazitäten anderer angewiesen war. Tippen (mit drei Fingern!) erwies sich nicht als meine Lieblingsbeschäftigung: die Finger schmerzten schnell, und letztlich war ich erleichtert, als ich mein Manuskript endlich abgeben durfte. Als sich dann nach einigen Wechselfällen des Schicksals – nicht zuletzt gesundheitlicher Natur – ergab, dass ich von der Ware „Text“ würde leben müssen, wechselte ich zu einer elektrischen Gabriele 9000 mit Korrekturtaste und leichtgängigerer Tastatur. Meine gute mechanische Olympia behielt ich aber aus Sentimentalität und als Ausweichmöglichkeit. Ich habe sie heute noch, wenn auch im Keller.
Von mir aus hätte es dabei bleiben können: Ich schrieb vor, tippte ab, und dieser Komfort eines unsichtbaren Korrekturbands schien mir absolut ausreichend. Doch nach und nach verlangten immer mehr Kunden die Abgabe der Aufträge in Form von Dateien, und ich musste mich dem für mich unverständlichen und überheblichen Diktat des Marktes beugen. Glücklicherweise wurden die Computer immer kleiner, und ich besitze heute nur noch ein Laptop, das als selbstverständliches, wenn auch nicht geliebtes Instrument sein Dasein auf meinem Schreibtisch fristet.

Vor etwa fünf Jahren beschloss ich in einem Anflug konsequenter Sparsamkeit, unnötigen Papierverbrauch abzuschaffen und den Computer nicht nur als Schreibmaschine mit dem Vorteil der beinahen Geräuschlosigkeit und zur Speicherung von Aufträgen zu nutzen, sondern auch meine bis dahin auf Papier in entsprechenden Büchern stattfindenden Buchhaltung, Kunden- und Auftragsverwaltung direkt am Computer vorzunehmen.
Glücklich wurde ich damit nicht und habe in diesem Jahr beschlossen, viele Dinge wieder auf Papier umzustellen. Es ist für mich effizienter und beruhigender.

Zunächst gibt es nichts Sichereres als Papier: Ich muss mich nicht mehrmals am Tag ängstlich fragen, ob ich wirklich genug Backups und andere Sicherheitskopien gemacht habe. Eine in ein Heft mit Kugelschreiber geschriebene Information bleibt dort für alle Zeiten geschrieben, es sei denn, das Haus würde komplett abbrennen – Kugelschreiber widersteht sogar der Wirkung von Wasser und der meisten Chemikalien.
Papier ist auch deshalb ein Sicherheitsfaktor, weil es menschliches Versagen zu einem viel größeren Teil ausschließt. Natürlich ist es auch möglich, sich auf Papier zu verschreiben. Allerdings geschieht es aber seltener, und ein Fehler wird auch schneller während des Schreibvorgangs selbst bemerkt. Zahlendreher etwa sind unwahrscheinlicher. Zudem schließt Papier alle Fehler aus, die sich aus tückischen Fehlerquellen ergeben. Wer hat nicht schon in einem Text an beliebiger Stelle die Buchstaben „dc“ eingefügt, als er die Datei schließen wollte?
Papier spart Zeit. Auch wenn es das Tippen ermöglicht, in kürzerer Zeit größere Textmengen zu erfassen, ist der Zeitgewinn in der Tat illusorisch: Nicht nur die Zeit für das Sichern der Dateien, das Kopieren auf mehrere Sticks und Festplatten muss hinzugerechnet werden, sondern es müssen auch die „Zwischenereignisse“ berücksichtigt werden. Fragt ein Programm nach Bearbeiten einer Datei, ob man die vorgenommenen Änderungen speichern möchte, während man selbst der Meinung ist, man hätte es getan, muss in mühsamer Kleinarbeit geprüft werden, was die angesprochene Änderung sein soll, ob sie gewollt war oder aus Versehen geschehen ist – möglicherweise, um festzustellen, dass nur ein Druckvorgang gemeint ist, der nichts mit dem tatsächlichen Inhalt zu tun hat. Nach einem Eintrag in ein Papierbuch wird das Buch ohne Zweifel und ohne zeitraubende Kontrolle einfach geschlossen.
Papier ist wirtschaftlicher. Wer wirklich verantwortungsbewusst mit den auf dem Computer gespeicherten Daten umgehen will, muss sie zusätzlich auf USB-Sticks und mehreren inhaltsgleichen externen Festplatten archivieren, damit sie auch wieder zugänglich werden, wenn der Computer eines schlechten Tages beschließen sollte, zu seinen Ahnen zu gehen. Zur Sicherheit empfiehlt es sich ohnehin, wirklich wichtige Dinge zudem auszudrucken. Dies gilt zum Beispiel für steuerlich relevante Unterlagen, die dem Gesetz nach „jederzeit wieder auf Papier lesbar gemacht werden können müssen“, wie mein Steuerberater es ausdrückt. Den teuren Umweg über mehrere Speichermedien und den Papierausdruck kann man sich also getrost sparen, indem/wenn man direkt mit altertümlichen Methoden arbeitet.

Mittlerweile habe ich schon vieles auf Papier zurückumgestellt. Telefonische Anfragen und mündlichen Austausch zu bestimmten Projekten etwa speichere ich nicht mehr als Datei ab, ich notiere sie wieder samt Inhalt der Besprechung in ein Moleskine-Heftchen. Ich genieße die Ruhe und die Sicherheit, die mir meine Heftchen und Bücher geben.
Mit Papier zu arbeiten, ist auch ein Weg, einen Teil des Übermaßes an Verantwortung, das heutzutage immer mehr zu unserem Leben gehört, zu entschärfen. Meine Passwörter kann niemand hacken, denn ich habe sie nicht auf dem Computer. Die Kontaktdaten meiner Kunden sind in einem Papieradressbuch und einem Holzkarteikasten „gespeichert“. Ich kann sie sogar bei Stromausfall anrufen. Alle Informationen, die ich benötige, könnte ich – überspitzt ausgedrückt -, auch im Falle einer wochenlangen weltweiten Panne der Strom- und Internetnetze einsehen. Ein gutes Gefühl.

Mein Computer ist also wieder zu dem geworden, was er einmal war: eine besonders praktische, schnelle und leise Schreibmaschine.

NACHTRAG: Zufällig gerade entdeckt: Der Mythos des papierlosen Büros