03/6/21

Das Frühstück der Ruderer

Zu den Vorzügen meiner Kindheit gehörte, dass ich in der präschubladischen Ära groß werden durfte, was ich rückblickend sehr zu schätzen weiß. Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Urgroßeltern waren allesamt nicht Landwirte, sondern Kleinstbauern (die angemessene Bezeichnung wäre vermutlich „Selbstversorger“), meine Mutter hatte mit 14 Jahren die Schulbank gegen eine Schneiderlehre getauscht, mein Vater war mit 11 aus dem Familienumfeld gerissen, und ohne dass nach seinen Wünschen gefragt worden wäre, auf eine Kadettenschule geschickt worden, und war am Tage meiner Geburt, der meine bis dahin als Supermarktkassiererin arbeitende Mutter für den Rest ihres Lebens zur Hausfrau machte, eine Art Bürobote, was er noch einige Jahre bleiben sollte. Dass ich zur Literaturwissenschaftlerin und Kunstliebhaberin werden sollte, war alles andere als vorgezeichnet, denn ich stamme nach heutigen Maßstäben aus einer „armen“ und „bildungsfernen“ Schicht – nur wussten wir es damals nicht, weil es solche Etiketten nicht gab, und so ging ich meinen Weg, ohne mich darum zu kümmern und ohne zu ahnen, dass ich weniger Chancen hatte als andere. Tatsächlich habe ich es nie gemerkt oder gespürt, und meine Biographie spricht dafür, dass es nie so war.

Dementsprechend war es auch nicht selbstverständlich, dass ich mit Dingen der Kunst überhaupt in Berührung kam. Meine Eltern besaßen keine Bücher, Geld für Museumsbesuche wäre nicht vorhanden gewesen. Die Malerei entdeckte ich zufällig dank einer schokoladensüchtigen Großfamilie aus der Nachbarschaft, deren fünf Kinder über Monate eifrig Sammelpunkte aus Schokoladentafel-, Kakao- und Schokoladenkeksverpackungen ausschnitten, bis sie ein kleines Sammelalbum gefüllt hatten, einschickten und das entsprechende Geschenk bekamen: Es war eine spielkartengroße Schachtel voller Kärtchen zu allen möglichen berühmten Werken europäischer Malerei. Sie hatten kein Interesse daran, und ich bekam das wertvolle Päckchen, mit dem ich mich glücklich stundenlang beschäftigte und das ich wie einen Schatz hütete. Auf der Vorderseite einer jeden Karte war das Gemälde abgebildet, auf der Rückseite standen Titel, Künstler, eine kurze Biographie und Genreerklärung.
Ich war 6 Jahre alt, und dieses Werbegeschenk eröffnete mir ein fantastisches und offenbar unerschöpfliches Universum, das ich nie mehr verlassen sollte.
Wie Kinder nun einmal sind, kümmerte ich mich kaum um ein ausgewogenes und objektives Urteil, und schnell hatte ich – ein für allemal, wie ich damals dachte – insgeheim entschieden, welche Maler und welche Genres ich mochte und welche nicht. Turner, Watteau, Sisley, Constable, Gainsborough, Le Nain, Degas, Monet, Rembrandt, Chardin etwa liebte ich ebenso innig wie die Stilleben der holländischen Meister. Cézannes Pfirsiche gefielen mir, seine Porträts allerdings überhaupt nicht, bei seinen Landschaften war ich mir nicht sicher, was ich davon halten sollte, denn seine Bäume waren in Ordnung, aber ich mochte keine Berge, und seine graue Nemesis traf bei mir auf achselzuckende Gleichgültigkeit. Toulouse-Lautrecs Werke fand ich gruselig bis abstoßend, Delacroix, Redon und Manet langweilten mich. Von Van Gogh und Picasso dachte die Unschuld meines Unwissens spontan, dass sie nicht malen konnten, und Renoirs Bilder fand ich wegen der vielen Pinktöne, der allgegenwärtigen Üppigkeit und der zu rosigen Bäckchen schlicht nur peinlich und kitschig.
Ein Gemälde jedoch faszinierte mich, und meine kindlich resolute Schwarz-Weiß-Sicht der Dinge konnte sich nicht erklären, wieso. Immer wieder griff ich zu der kleinen Karte: Ich konnte die Augen nicht davon lassen und konnte zugleich nicht glauben, dass das, was ich sah, wirklich von dem Mann stammen sollte, der so übertrieben adrette Mädchen auf Schaukeln, ordinär herausgeputzte Koketten oder Gärten voller unrealistischer Blütenpracht dargestellt hatte. Das Frühstück der Ruderer zog mich immer wieder in seinen Bann. Ich wusste nicht, warum, und ich konnte nichts dagegen tun.

Mit den Jahren, der damit unvermeidlichen Reife und mit zunehmender Bildung veränderte sich naturgemäß mein allzu undifferenziertes Urteil, und meine Meinung zu vielen Künstlern gewann selbstverständlich schnell und deutlich an Milde und Verstand.
Doch sollte es noch viele weitere Jahre dauern, bis ich begriff, warum ich zu diesem Werk, dessen Thema mich nicht einmal interessierte, das ich nicht einmal wirklich schön fand, eine so unerklärliche Verbindung gespürt hatte. Erst vor einiger Zeit, als mir das Bild, an das ich länger nicht mehr gedacht hatte, anlässlich einer Recherche zufällig wieder begegnete, wurde es mir auf einmal klar: Das Frühstück der Ruderer ist eine Momentaufnahme voller Geschichten. Es ist voller Geräusche und voller Lärm, voller Stimmen und Dialoge, voller Düfte und Gestank, voller Hitze und Wind, voller Lachen und Streit, voller Intrigen und Neugier, voller Fragen und Rätsel. Es ist Raum, Atmosphäre – es ist Text.

Zu den Bildern, die ich gerne besitzen würde, gehört es nach wie vor nicht. Aber heute weiß ich, dass ich an dem Tag, an dem ich dieses Kärtchen in Händen hielt, zum ersten Mal schrieb – ohne Stift, ohne Papier, ohne Worte zwar, aber ich schrieb. Was ich spürte, war, was mein Leben werden sollte. Daran zurückzudenken ist nicht schön, nicht rührend oder bestätigend, sondern vielmehr erschreckend. Es zeigt, wie unausweichlich Kunst bestimmen kann, was wir sind und werden, und wie wenig wir in dieser Gleichung zu sagen haben. Kunst und Schreiben habe ich mir nicht ausgesucht. Ich kann nicht anders – ob ich will oder nicht.

02/14/16

Zeit-Räume

Im TextLoft ist oft von Raum die Rede: von Text-Räumen, also reellen und virtuellen Räumen, in denen Text entsteht, vom leeren Raum einer Seite, der durch Strukturen und Worte zu einem Text eingerichtet wird … Die Analogie von Text und Raum ist auf der Website allgegenwärtig.

Räume sind auch ein wesentlicher Bestandteil nicht nur meiner Textauffassung, sondern meiner Arbeitsweise.
Wenn ich für das Projekt eines Auftraggebers intensiv in seine Themenwelt eintauche und selbstvergessen über Tage und Wochen hinweg nur noch in seinem Universum mit all seinen Farben, Bildern und Stimmungen lebe, schließe ich mich im Grunde in seinen Räumen ein. Außenwelt, Kalender, der Alltag und seine Erfordernisse, Gesundheit und Wohlbefinden treten zurück, und das Leben findet nur noch in diesem entrückten Auftragsraum statt. Es ist keineswegs die ruhige Zurückgezogenheit einer klösterlichen Klausur, sondern viel mehr eine erforschende Besessenheit. „Zum Raum wird hier die Zeit“ heißt es in der vermutlich schönsten Zeile von Wagners Parzifal. Tatsächlich entsteht durch die Suche nach dem Text, nach seinem Duft, seinem Licht und seinem Wesen, ein kleiner hermetischer Bereich, der ein wenig an die stereotypische Vorstellung der mythischen Schriftstellerhütte erinnert.

Still und entspannt dagegen sind die Zeit-Räume, in denen ich für dieses Blog oder die Musterbücher – und natürlich vor allem auf Kunst:Text schreibe. Wie ein Urlaub sind sie eine winzige, fast private und genüssliche Enklave aus Wahrhaftigkeit. Wohltuende Unwesentlichkeiten und perfekte Selbstbestimmtheit erfinden Stunden und Ziele neu.

Die Gesprächszeiten, die auf der Website angegeben sind, begrenzen ihrerseits einen weiteren Zeit-Raum. Er ist ein Patio, ein kleiner und einladender, etwas öffentlicherer Platz voller Begegnung und sommerlicher Leichtigkeit.

In all diesen verschiedenen Facetten gefällt mir der Gedanke, dass meine Arbeitswelt in gewisser Hinsicht einem englischen Garten gleicht, in dem sich die Vielfalt und der Reiz aus der Strukturierung eines riesigen Raums in viele kleine, subtil definierte und völlig unterschiedliche thematische Bereiche mit eigener Nutzung und eigenem Charakter ergeben. Und wer hat schon das Glück, einen Garten zu leben?

01/18/16

Schnapp­schuss an einem Wintertag

Es ist ein Montag wie viele im TextLoft: Spam-Mails werden blockweise gelöscht, Auftragsportale der Reihe nach abgearbeitet, Bewerbungsprospekte für die anlaufende Marketingaktion in Briefumschläge gesteckt. Ein neues Projekt für und von TextLoft ist in der Planungsphase und schürt Selbstzweifel.

Dass die Stimmung zu wünschen übrig lässt, hat nichts mit dem Wochenbeginn zu tun: In Münster ist es eisig, und die Heizung ist nur bedingt eine Hilfe, die Auftragslage tröpfelt nach einem ermutigenden Jahr 2015 unbefriedigend dahin, ärgerlicher Papierkram liegt auf dem Magen … Für Euphorie gibt es wenig Gründe, die Seele friert genauso wie die Finger, die sich fleißig und verbissen an der Tastatur festhalten.
Der elektronische Briefkasten meldet den Eingang einer Nachricht. Der Erhalt eines Auftrags, den ich gerade geliefert habe, wird bestätigt. Die Aufgabe hatte mir Spaß gemacht, und es mir ohnehin immer eine Freude, für diesen Kunden zu arbeiten, wie ich es in meinem kurzen Dankessatz erwähnt habe.

Und dann diese Worte:
„Sie sind phantastisch, vielen lieben Dank! Die Freude ist ganz auf meiner Seite, denn Sie sind genau so kompetent und unkompliziert, wie man es sich nur wünschen kann.“

Es ist wie ein heißer Kakao an diesem Wintertag. Es tut mehr als nur gut. Es tröstet und beflügelt. Und auf einmal kommt im TextLoft mit einem Lichtstrahl der Gedanke an den Frühling auf.

01/4/16

Analoges Intermezzo

Ob die Zeit zwischen den Feiertagen im TextLoft arbeitsreich oder erholsam ist, hat gemeinhin wenig mit eigenen Entscheidungen zu tun. Die Urlaubsplanung der Stammkunden bestimmt, ob die letzte Woche des Jahres zur Erledigung letzter, dringend benötigter Aufträge genutzt werden muss oder still und gemütlich dahinplätschert.

Wie sich herausstellte, hatten dieses Mal alle Unternehmen Sehnsucht nach einer ausgedehnten Pause und hatten sich sogar ausgesprochen früh „abgemeldet“. Nach dem routinemäßigen Buchhaltungsabschluss standen die Zeichen also auf Entspannung. Aus den zweieinhalb freien Tagen, die über Weihnachten fest eingeplant waren, wurden mehr. Zwar wurde der elektronische Posteingang zur Sicherheit morgens und abends pflichtbewusst geprüft – obgleich die Wahrscheinlichkeit, dass gerade zwischen dem 28. und dem 31. Dezember neue Kunden den Weg ins TextLoft finden, erfahrungsgemäß extrem gering ist –, stand aber in keiner Weise im Mittelpunkt des Lebens. Der Computer selbst fristete ein unbeachtetes und überflüssiges Dasein auf dem verwaisten Schreibtisch.
Nach den wiederholten und umfangreichen Marketingaktionen der vergangenen Monate, für die jede theoretisch freie Minute erbarmungslos genutzt worden war, war es eine regelrecht fremd anmutende Situation und eine zugegebenermaßen willkommene Gelegenheit, Schlaf nachzuholen und sich ausgiebig dem Lesen zu widmen, aber auch gedanklich zur Ruhe zu kommen.

So wurde mir bewusst, wie unzufrieden ich mit der Vorstellung von TextLoft auf der Homepage und den Einleitungstexten der Blogs geworden war. Meine Website war aus Sicht eines zielstrebigen Marketings perfekt …, hatte aber nichts mehr mit mir selbst zu tun. „Klappern gehört zum Handwerk”, heißt es im Volksmund so treffend, nur passt dieses laute Herumstolzieren, zu dem ich mich aus Vernunft gezwungen hatte, nicht zu mir. Mittlerweile hat sich die Seite einer Entschlackungskur unterzogen.

Was diese kleine Woche aber so erholsam und wertvoll machte wie einen ganzen Urlaub, war weniger die Abwesenheit von Arbeit im eigentlichen Sinn als vielmehr die Tatsache, dass ich mir den Luxus eines analogen Lebens offline gönnen konnte. Ich ignorierte mutwillig Facebook, Twitter & Co., las keine Blogs, keine Nachrichten und lebte neun Tage internetfrei, die mir – falls dies nötig gewesen sein sollte – bestätigten, dass ich Computer, Internet und eMail nicht nur nicht vermisse, sondern auch ohne sie viel glücklicher bin.

Dieses analoge Intermezzo war ein Geschenk, das mich darin bestärkt hat, die Grenzen zwischen beruflich unumgänglicher Präsenz und selbstverständlicher Kundenfreundlichkeit und Verfügbarkeit einerseits und meinen eigenen Prioritäten und Bedürfnissen andererseits schärfer zu zeichnen – nicht zuletzt, weil Zufriedenheit und Wohlbefinden zur Erhaltung der Arbeitsqualität beitragen.

09/19/15

Künstlerische Spielarten der Textarbeit

Wenn ich auf meiner Webseite oder hier im Blog immer wieder erkläre, dass Schreiben für mich die Fortsetzung der Malerei, der Bildhauerei und der Fotografie mit anderen Mitteln ist, meine ich das deutlich wörtlicher, als die meisten sich vorstellen. Tatsächlich unterscheidet sich meine Art, zu arbeiten, nur in der Wahl des Werkzeugs.

1. Das Skizzenbuch
Ideen, Augenblicke, Bilder, Eindrücke sind flüchtig. Dinge zu notieren, die später zu einem Text führen könnten oder sollen, ist eine unerlässliche Angewohnheit. Was in der Malerei Skizzen und Skizzenbuch sind, sind für mich Notizen und Notizbücher – ganz gleich, ob es sich um etwas Schönes, Skurriles, Bemerkenswertes, Inspirierendes handelt, ob in Form einer kurzen Zeile, eines allgemeinen Themas, eines Titels, die später als Grundlage dienen werden, oder eines vollständig ausformulierten Absatzes, der sich im unerwartetsten Moment aufdrängt und sich in ein Projekt einfügt oder für sich allein stehen kann.

2. Alles ist Material
Bildende Kunst entsteht – vom politischen Auftragsporträt und der Historienmalerei abgesehen – selbst in ihren abstrakten Formen meistens aus dem Wunsch heraus, bewahrend aufzuzeichnen, Schönheit zu zeigen, zu definieren, zu deuten, wiederzugeben und manchmal zu teilen. Gegenstand eines Werkes sind deshalb gerade oft eher kleine Alltäglichkeiten, bescheidene Schnappschüsse gewöhnlicher Orte oder Tätigkeiten. Ausgangspunkt kann alles werden, was der Künstler als schön oder interessant empfindet, was ihn fasziniert oder anrührt.
Wenn ich Texte in den MUSTERBÜCHERN oder auf KUNST:TEXT veröffentliche, ist der Ansatz ähnlich. Sie sind oft zunächst eine Fingerübung, der Versuch, möglichst getreu abzubilden, was mir gefällt. Die Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit wird auch hier erst nach abgeschlossener Arbeit und mit einiger zeitlicher Verzögerung überschritten und aufgehoben. Ein Unkraut, eine leere Kaffeetasse, eine Landschaft, ein Duft, ein auf der Straße aufgeschnappter Satz … es gibt kaum etwas, worüber ich nicht schreiben würde.

3. Die Mappe
In einem Punkt unterscheidet sich die bildende Kunst ein wenig vom Schreiben, doch eher in Nuancen, nicht in der Sache selbst. Während bildende Künstler erst für sich zeichnen, entwerfen, fotografieren und daraus ihre Präsentationsmappen zusammenstellen, mit denen sie Galeristen, Mäzene und Unternehmen zu überzeugen hoffen, bin ich in der unangenehmen Lage, eigens „für die Mappe“, wie ich es nenne, Texte produzieren zu müssen. In beiden Fällen ist die Notwendigkeit der Mappe unbestritten, wenn man Auftraggeber oder Käufer finden muss. Im Bereich Text genügt es allerdings nicht, zu zeigen, was man gerne schreibt, oder dass man schreiben kann. Die Kunden suchen sich keine Texte in bereits fertigen Sammlungen aus, sie wollen Beweise dafür, dass man fähig ist, eine individuelle Arbeit zu leisten, die ihnen entspricht. Meine Mappe muss also zwar einerseits für meinen Schreibstil repräsentativ sein, andererseits die Wünsche von Unternehmen antizipieren, die ich noch nicht kenne. Ist sie zu umfangreich, wird sie möglicherweise nicht gelesen. Ist sie zu stringent, kann sie als nicht aussagekräftig empfunden werden. Ist sie qualitativ zu hochwertig, besteht die Gefahr, dass sie als versnobt wahrgenommen wird oder gar abschreckt. Enthält sie Texte in unterschiedlichen Tonlagen, die eine gewisse Bandbreite demonstrieren sollen, kann dies verunsichern und verwirren. Und hier schließt sich der Kreis mit der bildenden Kunst: Es sind nicht notwendigerweise die Arbeiten, die der Künstler als seine besten betrachtet, die die breiteste Zustimmung des unkundigen Publikums finden.
„Für die Mappe“ zu schreiben ist immer die Suche nach der Quadratur des Kreises, solange man nicht weiß, an wen sich die Mappe konkret wenden wird.
Besonders verhasst ist mir – und auch in diesem Punkt stehe ich den meisten bildenden Künstlern sehr nahe – vor allem die Tatsache, dass hier Selbstdarstellungskünste gefragt sind, die gründlich mit meiner Persönlichkeit kollidieren. Marketingarbeit für andere zu leisten ist eine spielend leichte Sache, sich selbst verkaufen zu müssen dagegen eine deprimierende, anstrengende und ekelerregende Angelegenheit.

4. Auftragsarbeit
Im Auftrag zu schreiben kann sehr aufregend und nicht nur im materiellen Sinne belohnend sein. Das Gefühl, in eigenem Stil etwas Sinnvolles und Schlüssiges aufzubauen, etwas Neues und Konstruktives zu gestalten, im Dialog etwas Schönes zu erschaffen, ist unvergleichlich. Auftragsarbeit ist nicht zuletzt eine Bestätigung, die für das Selbstwertgefühl eine wichtige Rolle spielt, vor allem aber bedeutet sie die Chance, sich in zwei Welten hineinzuversetzen und zwischen ihnen einen Raum zu kreieren, in dem sie sich begegnen und ihre Gemeinsamkeiten entdecken können. So ist der Künstler die Brücke zwischen Auftraggeber und Betrachter, der Texter zwischen Unternehmen und Kunden. Im Bereich der Kunst und des Textes ist diese Art des Schaffens auch unabhängig vom finanziellen Aspekt auch wesentlich, weil es zu einem gesunden Perspektivenwechsel, zu mehr Distanz und zu einer permanenten Neuentdeckung der eigenen Fertigkeiten zwingt.

Es sind also nicht nur die Betrachtungsweise, der ideelle Ansatz und die ästhetischen Werte, die Malerei, Bildhauerei und Fotografie einerseits und künstlerische Textarbeit andererseits miteinander verbinden. Die Arbeitssituationen sind sich in vielen Punkten sehr ähnlich, ihre Spielarten sind sogar identisch.

09/9/15

Wie Textpreise entstehen

Das Thema „Texte und Preise“ ist nicht nur in Texter- und Freelancer-Foren ein vieldiskutiertes, es gehört auch zu den häufigsten Fragen, die mir gestellt werden – von potenziellen Auftraggebern natürlich, aber auch im privaten Umfeld.

Es ist nachvollziehbar.
Bei industriellen oder handwerklichen Produkten wird der Preis einer Ware aus sehr bekannten Daten und Faktoren ermittelt: den Material- und Personalkosten sowie steuerlichen Belastungen und der Marge, die Hersteller und Händler für sich einbehalten möchten, und aus dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, d.h. der Gestaltung der Zielgruppe. In einigen Fällen, z.B. bei Produkten bestimmter Marken oder Kunstwerken kommt noch ein ideeller emotionaler Wert hinzu, der sich aus Prestige, Begehren und Seltenheit zusammensetzt.
Bei Dienstleistungen hingegen sind die Mechanismen auf den ersten Blick nicht so transparent. Preise entstehen aus Zeitaufwand und Qualifikation, je nach Bereich auch aus der Nutzung, die sich daraus ergeben kann. Dies verleiht der Preisgestaltung einen unangenehm abstrakten Beigeschmack.

Hier ist es gleichzeitig einfach und schwierig, Licht ins Dunkel zu bringen, erst recht wenn die sogenannte Dienstleistung eine kreative ist.

Pauschal ausgedrückt bedeutet dies nichts anderes, als dass der Texter seine Honorare für verschiedene Arbeiten erst kalkulieren muss. Dabei muss er seine Festkosten, eine gewisse Absicherung für Notfälle, idealerweise seine Altersvorsorge sowie die Anzahl an Stunden, die er tatsächlich für seine Aufträge aufwenden kann, berücksichtigen. Abhängig von seiner Genügsamkeit, seinen Ansprüchen und seinem Selbstbild kann er diesen Stundensatz anpassen.
Doch damit ist die Frage nach dem Preis eines Textes noch lange nicht beantwortet.
Hat der Freie – Texter, Webdesigner, Grafiker – für sich festgelegt, wie viel er in der Stunde verdienen muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, muss er auch in der Lage sein, realistisch einzuschätzen, welchen Zeit- und Arbeitsaufwand für eine bestimmte Aufgabe auf ihn zukommt … und vor allem dies erfolgreich zu vermitteln.

Ob es ihm gelingt, das ideale Honorar durchzusetzen, hängt von verschiedenen Dingen ab: den tatsächlichen finanziellen Mitteln des Auftraggebers, der Unumgänglichkeit der Qualität seiner Arbeit (also der Frage, ob der Kunde sich leisten kann, auf ihn zu verzichten) und vor allem seiner Fähigkeit, den Zusammenhang zwischen Preis und Leistung in Form von Aufwand und Ergebnis aufzuzeigen.

Aus meiner Sicht ist dieser letzte Punkt gerade im Bereich Text im Grunde kaum zu erfüllen.
Es ist für einen Laien tatsächlich nicht nachvollziehbar, wie viel Zeit, Arbeit und Mühe ein Text wirklich kostet und wie viele Schritte und Stunden zwischen Auftrag und Abgabe nötig sind. Den Versuch, es wortreich zu erklären, halte ich für in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv. Unternehmen haben weder die Muße noch das Interesse dazu, sich damit auseinanderzusetzen. Sie sind nicht am Weg interessiert, sondern am Ziel, und das ist der Preis. Zudem könnten die detaillierten Ausführungen, die eine bessere Einsicht in die kreativen Entstehungsprozesse bringen könnten, schnell als Rechtfertigung empfunden werden, was wiederum erst recht das Vertrauen eines grundsätzlich misstrauischen oder verunsicherten Kunden erschüttern kann. Macht man deutlich, dass Texten nicht einfach „Herunterschreiben“ bedeutet, kann es die Glaubwürdigkeit der Leistung und der Qualifikation in Frage stellen: Der potenzielle Kunde unterstellt bald, dass ein Texter, der seinen Job wirklich beherrscht, für eine ganze Seite nicht mehr als wenige Minuten brauchen könne und dürfe, und dass der beschriebene Zeitbedarf schlicht auf ungenügende Erfahrung, Selbstüberschätzung und Unfähigkeit zurückzuführen sei. Während Klempner- oder Malerarbeiten etwa durchaus „beaufsichtigt“ werden können, so dass der Auftraggeber unmittelbar erleben kann, wofür er bezahlt, sehen sich Kreative der undankbaren Aufgabe gegenübergestellt, nachzuweisen, was nicht nachzuweisen ist.

Aus diesem Grund habe ich mich mit TextLoft von solchen Wegen gelöst und beleuchte für Interessenten die leidige Preisfrage aus einer ganz anderen Perspektive. Mehr dazu in meinem nächsten Blogbeitrag „Preisgestaltung im TextLoft“.

08/10/15

Schreibsommer

Die meisten Menschen stellen sich vor, dass Schreibende vor allem in den dunkleren Jahreszeiten gerne schreiben: Unfreundliches Wetter lade ein, im Haus zu bleiben, nichts lenke ab und verführe, nach draußen gehen zu wollen, es gebe also nichts Besseres zu tun, als zu arbeiten.
Für mich stimmt das kaum, und im Laufe der Jahre sind mir meine Schreibsommer immer wichtiger geworden, auch wenn ihre Bedeutung sich stark geändert hat.

Als Kind und Jugendliche war ich leider eine zu fleißige kleine Person, die das Wort „Pause“ nicht kennen wollte. Lesen, Lernen, Schreiben waren mein Lebensinhalt, und Schulferien und jede Tätigkeit fernab von Büchern, Stift und Papier eine ungeliebte Unterbrechung.
Da dieser unzähmbare Eifer bald Gesundheit und Augenlicht zu gefährden drohte, zwangen mir meine Eltern aus schierer Verzweiflung eine Vereinbarung auf: Ganze drei Wochen im Jahr waren Schreiben und Lernen verboten, und der Lesestoff musste sich auf unterhaltsame Literatur wie Kriminalromane und dergleichen für die Abende beschränken. Weitere zwei Wochen durfte ich lediglich drei Stunden am Vormittag schreiben und arbeiten. Diese durchaus sinnvolle, aber verhasste Maßnahme koste mich viele Tränen, doch sie führte nicht nur dazu, dass ich tatsächlich mich zu regenerieren lernte: Der Kopf wurde frei und sprühte nur so vor Schreibideen, so dass ich es nicht abwarten konnte, sie endlich zu Papier bringen zu dürfen. Besuchte Orte, Begegnungen, das Abendlicht am Strand, der Geruch der Cafés unter den Palmen der Promenade, der warme Duft von Konfitüren, wenn im August Aprikosen und Pflaumen eingekocht wurden … alles war wertvoller Rohstoff, den zu nutzen ein unbändiges Verlangen gebot.

Erst als ich dem Gesetz nach schon erwachsen war, lernte ich den Wert und den Genuss eines Urlaubs zu schätzen und fand in dem befreienden, erholsamen und inspirierenden Nichtstun und der produktiven Frische, die ihm folgten, ein angenehmes und fruchtbares Gleichgewicht.
Dass ich den für mich perfekten Urlaubsort gefunden hatte, der mich auch während der weiteren elf Monate nicht losließ und nach dem ich mich regelrecht sehnte, war an dieser Verwandlung nicht ganz unschuldig. Einmal im Jahr brauchte ich den Anblick des strahlend blauen Meeres, den Duft von Kräutern und Gewürzen, die feuchte Kühle steinerner Gassen und sog sie in mich hinein, auf dass sie mich durch den Winter tragen konnten. Heute, über dreißig Jahre später, ist das immer noch der Platz, an dem ich schreiben möchte.

Mit dem Schritt in die Selbständigkeit verabschiedeten sich Gewohnheiten und feste Lebensrhythmen. So etwas wie Urlaub kam bald nicht mehr in Frage. Der Sommer wurde zu einer Zeit, in der das Schreiben eine andere Qualität annahm.
Das verringerte Auftragsaufkommen ermöglicht die Vorbereitung neuer Werbekampagnen, Vernachlässigtes muss nachgeholt werden, die Pläne für das kommende Halbjahr aufgestellt, das Internet auf potentielle Auftraggeber durchsucht. Hektikfreie Wochen dieser Art sind hilfreich, um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Arbeit bleibt das vorherrschende Thema, doch verläuft sie entspannter und fühlt sich unbeschwerter an, und auch privates Schreiben oder vereinzelte Lesestunden holen sich ihr Recht zurück.

Die Wahrheit ist: Ohne den Sommer könnte ich vermutlich nicht schreiben. Er ist Gesundheitselixier, Gedankenbrunnen, Entschädigung und Ansporn. Es gibt für mich keinen Sommer ohne Schreiben – und kein Schreiben ohne Sommer.

05/20/15

Für Geld schreiben

Für Texter ist es alles andere als schwierig, Aufträge zu bekommen. Neben den üblichen Wegen der Kundengewinnung sind im Internet etliche Portale und Online-Agenturen zu finden, die als Schnittstelle zwischen Schreibenden und Textkäufern fungieren. Das Prinzip ist einfach: Unternehmen, die etwa Blogartikel oder Texte für Internetseiten benötigen, können dort inserieren, ihren Textbedarf und ihre Anforderungen und Wünsche genau beschreiben, und Texter können sich entsprechend direkt oder über eMail bewerben. Jeden Tag erscheinen auf den sogenannten „Jobboards“ mehrere Dutzend Anzeigen für Themenbereiche und Textsorten aller Art.

Was nach einem recht erfreulichen und für beide Seiten praktischen und nutzbringenden System klingt, verdient allerdings einen zweiten Blick. Auf solchen Portalen werden die Honorare nicht durch Verhandlungen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern geregelt, sondern der potentielle Textkunde schlägt von sich aus den Preis vor, der für ihn in Frage kommt oder ihm für die erbetene Leistung angemessen erscheint.
Mittlerweile stehen die Preisspannen für bestimmte Textarbeiten mehr oder minder fest: Für Blogartikel werden in der Regel Honorare von 0,01 bis 0,02,– €/Wort angeboten. Um zu begreifen, was dieser zunächst abstrakte und wenig aussagekräftige Wert im Einzelnen bedeutet, ist es hilfreich, sich die entsprechende Arbeitssituation vorzustellen.

Ein Blogpost umfasst im Allgemeinen zwischen 330 und 550 Wörtern. Vor dem Schreiben sind Detailfragen mit dem Kunden abzuklären. Es folgt eine von Fall zu Fall unterschiedlich aufwendige Recherche, dann das Verfassen im eigentlichen Sinne, sowie nach einer Ruhezeit letzte Überarbeitungen. Schließlich wird der Text einer sogenannten 4-Augen-Korrektur unterzogen, d.h. er wird nicht nur durch den Texter selbst, sondern zusätzlich von einer weiteren Person auf Tippfehler gelesen. Dies ist deshalb nötig und wichtig, weil nach einer intensiven Beschäftigung mit einem insbesondere eher kurzen Text das Gehirn, das ja schon weiß, was wo stehen soll und was es zu erwarten hat, das Auge ganz automatisch dazu verführt, zu schnell über den Text zu gleiten und das zu erkennen, was es erkennen sollte, und nicht das, was wirklich da steht. Von der Auftragserteilung bis zur Abgabe des Textes sind mit 3 bis 5 Stunden effektiver Arbeitszeit zu rechnen, wobei die Leistung und Bezahlung des zweiten Korrektors hierbei nicht notwendigerweise eingeschlossen sind.
Bei den erwähnten Honoraren wird ein Blogartikel von 500 Wörtern als mit 5,– bis 10,–  € vergütet. In Stundensätzen umgerechnet bedeutet dies einen Bruttoverdienst von bestenfalls 3,– €/Stunde – in den meisten Fällen aber weniger als 2,– €/Stunde.

Angesichts dieser ernüchternden Zahlen ist es etwas verwunderlich, dass diese Portale sich wachsender Beliebtheit erfreuen und stetigen Zuwachs zu verzeichnen haben. Oft wird argumentiert, diese Angebote würden sich an Studenten, Hausfrauen oder Rentner wenden, die sich davon ein Zubrot oder ein Taschengeld erhoffen. Diese Erklärung vermag mich nicht zu überzeugen. Mit Kellnern, Kinderhüten, Putzstunden, Nachhilfe, Gartenarbeit oder kleinen Reparaturen ließe sich ohne Weiteres und viel einfacher ein deutlich höheres Einkommen erzielen.

Ich gebe zu, dass es mir ein Rätsel bleibt, was im Kopf der Menschen vorgeht, die sich auf solche Honorare einlassen. Ich habe in meinem Leben bei weitem nicht immer leichte Zeiten gehabt, habe meinen Lebensunterhalt mitunter über Einzelunterricht, Strickarbeiten und erbärmliche Aushilfstätigkeiten verschiedenster Art bestreiten müssen, und ich bilde mir durchaus ein, eine finanzielle Genügsamkeit mitzubringen, die weit höher ist, als die meisten als erträglich betrachten würden, aber selbst mir entzieht sich komplett, welchen Sinn ein Bruttoeinkommen von weniger als 2,– €/Stunde haben soll.

Leider impliziert diese Frage weit mehr als nur eine Denkaufgabe und die Ergründung der seltsamen Irrungen und Wirrungen menschlichen Verhaltens. Denn solange solche Angebote beantwortet werden, werden Unternehmen natürlich keine Veranlassung sehen, professionelle Textarbeit auch nur annähernd angemessen zu entlohnen. Die Preisunterscheidung müsste über eine realistische Einschätzung und Wertschätzung des Qualitätsniveaus geschehen, was gerade im Textbereich ein sehr schwieriges Unterfangen bleibt.

05/13/15

Von alten Schreibfreunden

Langsam wird es etwas wärmer. Die Sonne scheint häufiger, die Gärten rund um das TextLoft verwandeln sich. Saftig-frisches Grün atmet sich mit tiefen Zügen aus der noch feuchten dunklen Erde frei. Rotkehlchen und Heckenbraunellen arbeiten fleißig am Nestbau, während die Amseln offenbar bereits den Nachwuchs versorgen. Mai ist ein Monat ganz aus Licht, hellen Farben und klaren, geraden Formen. Entspannung und Erleichterung hängen in der Luft, in der der Winter endlich nicht mehr nachhallt.

Zu meinen besonderen Begleitern durch diese unvergleichlichen Wochen des Jahres gehörte seit unserem Umzug hierher ein großer Flieder, der wohl vor sehr langer Zeit jenseits eines kleinen Zauns, etwa 15 Meter von meinem Schreibtisch entfernt, sich häuslich eingerichtet hatte. An diesem sonnigen Platz zwischen einer imposanten Weigelie und einer Hauswand muss es ihm sehr gut gefallen haben, denn er wurde kräftig und wunderschön. Seine weißen Blütentrauben, das gesunde Holz und die romantisch anmutenden Zweige verliehen allem, was ihn umgab, einen verträumt-ländlichen, Gelassenheit und Selbstbewusstsein ausstrahlenden Charme.
Was mich aber immer wieder verzauberte, war sein Duft. Jeden Tag, am frühen Abend, in jenen Stunden, in denen die noch zu junge Frühlingssonne die Kräfte verlassen, doch die Nacht noch lange nicht einbricht, erreichte mich sein blumiger Hauch. Gerade dann, wenn ich zu beschäftigt gewesen wäre, um bewusst an ihn zu denken und mich an seinem atemberaubenden Anblick zu erfreuen, zwang mich seine Botschaft, für einen kurzen, magischen Augenblick innezuhalten. Und immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich ihm dankbar und vertraut zulächelte. Sein Duft brachte Wärme und Geborgenheit in meine Gedanken, streichelte schützend meine Haut. In den letzten zehn Jahren wurde er so für mich mehr als nur ein Baum. Er war ein Freund, und sein Duft schenkte mir Zuversicht.

Im vergangenen Sommer zogen neue Mieter ins Nachbarhaus ein. Eines schönen Samstagmorgens in aller Frühe kreischte eine Säge, als würden Schmerzensschreie den frühen Tag zerreißen.
Anstelle des schönen alten Flieders, der unzählige Gewitter, Stürme, Hagelunwetter und sonstiges Ungemach viele Jahrzehnte lang schadlos und stolz überstanden hatte, steht nun eine stylische Gartendusche.

Nun, in diesen Tagen, ist die Zeit gekommen, da er mich wieder begleiten sollte. Aber er ist nicht mehr da.
Das junge Pärchen, das ich nur flüchtig und aus der Ferne gesehen habe, werde ich – einem etwas komplexen Grundstückszuschnitt sei Dank – höchstwahrscheinlich niemals persönlich kennenlernen. Es ist gut so. Denn wer auch immer sie sein mögen – ich kann ihnen nicht verzeihen.
Mein guter alter Freund fehlt mir sehr.

04/12/15

Ausgleich und Regeneration

Schon einige Male habe ich hier im Blog erwähnt, wie intensivere Arbeitsphasen, insbesondere im Falle von komplexeren Blockaufträgen, den Alltag verändern, ja ganz und gar abschalten, und Körper und Geist auf eine harte Probe stellen können.

Geht eine solche Zeit zu Ende, ist dementsprechend Regeneration nötig. Es gibt viele Wege, wieder zu Kräften zu kommen. Manche finden im Sport, im Faulenzen oder schlicht in einem Kurzurlaub den nötigen Ausgleich, andere bevorzugen Haushalts- und Gartenarbeiten oder die Pflege eines bestimmten Hobbys. Ausschlafen, gesunde Ernährung und viele Stunden an der frischen Luft sind natürlich wünschenswert.
Doch der Idealfall ist nicht immer zu verwirklichen – sei es, dass die freie Zeit bis zum nächsten Auftrag sehr begrenzt ist, dass das Wetter nicht mitspielt oder das Bankkonto sich vehement und unversöhnlich gegen den Traum eines Tapetenwechsels ausspricht.
Freie und erst recht schreibende Freie wissen nur zu gut, dass Aufträge keinem idealen theoretischen Zeitplan folgen und Selbstbestimmung bis zu einem gewissen Grad als illusorisch betrachtet werden muss. Jeder muss deshalb Strategien entwickeln, die ihm die bestmögliche Erholung mit den einfachsten Mitteln bieten.

Wenn ich Hunderte von Stunden unaufhörlich und mit der mir höchstmöglichen Geschwindigkeit tippend vor dem Laptopbildschirm verbracht habe, gibt es viele Dinge, nach denen ich mich sehne. Es sind hauptsächlich einfache Freuden: Zeit, meinen Töpfchengarten zu pflegen, einem Rotkehlchen beim Baden zuzuschauen, das Spiel eines Sonnenstrahls in den Zweigen eines erblühenden Baumes zu beobachten, am Abend ein gutes Buch zu lesen, gehört zu diesen harmlosen Wünschen. Doch so anspruchslos sie klingen mögen, auch sie sind nicht immer zu erfüllen.

Die körperliche und geistige Regeneration aber beginnt mit einem schlichten Schritt: analoges Schreiben.
Das Notizbuch, der Kugelschreiber und der Bleistift in meiner Hand bringen Ruhe in meine Gedanken, entspannen den Körper. Die Freiheit, mich vom unbestritten nützlichen und effizienten, jedoch ungeliebten Computer fernzuhalten und der sinnlichen, genussvollen Art des Schreibens hingeben zu dürfen, schenkt mir den intimen Rückzug, der wirkliche Erholung bedeutet. Neudeutsch heißt das: „Entschleunigen“. Tatsächlich fühlt es sich wie Urlaub an. Mit der Hand zu schreiben, ist schlichtweg „das Gegenteil von Arbeit“, und selbst wenn ich dabei einen Blogartikel entwerfe, nehme ich vor allem die Leichtigkeit des Privaten wahr.

Altmodisches Papier, Stift und Handschrift sind für mich Werkzeug und Ausdruck des Selbstbestimmten. Und nichts tut einem so gut, wie die Möglichkeit, zu tun und zu lassen, was man möchte. Ist es nicht gerade die Definition von Urlaub?

02/26/15

Von normalen und anderen Schreibtagen – auf frischer Tat

Genau so … sollte ein Tag nicht laufen.

Es begann wie immer. Aufstehen, Badezimmer, Kaffee … Was ein Schreiberling am Morgen eben so tut, bevor das erste Wort geschrieben wird.

Der Regel nach folgt dann der Blick in die elektronischen Postfächer. Seltsam, die Kundin, der gestern ein fertiger Text zugesandt wurde und die den eMail-Empfang bisher immer systematisch bestätigt hat, hat ihre Post offenbar nicht geöffnet. Es ist beunruhigend, zumal die Rechnung auch schon zu ihr unterwegs ist. Die letzten Mitteilungen, die eingegangen sind, sind noch von gestern Nacht. Auch das ist ungewöhnlich.

Nachdem heute nichts Besonderes anliegt, da die Mailing-Aktion beendet und der aktuelle Auftrag abgeschlossen ist, ist es Zeit für einen Rundgang durch Freelancer-Portale auf der Suche nach neuen interessanten Kunden oder Einzelaufträgen. Wie immer ist Vieles dabei, was kopfschüttelnd ignoriert werden kann: Für 1 bis 2 Euro Brutto/Stunde oder noch weniger zu arbeiten, lohnt sich nicht wirklich, aber genau das bieten solche Plattformen ja meistens an. Doch manchmal hat man Glück und findet in den langen Listen von Unverschämtheiten eine winzige Perle, eine Aufgabe, die reizvoll klingt, von einem seriösen Auftraggeber gepostet wurde, der zu wissen scheint, was Qualität ist, und die man unbedingt habe möchte. Heute ist es der Fall. Ein gewerbliches Blog sucht nach einem Freien Texter für einen meiner bevorzugten Themenbereiche. Die Bewerbung wird geschrieben und abgeschickt – ich bin nicht ganz unvorbereitet, Präsentationsmappen werden angehängt, Screenshots der Anzeige ausgedruckt und archiviert.

Seit dem ersten Blick in das Postfach sind mittlerweile 2 Stunden vergangen. Die fünfzehn Postfächer bleiben leer. Alle. Nicht einmal Spam lässt sich blicken. Ich lese Nachrichten. Ein Kunde, dem ich eine eMail angekündigt habe, meldet sich telefonisch. Er hat nichts erhalten. Gar nichts. Es ist ärgerlich, das Anschreiben war dringend. Ich sende es ein zweites Mal ab. Nach einer weiteren halben Stunde gibt es nichts Neues. Was schriftlich zu besprechen gewesen wäre, erledigen wir nun mündlich.

Etwas stimmt nicht. Ich recherchiere. Mein Provider hat offenbar einen breitflächigen Absturz. Es heißt, der eMail-Empfang und -Versand seien stark beeinträchtigt (ein niedlicher Euphemismus, in der Tat … ) und es würde davon ausgegangen, dass die Probleme in den folgenden zwei Stunden behoben werden könnten. Gut, zwei Stunden.
Meine andere Auftraggeberin kann ich auch telefonisch nicht erreichen. Sie hat offenbar keinen Anrufbeantworter. Ich weiß also immer noch nicht, ob sie ihren Text erhalten hat. Schade eigentlich. Es macht mich nervös.

Aber es ist müßig, sich über Dinge aufzuregen, auf die man keinen Einfluss hat, also mache ich das Beste aus dem kleinen Zwischenfall. Mein erster Weg führt in den Keller, genauer gesagt, in die Waschküche. Die Maschine summt nun vor sich hin.
Die Störung liegt noch an. Auf Twitter und anderen Seiten melden immer mehr Kunden desselben Providers, dass auch bei ihnen „nichts läuft“. Es ist kein Trost.

Die Frühlingsblüher im Töpfchengarten brauchen Wasser. Die Blätter der Tulpen sind schon groß, und Krokusse und Schneestolz zeigen kräftige Knospen. Die Luft draußen ist kühl und feucht, die Sonne setzt sich nur mühsam durch und bildet in den Wolken einen um diese Tageszeit eigenartigen und eleganten Schleier in Rosa, Lila und warmem Grau. Unwillkürlich muss ich an Seidenmalerei denken. Es fällt mir auf, dass ich in den vergangenen Wochen wegen der Werbekampagne und diverser Aufträge das Haus überhaupt nicht verlassen habe. Ich war nicht einmal auf dem Balkon. Ich hatte ganz vergessen, wie Winterluft riecht, wie sie sich anfühlt. Einen Augenblick lang sind der Computer und die dumme eMail-Funktion sehr weit weg. Am anderen Ende der Welt. Eine kleine Blaumeise sieht mich frech und etwas ungeduldig an. Offenbar ist die Badeschale, die ich soeben wieder aufgefüllt habe, ein verlockendes Ziel. Ich mache ihr Platz. Wenigstens sie soll an diesem Tag Spaß haben.

Die Postfächer sind noch immer leer. Ich wünschte, ich wäre weniger diszipliniert und organisiert: Ich könnte jetzt diese sinnlose Warterei dazu nutzen, Papierkram oder Buchhaltungsunterlagen zu sortieren. Aber ich ordne leider immer alles sofort ein, die Buchhaltung ist auf dem letzten Stand, die Ordner auf der Festplatte aufgeräumt. Blogartikel möchte ich jetzt nicht schreiben – es könnte ja sein, dass der normale Betrieb gleich weitergeht …

Kaffee muss her. Ich poste die Störung noch einmal auf Twitter, Facebook und Google+ und rege an, mich ggfs. über diese Wege zu kontaktieren. Natürlich weiß ich, dass es nichts bringen kann: Meine Kunden sind in den Social Media kaum oder gar nicht vertreten und werden meine Meldungen daher sicher nicht finden, und diejenigen, die sie lesen, sind bedauerlicherweise keine Kunden. Zumindest kann ich mir so einreden, mein Möglichstes getan zu haben.

Die angekündigten zwei Stunden sind längst um. Nichts. Nicht einmal die Störungsanzeige auf der Homepage des Providers wurde aktualisiert. Arbeiten im Home Office ohne eMail … Welch eine Freude! Ich nutze die Zeit, um wichtige Blogs zu lesen. Ausgerechnet heute gibt es nicht viel Neues. Ich entdecke unbekannte Seiten, die ich aber entbehren kann – von inhaltsfrei bis niveaulos.

Ich will wissen, ob die Texte, die ich gestern abgegeben habe, angekommen sind. Ich will wissen, ob meine Bewerbung auf den märchenhaften Auftrag beachtet wurde. Bis jetzt haben sich laut Zähler nur zwei Texter beworben. Das ist ein gutes Zeichen. Das Fachgebiet ist so speziell, dass es vermutlich nicht viel mehr Konkurrenten werden. Ich habe also eine Chance, wenn der Auftraggeber realistische Preise eingeplant hat. Aber es genügt mir nicht, davon zu träumen, ich will einen Wink, eine Antwort, eine eMail!
Ein privater Anruf, den ich unter anderen Umständen als sehr lästig empfunden hätte, reißt mich aus meinem ungeduldigen Starren auf den Bildschirm. Ich weiß, dass es nichts bringt. Wasser kocht nicht schneller, wenn man ihm zusieht. Normalerweise würde ich etwas so Dummes auch nicht tun. Aber heute ist es anders: Da ist dieser wichtige abgegebene Auftrag, da ist diese Bewerbung auf das spannende Projekt ….

Die Sonne verschwindet an Horizont. Die Wäsche ist gewaschen. Die Störungsmeldung ist noch aktuell. Die Postfächer bleiben leer. Die meisten Unternehmen schließen schon ihre Büros. Ich habe keinen Cent verdient, ich habe keine Antworten.

Genau so … sollte ein Tag nicht laufen.

02/8/15

Ein typischer Arbeitstag?

Eine Bekannte fragte mich vor kurzem, wie ein typischer Arbeitstag bei mir aussähe.
Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn das Schöne am Selbstständigen-Dasein ist, dass es so etwas wie „typisch” nicht wirklich gibt.

Wie ein Tag oder eine Woche verläuft, kann von vielen Faktoren abhängig sein. Überraschungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Dies gehört zu den Dingen, die ich an meinem Leben als Freelancer sehr schätze: Es ist durchaus möglich, einem sehr strengen und systematischen Zeitplan zu folgen, und dennoch ständig mit Unerwartetem konfrontiert zu werden. Durch das Zusammenspiel von konsequenter Selbstdisziplin und Unplanbarem entsteht ein Gleichgewicht zwischen strukturierter Selbstbestimmung und abwechslungsreichen Momenten. So können Rahmen gesetzt werden, aber sie verkommen nie zur langweiligen Routine.

Für Außenstehende wiederum ist dieser Widerspruch nicht leicht zu begreifen, und die Diskrepanz zwischen dem Idealfall und der Wirklichkeit nehmen viele als fremd, nicht nachvollziehbar, unlogisch und unzumutbar wahr.
Wer in der Tat Rituale und Gewohnheiten liebt und braucht, wäre in meinem Beruf nicht sehr glücklich. Ich bin in dieser Hinsicht sehr pubertär eingestellt und genieße Freiheiten mehr als Vertrautes. Daran haben die Jahre nichts geändert – im Gegenteil. Es ist wohl der Beweis dafür, dass man alt werden, aber unreif bleiben kann.

Ein „typischer Arbeitstag” im TextLoft beginnt nach einem morgendlichen Pflegeritual, einem sinnlichen Kaffeegetränk, der Durchsicht der – leider immer selteneren – Schneckenpost, dem Lesen der Nachrichten und meines Twitter-Accounts und dem Überprüfen meiner elektronischen Postfächer gegen Mittag. So die Theorie. In vielen Fällen ist es auch so, aber bei weitem nicht immer.
Braucht ein Stammkunde am frühen Morgen dringend einen Text oder eine Änderung oder Ergänzung eines bereits abgegebenen Auftrags, schubst mich das Klingeln des Telefons schon mal zwei Stunden früher als geplant aus dem Bett vor Tastatur und Bildschirm. So finde ich mich noch im Schlafanzug, kaffeelos und unvorzeigbar am Schreibtisch wieder. Die noch leseunwilligen Augen müssen zur Mitarbeit überredet werden, und es heißt, hastig zu tippen, bis die Datei abgeschickt werden kann. Erst dann kann nachgeholt werden, was die ersten Stunden des Tages hätten bringen sollen – ganz gleich, wie spät es inzwischen ist.

Ist der „ideale Morgen” doch eingetreten, lässt sich noch lange nicht sagen, wie es weiter geht.
Kundensuche, Recherchen, eMail-Korrespondenz, Austausch mit Interessenten, Erstellung von Kostenvoranschlägen können zum Beispiel die erste Hälfte des Arbeitstages bestimmen. Ein Auftrag unterbricht den erdachten Zeitplan und setzt die Prioritäten wieder „auf Null”. Bezahlte Arbeit geht immer vor und entscheidet auch darüber, wann und in welcher Form so etwas wie Nahrungsaufnahme möglich ist. Der theoretische Zeitpunkt hierfür ist 18 Uhr, also mehr sechs bis sieben Stunden nach dem Morgenkaffee, wenn die Konzentration nachzulassen beginnt. Die Betonung liegt natürlich auf „theoretisch”, zwei Stunden Verspätung sind hier nicht selten.

Nach dieser halbstündigen Pause geht die Arbeit weiter – in Form von Aufträgen, dem Verfassen von Blogposts, an manchen Tagen auch mit ein wenig Buchhaltung als krönendem Abschluss.
Gegen 2 Uhr nachts ist endlich Feierabend.

Liegt wiederum ein Blockauftrag oder eine Bewerbungsphase an, ist die Zeit zwischen Mittag und Mitternacht nach einem unverhandelbaren selbstbestimmten Arbeitsplan ausschließlich ihm vorbehalten. Post bleibt unbeachtet liegen, Nachrichten werden nicht mehr gelesen … die Welt steht still und verschwindet in die Ferne. Relevant ist nur noch die zu bewältigende Aufgabe. Haushalt und private Verpflichtungen geraten in den Hintergrund, Geburtstage werden vergessen … es zählen nur die Deadline, der Countdown und die kompromisslose Einhaltung der einzelnen selbstauferlegten Zwischenschritte. Es wird nach einer sehr genauen Tabelle gearbeitet, die zwar Spielräume für Notfälle mit einplant, allerdings keine für persönliche Belange zulässt.

Liegt kein Auftrag vor, ist das Wochenende die Zeit, in der alle Haushalts- und Mieterpflichten nachgeholt werden – zu zweit, weil es so schöner ist. Außerdem gibt es viel zu tun, denn meine Ansprüche sind nicht gerade niedrig.

Von einem durchschnittlichen Tag im TextLoft zu sprechen, ist also kein leichtes Unterfangen. Die am Schreibtisch verbrachte Zeit liegt zwischen 10 und 16 Stunden. Präziser lässt es sich nicht sagen. Typisch ist vielleicht, dass selten etwas typisch ist. Langweilig wird der Alltag nie – strukturiert ist er immer.

12/16/14

Gute Partner

Eine Bekannte, die einige meiner Profile auf Freelancer-Portalen entdeckt hatte, fragte mich vor kurzem, warum ich gezielt Kooperationen mit Grafikdesignern suche.
Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Ganz allgemein ausgedrückt ist es natürlich immer angenehm, mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen ein grundsätzliches gegenseitiges Verständnis vorhanden ist.
Grafiker, Typographen, Setzer und Webgestalter leben in ihrer Arbeit den gleichen Ansatz wie ich: die Umsetzung eines ästhetischen Konzepts. Ihr Ziel ist es – wie meins auch –, eine Verbindung zwischen den Bedürfnissen und Wünschen ihres Auftraggebers und ihren eigenen Vorstellungen dessen, was sie als geschmackvoll und angemessen empfinden, zu schaffen. Sie sind wie ich Mittler zwischen Idee, Material und Kunden.

Designer sind sich außerdem in besonderem Maße dessen bewusst, dass zwischen einem Text und seinem Erscheinungsbild oder Vorstellungsrahmen eine enge und geeignete Beziehung vorhanden sein muss, damit ein Projekt als Ganzes gelungen, sinnig und erfolgbringend ist. Sie wissen, dass zwischen Text und Layout eine gegenseitige Abhängigkeit besteht und beide nur dann ihre jeweilige volle Wirkung entfalten können, wenn sie miteinander harmonieren. Es ist nur verständlich: Ein edles Juwel in einer Vitrine kann verzaubern und faszinieren. Eine schöne Frau ist ihrerseits ebenso ein beglückender Anblick. Bringt man beide zusammen, unterstreicht das Schmuckstück die Schönheit der Frau, und die Schönheit der Frau hebt erst die Kostbarkeit des Schmuckstücks hervor. Dies ist in etwa die Beziehung, die Text und Layout im Idealfall eingehen: Durch ihre gemeinsame Inszenierung erfahren sie eine gegenseitige Aufwertung. Und genau wie das falsche Kleid auch ein Supermodel zur Witzfigur auf dem Roten Teppich werden lassen kann, kann das falsche Layout die Wirkung eines guten Textes fast zunichtemachen.
Grafiker wissen das, und so ist der Dialog mit ihnen immer fruchtbar und konstruktiv.

Ein weiterer angenehmer Aspekt einer solchen Zusammenarbeit ist der Zeitfaktor. Designer sind ebenfalls Freiberufler, die also auch kaufmännisch „dieselbe Sprache” sprechen und die üblichen Praktiken und Vertragsbedingungen von Kreativen kennen. Es ist nicht erforderlich, sie langatmig und mühselig über Begriffe wie „Nutzungsrecht” oder „Meilensteinzahlungen” aufzuklären, sie nutzen sie auch für ihre eigenen Aufträge. Es spart Zeit und Nerven.

Mit Gestaltern zusammenzuarbeiten, bedeutet für Schreibende zum einen einen Austausch zwischen eng verwandten Welten, zum anderen die Sicherheit, dass Professionalität und zielgerichtetes Handeln eine entspannte und sinnschaffende Projektabwicklung ermöglichen werden – eine ideale Situation.

12/9/14

Winter im Textloft

Es könnte ein schönes Bild sein.
Draußen herrscht Eiseskälte. Die kahlen Bäume zeichnen einsam ihre Schriften in den grau-weißen Himmel. Filigraner Frost verziert vergessenes Laub. Meisen, Rotkehlchen und Eichhörnchen streiten um die Futterstelle. Vielleicht liegt auch Schnee, weiß und knirschend. Im Inneren des Hauses wird in wohliger Wärme geschrieben, Seite um Seite, während Wolken und Nacht von dem goldenen Licht der Schreibtischlampe fröhlich und umschmeichelnd durchbrochen werden.

An diesen Tagen, an denen das Thermometer im Münsterland sich hartnäckig an die Null-Grad-Marke klammert, versuche ich oft, mir dieses Klischee vorzustellen. Ich weiß noch, dass ich es gelebt habe. Es scheint mir unendlich lange her zu sein. Gerade die Kälte machte in jener Zeit die Arbeit leicht – fühlte ich mich doch hinter der Festung meines Schreibtisch geschützt und geborgen.

Es ist anders geworden. In den Räumen, die das TextLoft beherbergen, ist der Winter der größte Feind der Produktivität. Es ist nicht so, dass ich nicht arbeite. Aber es ist ein zerhackter und mürrischer Vorgang. Zu zahlreich sind die Ablenkungen, die mit dem Versuch einhergehen, der Witterung standzuhalten, ja, sie irgendwie zu überleben: Der ständige Gang zum Heizkörper in der Hoffnung, zumindest für eine Minute so etwas wie Wärme zu spüren, die kältesteifen Finger, der verspannungsbedingte Muskelkater, die wiederholte Zubereitung von wärmenden Getränken unterbrechen den Schreibfluss immer wieder aufs Neue. Mitten in einem Text werden die Gedanken vom eisigen Durchzug erfasst, der bissig durch das Mauerwerk dringt. Schlechte Laune schleicht sich mit ihm herein.
Der Winter scheint ein einziger langer Tunnel. Und das Ende ist noch so weit …

12/7/14

Home Office & Nachbarschaft

Während der Begriff des „Home Office” mittlerweile in aller Munde ist, ist die Arbeit in den eigenen vier Wänden paradoxerweise noch immer alles andere als selbstverständlich und wird nach wie vor als Kuriosum betrachtet – nicht zuletzt von Nachbarn.

Bei der älteren Generation sind Argwohn und Verdacht die ersten üblichen Reaktionen. Wer den ganzen Tag zu Hause ist, kann kein anständiger Mensch sein. Das Missverständnis kann allerdings und meist dank unverhohlener bis bohrender Neugier im allgemeinen schnell aufgeklärt werden, und gerade dann erweisen sich die Klischees, die sich um den Beruf des Schreibens ranken, als ungeheuer hilfreich. Als „Wortvirtuose”, der in der Tat in der Lage ist, mit dieser schweren Kunst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, genießt man von da an sogar ein gewisses Maß an Anerkennung, was ein wenig zum Schmunzeln verführt.
Jüngere Menschen kennen solche Vorurteile zwar nicht mehr, aber auch für sie ist die Situation offenbar nicht alltäglich und sie wird unterschiedlich bewertet. Die Palette erstreckt sich von Neid – Geld verdienen zu können, ohne bei Regen und Schnee das Haus verlassen zu müssen, erscheint als äußerst erstrebenswert – bis Mitleid – ein Leben ohne den täglichen Umgang mit den Kollegen an der Kaffeemaschine können sich viele überhaupt nicht vorstellen.

Unabhängig von der Akzeptanz oder Rezeption dieser für die meisten noch immer ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen ist das Home Office in Wirklichkeit eine sehr fruchtbare Grundlage für angenehme und interessante nachbarschaftliche Beziehungen.
In unserem Haus, in dem die Mieter sehr häufig wechseln, haben wir schon eine Reihe spannender Bekanntschaften machen dürfen – darunter eine sympathische und entwaffnend chaotische junge Familie, eine alleinstehende Dame mit Hang zur öffentlichen Darstellung ihres Sexuallebens, verirrte Nordlichter, heimwehgeplagte Schwaben, trinkfreudige Studenten und viele Pärchen aller Art … Mit einigen ehemaligen Nachbarn pflegen wir heute noch, lange nach ihrem Auszug, Kontakt.

Tatsächlich wird unser Home Office von unseren Nachbarn als Glücksfall betrachtet, und sie genießen es offenkundig: Kein Paket muss an den Absender zurückgeschickt oder vom Postamt abgeholt werden; während der Urlaubszeit ist jemand da, der den Briefkasten regelmäßig leert, die Blumen gießt oder die Katzen füttert; niemand muss an einem Arbeitstag zu Hause bleiben, weil Handwerker oder Schornsteinfeger ihren Besuch angekündigt haben.
So haben wir unsererseits die abwegigsten Geschichten erlebt: Wir wurden einmal vom Flugzeug aus angerufen und gebeten, eine vergessene Kaffeemaschine auszuschalten; ein anderes Mal mussten wir Briefe mit langersehnten Prüfungsergebnissen öffnen und am Telefon vorlesen.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, so unfreiwillig in das Privatleben Anderer eindringen zu müssen, so hat dieses besondere nachbarschaftliche Verhältnis einen sehr schönen Aspekt. Ob wir eine ungeduldig erwartete Bestellung, ein bunt dekoriertes Überraschungspäckchen, einen abgegebenen Blumenstrauß überreichen oder einen für einen Tag hinterlegten Schlüssel zurückgeben – wir bekommen jedes Mal, wenn wir die Tür öffnen, das Geschenk eines aufrichtigen Lächelns. Manchmal – so gestern am Nikolaustag – ist auch ein süßes Dankeschön dabei.