09/6/20

Was ist ein Produktporträt?

Zu den Leistungen, die ich Unternehmenskunden anbiete, gehören Produktporträts. Doch was ist darunter zu verstehen? Soll es eine pompöse und preistreiberische Bezeichnung sein oder hat die Sache tatsächlich einen Inhalt?

Vorab: Was ein Produktporträt nicht ist …
Ein Produktporträt ist keine Produktbeschreibung.
Produktbeschreibungen liefern dem Kunden konkrete Fakten und Daten. Zum Teil sind diese Angaben gesetzlich vorgeschrieben, wenn wichtige Informationen etwa über Materialien, Zutaten, Zusammensetzungen geliefert werden sollen. Eine Produktbeschreibung kann zwar ansprechend geschrieben sein, jedoch ist es nicht ihre primäre Aufgabe: Sie soll vor allem einen Vergleich zwischen Eigenschaften und Merkmalen ermöglichen, also Auskunft über die eher „technischen“ Aspekte geben.
Ich schreibe keine Produktbeschreibungen, denn ich bin nicht Texterin.

Ein Produktporträt ist ebenso wenig mit Storytelling gleichzusetzen: Es wird keine Geschichte um ein Produkt herum konstruiert, die als Rahmenhandlung dient, um dem Produkt einen Kontext und einen Sinn zu geben, wie es in der Werbung insbesondere in Fernsehspots gemacht wird.

Ein Produktporträt ist ein rein beschreibender Text, der sich impressionistischer Mittel bedient, um eine gelebte Geschichte zu erzählen, um aus sinnlichen Eindrücken ein erspürbares Erfahren des Produkts auszulösen.

Ein Produktporträt ist ein Porträt wie in der Bildenden Kunst und der Fotografie
Im Produktporträt ist das Produkt der Mittelpunkt des Textes, eben wie bei einem Porträt die Person, die gemalt oder fotografiert wird, den inhaltlichen Mittelpunkt des Bildes darstellt. Es ist das Einzige, was zählt und sichtbar wird, und wird dadurch zur viel beachteten, bewunderten, begehrten, beneideten und inspirierenden Diva. Die Vorstellung ist unmittelbar und unübersehbar.
Ein Porträt ist kunstgeschichtlich zudem immer ein extrem aktives Medium, das dadurch besonders lebendig wirkt und zu einer bereichernden und vielseitigen Kommunikation führt. Der Porträtierte steht allein im Zentrum des Interesses, fordert Aufmerksamkeit und Gehör, offenbart sich so, wie er es wünscht und zulässt. Sein Blick zeigt bewusst, wer er ist, welche gesellschaftliche Stellung er hat oder haben möchte, die ihm beigestellten Attribute sind weitere Hinweise auf seine Position, Absichten, Vorstellungen, Ideale und Ziele – sozusagen auf seine USP. Ein Porträt ist nichts anderes als das, was das moderne Marketing als Personal Branding versteht.
In dieser Hinsicht ist ein Porträt immer Dialog und wird deshalb besonders eindrucksvoll und nachhaltig rezipiert: Das Bild macht den ersten Schritt, der Betrachter hinterfragt Geschichte, Charakterzüge, Umfeld und baut auf diese Weise in seiner Fantasie einen für ihn greifbaren Kontext auf, der ihm hilft, die dargestellte Person zu beurteilen und einzuordnen.

Vorteile eines Produktporträts
Durch die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung wird das Produkt im Porträt selbst zum Influencer. Der potentielle Kunde wird nicht durch Dritte – Stars, Schauspieler, prominente Berater, Idealfiguren – überzeugt und überredet, sondern durch das Produkt selbst, das aktiv und eigenständig mit ihm in Dialog tritt, das ihn anspricht und zu ihm spricht, und sich daher als Teil seiner selbst und seines Lebens anbietet. Dies ermöglicht auf einer zweiten Ebene eine stimmungsvolle Andeutung der Welten, die das Produkt und seine Nutzung eröffnen können, ohne dass sie erst erfunden werden müssen. Über Tableaus, also geschichtenerzählende Bilder, wird eine emotionale und vor allem sinnliche Beziehung erschaffen, die der Leser nicht als Storytelling und somit nicht als „externen“ und künstlichen Überbau empfindet, sondern als eigen, natürlich und vertraut rezipiert. Dies erhöht nicht nur die Glaubwürdigkeit der Produktvorstellung, sondern auch die Nachhaltigkeit des ersten Eindrucks: Durch die Kraft der suggerierten und ausgelösten Assoziationen bleibt eine Erinnerung zurück, die nicht so schnell verblasst, weil sie mit einem besonderen Moment des persönlichen, ja privaten, intimen Erfahrens verbunden ist.
Im Produktporträt entsteht ein situativer Raum, der das Produkt aus der Anonymität herausholt und ihm ein unverwechselbares Gesicht und eine prägnante Identität verleiht. Es ist diese eigene Persönlichkeit, die sich der Kunde wissentlich aussucht, weil er instinktiv und intuitiv spürt, dass sie zu ihm passt.
Ein Produktporträt ermöglicht es auf diese Weise, auch einem sehr alltäglichen, zugleich jedoch ungewöhnlichen oder qualitativ überdurchschnittlichen Produkt die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sonst nur große Werbekampagnen erzielen bzw. der Luxusindustrie vorbehalten bleiben. Es bedeutet folglich sowohl eine erhebliche Steigerung der Marketingqualität durch den Text, als auch eine unvergleichliche Kunden- und Fan-Bindung.

Ein Produktporträt ist die Übertragung der Motivationen und Funktionsweisen der Bildenden Kunst auf die emotionale Vorstellung von Kaufgegenständen durch eine impressionistische Textsprache. Das Produkt wird von einer Poesie des Alltags regelrecht enthüllt und in ein gezieltes, aber hochwertiges und feinfühlig nuanciertes Scheinwerferlicht gerückt.
Der rein deskriptive Ansatz, der das Wesen des Porträts selbst ist, schafft parallel dazu eine (be)zwingende Objektivität, der sich der potentielle Kunde nicht entziehen kann.

01/18/16

Schnapp­schuss an einem Wintertag

Es ist ein Montag wie viele im TextLoft: Spam-Mails werden blockweise gelöscht, Auftragsportale der Reihe nach abgearbeitet, Bewerbungsprospekte für die anlaufende Marketingaktion in Briefumschläge gesteckt. Ein neues Projekt für und von TextLoft ist in der Planungsphase und schürt Selbstzweifel.

Dass die Stimmung zu wünschen übrig lässt, hat nichts mit dem Wochenbeginn zu tun: In Münster ist es eisig, und die Heizung ist nur bedingt eine Hilfe, die Auftragslage tröpfelt nach einem ermutigenden Jahr 2015 unbefriedigend dahin, ärgerlicher Papierkram liegt auf dem Magen … Für Euphorie gibt es wenig Gründe, die Seele friert genauso wie die Finger, die sich fleißig und verbissen an der Tastatur festhalten.
Der elektronische Briefkasten meldet den Eingang einer Nachricht. Der Erhalt eines Auftrags, den ich gerade geliefert habe, wird bestätigt. Die Aufgabe hatte mir Spaß gemacht, und es mir ohnehin immer eine Freude, für diesen Kunden zu arbeiten, wie ich es in meinem kurzen Dankessatz erwähnt habe.

Und dann diese Worte:
„Sie sind phantastisch, vielen lieben Dank! Die Freude ist ganz auf meiner Seite, denn Sie sind genau so kompetent und unkompliziert, wie man es sich nur wünschen kann.“

Es ist wie ein heißer Kakao an diesem Wintertag. Es tut mehr als nur gut. Es tröstet und beflügelt. Und auf einmal kommt im TextLoft mit einem Lichtstrahl der Gedanke an den Frühling auf.

01/4/16

Analoges Intermezzo

Ob die Zeit zwischen den Feiertagen im TextLoft arbeitsreich oder erholsam ist, hat gemeinhin wenig mit eigenen Entscheidungen zu tun. Die Urlaubsplanung der Stammkunden bestimmt, ob die letzte Woche des Jahres zur Erledigung letzter, dringend benötigter Aufträge genutzt werden muss oder still und gemütlich dahinplätschert.

Wie sich herausstellte, hatten dieses Mal alle Unternehmen Sehnsucht nach einer ausgedehnten Pause und hatten sich sogar ausgesprochen früh „abgemeldet“. Nach dem routinemäßigen Buchhaltungsabschluss standen die Zeichen also auf Entspannung. Aus den zweieinhalb freien Tagen, die über Weihnachten fest eingeplant waren, wurden mehr. Zwar wurde der elektronische Posteingang zur Sicherheit morgens und abends pflichtbewusst geprüft – obgleich die Wahrscheinlichkeit, dass gerade zwischen dem 28. und dem 31. Dezember neue Kunden den Weg ins TextLoft finden, erfahrungsgemäß extrem gering ist –, stand aber in keiner Weise im Mittelpunkt des Lebens. Der Computer selbst fristete ein unbeachtetes und überflüssiges Dasein auf dem verwaisten Schreibtisch.
Nach den wiederholten und umfangreichen Marketingaktionen der vergangenen Monate, für die jede theoretisch freie Minute erbarmungslos genutzt worden war, war es eine regelrecht fremd anmutende Situation und eine zugegebenermaßen willkommene Gelegenheit, Schlaf nachzuholen und sich ausgiebig dem Lesen zu widmen, aber auch gedanklich zur Ruhe zu kommen.

So wurde mir bewusst, wie unzufrieden ich mit der Vorstellung von TextLoft auf der Homepage und den Einleitungstexten der Blogs geworden war. Meine Website war aus Sicht eines zielstrebigen Marketings perfekt …, hatte aber nichts mehr mit mir selbst zu tun. „Klappern gehört zum Handwerk”, heißt es im Volksmund so treffend, nur passt dieses laute Herumstolzieren, zu dem ich mich aus Vernunft gezwungen hatte, nicht zu mir. Mittlerweile hat sich die Seite einer Entschlackungskur unterzogen.

Was diese kleine Woche aber so erholsam und wertvoll machte wie einen ganzen Urlaub, war weniger die Abwesenheit von Arbeit im eigentlichen Sinn als vielmehr die Tatsache, dass ich mir den Luxus eines analogen Lebens offline gönnen konnte. Ich ignorierte mutwillig Facebook, Twitter & Co., las keine Blogs, keine Nachrichten und lebte neun Tage internetfrei, die mir – falls dies nötig gewesen sein sollte – bestätigten, dass ich Computer, Internet und eMail nicht nur nicht vermisse, sondern auch ohne sie viel glücklicher bin.

Dieses analoge Intermezzo war ein Geschenk, das mich darin bestärkt hat, die Grenzen zwischen beruflich unumgänglicher Präsenz und selbstverständlicher Kundenfreundlichkeit und Verfügbarkeit einerseits und meinen eigenen Prioritäten und Bedürfnissen andererseits schärfer zu zeichnen – nicht zuletzt, weil Zufriedenheit und Wohlbefinden zur Erhaltung der Arbeitsqualität beitragen.

12/9/15

Weihnachtskarten – Lust oder Frust?

Ob als Karte, eCard oder eMail – Weihnachten ist die Gelegenheit, Verwandten, Freunden, Kollegen, Mitarbeitern, Geschäftspartnern oder Kunden einige Zeilen zukommen zu lassen. Die ursprünglich religiöse Bedeutung des Festes spielt dabei ebenso wie die tatsächliche Welt- und Glaubensanschauung des Adressaten eine eher untergeordnete Rolle. Der Akt des Schreibens wird hier bestenfalls unreflektiert als Konvention, schlimmstenfalls als notwendiges Übel hingenommen. Doch was genau ist eine Weihnachtskarte? Und was könnte sie sein?

Privat geht es oft vor allem darum, Verbindungen, die während des Jahres in der allgemeinen Hektik des Alltags vernachlässigt oder zumindest wenig intensiv gepflegt werden, zu erneuern und aufrechtzuerhalten, Menschen zu sagen und zu zeigen, dass wir sie nicht vergessen, dass wir an sie denken und ihnen Gutes wünschen. Die Motivationen können hierbei allerdings rechts unterschiedlich sein: Gewohnheit, aufrichtiges Interesse, Herzlichkeit, schlechtes Gewissen, Pflichtgefühl, Mitleid, Berechnung, Selbstdarstellung, Zuneigung … Die Liste ließe sich fortführen.
Im beruflichen Bereich ist das Ende des Jahres nicht nur rechnerisch die Zeit der Bestandsaufnahmen und Bilanzen. Partnerschaften werden bewertet und neu gewichtet, die Qualität der Zusammenarbeit beurteilt. Ob den Kunden gegenüber geäußerte Dankbarkeit und die manchmal unverhohlene Hoffnung auf weitere Aufträge tatsächlich empfunden werden oder längst zur automatischen Floskel verkommen sind, ist nicht nur von dem Wert der geschäftlichen Beziehung abhängig, sondern spiegelt auch das Selbstverständnis und Selbstbild eines Unternehmens wider.

In den meisten Fällen zeigen sich Menschen angesichts der alljährlichen Übung „Weihnachtskarte“ hilflos. Sie greifen auf althergebrachte Formulierungen zurück, die ihnen die Sicherheit geben, nichts Falsches zu tun, der Etikette zu genügen, nicht unangenehm aufzufallen, und die ihnen ermöglichen, die Aufgabe schnell und möglichst mühefrei hinter sich zu bringen.
Es ist schade, denn die Weihnachtskarte wird so zur verpassten Chance.
Der Text wird genauso rasch überflogen, wie er geschrieben wurde, kaum wahrgenommen, und berührt in seiner förmlichen Steifheit und unpersönlichen Phantasielosigkeit nicht wirklich. Er wird als das rezipiert, was er ist: das Produkt einer sinnleeren Konvention, ein gedankenlos hingeworfener Gruß ohne tiefere Bedeutung.

Dabei kann eine Weihnachtskarte zu einem unvergesslichen Erlebnis und einem unersetzlichen Schatz werden, und im beruflichen Bereich eine weit höhere Wirkung erzielen als jede teure Werbung.
Richtig eingesetzt können Worte kostbar wie Brokat, tröstlich wie heiße Schokolade, strahlend wie Gold, weich wie Federn, zart wie ein Windhauch, frisch wie Wasser, süß wie Honig, duftend wie Blumen sein. Das „Geheimnis“ einer gelungenen, sinnvollen und beachteten Weihnachtskarte besteht in Individualität und Originalität, also darin, die Worte so zu wählen, als seien sie ein Geschenk: Sie sollten wohlüberlegt sein und zu der Person passen, der sie gelten, sie in ihrer Denkart und Gefühlswelt ansprechen und für sie einzigartig sein. Sachlich oder überschwänglich, still oder laut, leicht oder kraftvoll … eine „gute“ Weihnachtskarte sagt nichts über denjenigen aus, der sie schreibt, jedoch alles über denjenigen, der sie liest. Sorgsam ausgesuchte Adjektive und eine differenzierte Tonart sind hier die wichtigsten Instrumente. Inspiration ist weniger relevant als Einfühlungsvermögen – wie immer, wenn es ums Schreiben geht.

Wer keine Zeit oder Lust hat, sich in die Adressaten seiner Weihnachtskarten oder -mails hineinzudenken, und dennoch unvergessliche Post verschicken möchte, muss nicht gleich verzweifeln: Es gibt ja TextLoft!

12/8/15

Weihnachtliche Gedanken

Zu Weihnachten hatte ich schon immer ein stark gestörtes Verhältnis.
Bereits als kleines Kind habe ich diese Feiertage gehasst, und kein noch so schönes Geschenk hätte mich dazu bestechen können, ihnen auch nur das Geringste abzugewinnen. Soweit ich zurückdenken kann, war es eine Zeit, die ich irgendwie durch- und zu überstehen versuchte, und ich war jedes Jahr froh und erleichtert, wenn sie vorbei war. In meinen frühesten kindlichen Erinnerungen ist von erwartungsfroher Aufregung, von Lichtern und wundersamen Märchen keine Spur zu finden – viel mehr verbinde ich Weihnachten mit spannungsgeladenen Heucheleien, Ängsten, luftabschnürenden Zwängen, Verboten.

Auch wenn es mir in meinem Erwachsenenleben gelang, selbstbestimmt den biederen Traditionen und anstrengenden Gesellschaften zu entfliehen, und wenn mich das „Fest der Liebe” nicht so oft mit kleineren und größeren Katastrophen bestrafte, wie ich es vielleicht rein subjektiv empfinde, so bleibt doch eine gewisse skeptische Zurückhaltung zurück.

Diese Abneigung ist nicht nur in der Vergangenheit begründet, sondern auch sehr objektiver Natur. Der verordnete Rückzug, die erzwungene Einkehr und die zwanghafte Glorifizierung dreier Werte, die ich für unverständlich und sinnfrei halte – Religion, Liebe und Familie –, die Stille und einengende Handlungspause nehme ich dieser Zeit übel.

Tatsächlich gibt es nur einen Ort, an dem ich in der zweiten Dezemberhälfte sein möchte: New York, der vielleicht einzigen Stadt auf Erden, die nicht unter dem Diktat eines Feiertags zu leben aufhört, in der der Lärm nicht verebbt und der Alltag nicht stirbt. In der Stadt, die niemals schläft, schreien die grellen Weihnachtslichter nach Konsum und Spiellust. Die Geschäftigkeit aber geht an ihnen vorbei und folgt den eigenen Wegen. Keine verlogene Besinnlichkeit, keine stickige Gemütlichkeit, keine selbstverliebte Inszenierung pflichtbewusst gedämpfter Stimmung – New York lässt sich nichts sagen, lässt sich nicht in die Knie zwingen. Bunt, schrill und lebhaft feiert es nur sich selbst und die Normalität eines atemlos rasenden Lebens, allem 25. Dezember zum Trotz. New York verdient auch an diesem Tag Geld und überlässt es jedem, zu tun und zu lassen, was er will. Diese Stadt zeigt eine erfrischende und ehrliche Selbstbezogenheit jenseits kalendarischer Gebote. Dort ist Ruhe keine Tugend – in vollen Zügen zu leben, schon.

Zu Weihnachten wäre es einfach … THE place to be.

08/10/15

Schreibsommer

Die meisten Menschen stellen sich vor, dass Schreibende vor allem in den dunkleren Jahreszeiten gerne schreiben: Unfreundliches Wetter lade ein, im Haus zu bleiben, nichts lenke ab und verführe, nach draußen gehen zu wollen, es gebe also nichts Besseres zu tun, als zu arbeiten.
Für mich stimmt das kaum, und im Laufe der Jahre sind mir meine Schreibsommer immer wichtiger geworden, auch wenn ihre Bedeutung sich stark geändert hat.

Als Kind und Jugendliche war ich leider eine zu fleißige kleine Person, die das Wort „Pause“ nicht kennen wollte. Lesen, Lernen, Schreiben waren mein Lebensinhalt, und Schulferien und jede Tätigkeit fernab von Büchern, Stift und Papier eine ungeliebte Unterbrechung.
Da dieser unzähmbare Eifer bald Gesundheit und Augenlicht zu gefährden drohte, zwangen mir meine Eltern aus schierer Verzweiflung eine Vereinbarung auf: Ganze drei Wochen im Jahr waren Schreiben und Lernen verboten, und der Lesestoff musste sich auf unterhaltsame Literatur wie Kriminalromane und dergleichen für die Abende beschränken. Weitere zwei Wochen durfte ich lediglich drei Stunden am Vormittag schreiben und arbeiten. Diese durchaus sinnvolle, aber verhasste Maßnahme koste mich viele Tränen, doch sie führte nicht nur dazu, dass ich tatsächlich mich zu regenerieren lernte: Der Kopf wurde frei und sprühte nur so vor Schreibideen, so dass ich es nicht abwarten konnte, sie endlich zu Papier bringen zu dürfen. Besuchte Orte, Begegnungen, das Abendlicht am Strand, der Geruch der Cafés unter den Palmen der Promenade, der warme Duft von Konfitüren, wenn im August Aprikosen und Pflaumen eingekocht wurden … alles war wertvoller Rohstoff, den zu nutzen ein unbändiges Verlangen gebot.

Erst als ich dem Gesetz nach schon erwachsen war, lernte ich den Wert und den Genuss eines Urlaubs zu schätzen und fand in dem befreienden, erholsamen und inspirierenden Nichtstun und der produktiven Frische, die ihm folgten, ein angenehmes und fruchtbares Gleichgewicht.
Dass ich den für mich perfekten Urlaubsort gefunden hatte, der mich auch während der weiteren elf Monate nicht losließ und nach dem ich mich regelrecht sehnte, war an dieser Verwandlung nicht ganz unschuldig. Einmal im Jahr brauchte ich den Anblick des strahlend blauen Meeres, den Duft von Kräutern und Gewürzen, die feuchte Kühle steinerner Gassen und sog sie in mich hinein, auf dass sie mich durch den Winter tragen konnten. Heute, über dreißig Jahre später, ist das immer noch der Platz, an dem ich schreiben möchte.

Mit dem Schritt in die Selbständigkeit verabschiedeten sich Gewohnheiten und feste Lebensrhythmen. So etwas wie Urlaub kam bald nicht mehr in Frage. Der Sommer wurde zu einer Zeit, in der das Schreiben eine andere Qualität annahm.
Das verringerte Auftragsaufkommen ermöglicht die Vorbereitung neuer Werbekampagnen, Vernachlässigtes muss nachgeholt werden, die Pläne für das kommende Halbjahr aufgestellt, das Internet auf potentielle Auftraggeber durchsucht. Hektikfreie Wochen dieser Art sind hilfreich, um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Arbeit bleibt das vorherrschende Thema, doch verläuft sie entspannter und fühlt sich unbeschwerter an, und auch privates Schreiben oder vereinzelte Lesestunden holen sich ihr Recht zurück.

Die Wahrheit ist: Ohne den Sommer könnte ich vermutlich nicht schreiben. Er ist Gesundheitselixier, Gedankenbrunnen, Entschädigung und Ansporn. Es gibt für mich keinen Sommer ohne Schreiben – und kein Schreiben ohne Sommer.

05/13/15

Von alten Schreibfreunden

Langsam wird es etwas wärmer. Die Sonne scheint häufiger, die Gärten rund um das TextLoft verwandeln sich. Saftig-frisches Grün atmet sich mit tiefen Zügen aus der noch feuchten dunklen Erde frei. Rotkehlchen und Heckenbraunellen arbeiten fleißig am Nestbau, während die Amseln offenbar bereits den Nachwuchs versorgen. Mai ist ein Monat ganz aus Licht, hellen Farben und klaren, geraden Formen. Entspannung und Erleichterung hängen in der Luft, in der der Winter endlich nicht mehr nachhallt.

Zu meinen besonderen Begleitern durch diese unvergleichlichen Wochen des Jahres gehörte seit unserem Umzug hierher ein großer Flieder, der wohl vor sehr langer Zeit jenseits eines kleinen Zauns, etwa 15 Meter von meinem Schreibtisch entfernt, sich häuslich eingerichtet hatte. An diesem sonnigen Platz zwischen einer imposanten Weigelie und einer Hauswand muss es ihm sehr gut gefallen haben, denn er wurde kräftig und wunderschön. Seine weißen Blütentrauben, das gesunde Holz und die romantisch anmutenden Zweige verliehen allem, was ihn umgab, einen verträumt-ländlichen, Gelassenheit und Selbstbewusstsein ausstrahlenden Charme.
Was mich aber immer wieder verzauberte, war sein Duft. Jeden Tag, am frühen Abend, in jenen Stunden, in denen die noch zu junge Frühlingssonne die Kräfte verlassen, doch die Nacht noch lange nicht einbricht, erreichte mich sein blumiger Hauch. Gerade dann, wenn ich zu beschäftigt gewesen wäre, um bewusst an ihn zu denken und mich an seinem atemberaubenden Anblick zu erfreuen, zwang mich seine Botschaft, für einen kurzen, magischen Augenblick innezuhalten. Und immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich ihm dankbar und vertraut zulächelte. Sein Duft brachte Wärme und Geborgenheit in meine Gedanken, streichelte schützend meine Haut. In den letzten zehn Jahren wurde er so für mich mehr als nur ein Baum. Er war ein Freund, und sein Duft schenkte mir Zuversicht.

Im vergangenen Sommer zogen neue Mieter ins Nachbarhaus ein. Eines schönen Samstagmorgens in aller Frühe kreischte eine Säge, als würden Schmerzensschreie den frühen Tag zerreißen.
Anstelle des schönen alten Flieders, der unzählige Gewitter, Stürme, Hagelunwetter und sonstiges Ungemach viele Jahrzehnte lang schadlos und stolz überstanden hatte, steht nun eine stylische Gartendusche.

Nun, in diesen Tagen, ist die Zeit gekommen, da er mich wieder begleiten sollte. Aber er ist nicht mehr da.
Das junge Pärchen, das ich nur flüchtig und aus der Ferne gesehen habe, werde ich – einem etwas komplexen Grundstückszuschnitt sei Dank – höchstwahrscheinlich niemals persönlich kennenlernen. Es ist gut so. Denn wer auch immer sie sein mögen – ich kann ihnen nicht verzeihen.
Mein guter alter Freund fehlt mir sehr.

01/6/15

Von Wünschen & Träumen

Der Jahresbeginn ist für viele gemeinhin die Zeit der Vorsätze. Der willkürlich festgelegte Neuanfang soll den Vorwand bieten, Dinge endlich in Angriff zu nehmen oder zu erreichen, zu denen die Motivation ohne diesen künstlich bedeutungsbeladenen Umbruch nicht genügen würde.
Ich kann mit diesem Brauch wenig anfangen.
Für mich ist die Pause zwischen den Weihnachtstagen und dem 1. Januar eher – neben den mit dem geschäftlichen Jahresabschluss verbundenen Pflichten – die Gelegenheit für Luftschlösser, für Träume und Wünsche, Utopien und Märchen, während ich auf den Frühling warte.

Was wäre, wenn …
Was wäre, wenn die Tage länger oder nach Belieben dehnbar wären?
Ich könnte dann alle Blogs führen, die ich schon lange schreiben möchte: ein Jahreszeitenblog, ein Blog über das spannende und vielseitige Thema des Textprofilings und der angewandten Hermeneutik in der Verhaltensanalyse, ein Blog über den Einsatz von Papier, Text und Typographie in Filmen …

Was wäre, wenn die Kunden ihre Rechnungen nicht erst nach der vierten Mahnung bezahlen würden? Es wäre so schön, ruhigen Magens einschlafen zu können.

Was wäre, wenn ich in den USA leben würde? Ich könnte alle Unternehmen, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde, einfach direkt ansprechen, und kein Gesetz würde es mir verbieten …

Was wäre, wenn der Sommer wieder diesen Namen verdienen würde, wenn er ohne Stürme und Katastrophen verlaufen würde? Es wäre wunderbar, wieder draußen schreiben zu können …

Was wäre, wenn das Jahr faszinierende und belohnende Projekte mit angenehmen und professionellen Partnern bringen würde? Wenn ich die Möglichkeit hätte, mit Monica Bengoa zusammenzuarbeiten?

Mit den ersten Stunden des neuen Jahres, wenn die letzten Lichter des Feuerwerks in dichten Rauchwolken erlöschen und die kalte Winterluft sich auf den Morgen vorbereitet, treiben die Wünsche und Träume in den Januar-Himmel hinauf. Zurück bleibt die spannende Erwartung des wiedererwachenden Alltags.

12/9/14

Winter im Textloft

Es könnte ein schönes Bild sein.
Draußen herrscht Eiseskälte. Die kahlen Bäume zeichnen einsam ihre Schriften in den grau-weißen Himmel. Filigraner Frost verziert vergessenes Laub. Meisen, Rotkehlchen und Eichhörnchen streiten um die Futterstelle. Vielleicht liegt auch Schnee, weiß und knirschend. Im Inneren des Hauses wird in wohliger Wärme geschrieben, Seite um Seite, während Wolken und Nacht von dem goldenen Licht der Schreibtischlampe fröhlich und umschmeichelnd durchbrochen werden.

An diesen Tagen, an denen das Thermometer im Münsterland sich hartnäckig an die Null-Grad-Marke klammert, versuche ich oft, mir dieses Klischee vorzustellen. Ich weiß noch, dass ich es gelebt habe. Es scheint mir unendlich lange her zu sein. Gerade die Kälte machte in jener Zeit die Arbeit leicht – fühlte ich mich doch hinter der Festung meines Schreibtisch geschützt und geborgen.

Es ist anders geworden. In den Räumen, die das TextLoft beherbergen, ist der Winter der größte Feind der Produktivität. Es ist nicht so, dass ich nicht arbeite. Aber es ist ein zerhackter und mürrischer Vorgang. Zu zahlreich sind die Ablenkungen, die mit dem Versuch einhergehen, der Witterung standzuhalten, ja, sie irgendwie zu überleben: Der ständige Gang zum Heizkörper in der Hoffnung, zumindest für eine Minute so etwas wie Wärme zu spüren, die kältesteifen Finger, der verspannungsbedingte Muskelkater, die wiederholte Zubereitung von wärmenden Getränken unterbrechen den Schreibfluss immer wieder aufs Neue. Mitten in einem Text werden die Gedanken vom eisigen Durchzug erfasst, der bissig durch das Mauerwerk dringt. Schlechte Laune schleicht sich mit ihm herein.
Der Winter scheint ein einziger langer Tunnel. Und das Ende ist noch so weit …

12/7/14

Home Office & Nachbarschaft

Während der Begriff des „Home Office” mittlerweile in aller Munde ist, ist die Arbeit in den eigenen vier Wänden paradoxerweise noch immer alles andere als selbstverständlich und wird nach wie vor als Kuriosum betrachtet – nicht zuletzt von Nachbarn.

Bei der älteren Generation sind Argwohn und Verdacht die ersten üblichen Reaktionen. Wer den ganzen Tag zu Hause ist, kann kein anständiger Mensch sein. Das Missverständnis kann allerdings und meist dank unverhohlener bis bohrender Neugier im allgemeinen schnell aufgeklärt werden, und gerade dann erweisen sich die Klischees, die sich um den Beruf des Schreibens ranken, als ungeheuer hilfreich. Als „Wortvirtuose”, der in der Tat in der Lage ist, mit dieser schweren Kunst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, genießt man von da an sogar ein gewisses Maß an Anerkennung, was ein wenig zum Schmunzeln verführt.
Jüngere Menschen kennen solche Vorurteile zwar nicht mehr, aber auch für sie ist die Situation offenbar nicht alltäglich und sie wird unterschiedlich bewertet. Die Palette erstreckt sich von Neid – Geld verdienen zu können, ohne bei Regen und Schnee das Haus verlassen zu müssen, erscheint als äußerst erstrebenswert – bis Mitleid – ein Leben ohne den täglichen Umgang mit den Kollegen an der Kaffeemaschine können sich viele überhaupt nicht vorstellen.

Unabhängig von der Akzeptanz oder Rezeption dieser für die meisten noch immer ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen ist das Home Office in Wirklichkeit eine sehr fruchtbare Grundlage für angenehme und interessante nachbarschaftliche Beziehungen.
In unserem Haus, in dem die Mieter sehr häufig wechseln, haben wir schon eine Reihe spannender Bekanntschaften machen dürfen – darunter eine sympathische und entwaffnend chaotische junge Familie, eine alleinstehende Dame mit Hang zur öffentlichen Darstellung ihres Sexuallebens, verirrte Nordlichter, heimwehgeplagte Schwaben, trinkfreudige Studenten und viele Pärchen aller Art … Mit einigen ehemaligen Nachbarn pflegen wir heute noch, lange nach ihrem Auszug, Kontakt.

Tatsächlich wird unser Home Office von unseren Nachbarn als Glücksfall betrachtet, und sie genießen es offenkundig: Kein Paket muss an den Absender zurückgeschickt oder vom Postamt abgeholt werden; während der Urlaubszeit ist jemand da, der den Briefkasten regelmäßig leert, die Blumen gießt oder die Katzen füttert; niemand muss an einem Arbeitstag zu Hause bleiben, weil Handwerker oder Schornsteinfeger ihren Besuch angekündigt haben.
So haben wir unsererseits die abwegigsten Geschichten erlebt: Wir wurden einmal vom Flugzeug aus angerufen und gebeten, eine vergessene Kaffeemaschine auszuschalten; ein anderes Mal mussten wir Briefe mit langersehnten Prüfungsergebnissen öffnen und am Telefon vorlesen.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, so unfreiwillig in das Privatleben Anderer eindringen zu müssen, so hat dieses besondere nachbarschaftliche Verhältnis einen sehr schönen Aspekt. Ob wir eine ungeduldig erwartete Bestellung, ein bunt dekoriertes Überraschungspäckchen, einen abgegebenen Blumenstrauß überreichen oder einen für einen Tag hinterlegten Schlüssel zurückgeben – wir bekommen jedes Mal, wenn wir die Tür öffnen, das Geschenk eines aufrichtigen Lächelns. Manchmal – so gestern am Nikolaustag – ist auch ein süßes Dankeschön dabei.

06/11/14

Zuhause

Lange Zeit hatte ich die Orte, an denen ich schrieb, nur von innen betrachtet. Idealerweise sollten sie so eingerichtet sein, wie ich es für richtig hielt, meinen ästhetischen Erwartungen genügen, und bis zu einem gewissen, weit weniger entscheidenden Grad auch praktische Aspekte erfüllen.
Allerdings war sowohl das eine als auch das andere kaum möglich, denn meine Schreibplätze waren immer eng bemessen. Nachdem ich mein Studentenzimmer verlassen hatte – diesen Raum hatte ich geliebt, und ich verbinde heute noch meine schönsten Erinnerungen mit ihm –, musste ich viele Kompromisse eingehen. Dreizehn Jahre lang war mein sogenanntes Büro eine winzige Ecke in einem insgesamt 12 m² kleinen Küche-Bibliothek-Ess- und Wohnzimmer – und dies waren nicht einmal meine schlechtesten Arbeitsbedingungen. Aber ganz gleich, wie unvermeidlich ungeeignet oder überfüllt diese Apartments waren, ich machte mir über das Gebäude, das sie jeweils umschloss, nie Gedanken. Bis ich vor zehn Jahren in die Räumlichkeiten zog, die nun das Textloft beherbergen.
Von diesem Augenblick an wurde alles anders. Die Wohnung schien mit ihren 74 m² einfach riesig und war zudem hervorragend geschnitten. Endlich konnte ich die Möbel kaufen, die ich mir immer gewünscht hatte, endlich konnte ich mich mit Dingen umgeben, die ich liebte. Endlich konnte Ordnung herrschen, endlich kam ich an Unterlagen heran, ohne einen dreistöckigen Stapel Umzugskartons auseinandernehmen zu müssen. Endlich stand mein Archiv in einem Keller und bildete nicht mehr das wackelige Kopfende meines Bettes. Endlich hatten all meine Bücher Platz. Und unerhoffte 4 m² Balkon mit einem wunderbaren Blick auf einen benachbarten natürlichen Garten, der einen vergessen lassen konnte, dass man sich mitten in der Stadt befand, boten für den Sommer einen märchenhaften Arbeitsplatz im Freien.
Im Laufe der Jahre entdeckte ich, dass ein Ort des Schreibens nicht nur aus Räumen besteht und das Gebäude selbst eine ungeahnte Bedeutung einnehmen kann. Ich erlebte Kabelbrände, einstürzenden Putz und lockeres Mauerwerk, Überschwemmungen durch undichte Fenster und brüchige Wände, instabil gewordene Böden und unsichere Stromleitungen. Ich erlebte, wie es ist, neun Monate im Jahr Tag für Tag am Schreibtisch zu frieren, wenn es keine noch so fleißige Heizung mit den chronisch von Rissen und Spalten durchsetzten Wänden aufzunehmen vermag. Ich erlebte, wie Erdachtes sinnlos wurde und wie ein großer Sessel etwa, der als Lese- und Korrekturecke fungieren sollte, bis heute wegen des trotz aller Bemühungen nicht abzustellenden Durchzugs nicht oder höchstens an wenigen Tagen im Hochsommer genutzt werden konnte. Das Gefühl, zu Hause unter nach menschlichem Ermessen meteorologisch normalen Umständen geschützt zu sein, verschwand immer mehr, und im selben Maße wurde die Frage, ob diese Unsicherheit dem Schreiben eher abträglich ist, oder ob die überspitzte Empfindsamkeit, die sie bedingt, eher zu neuen Texten führt, immer präsenter.
Ich weiß nicht einmal, ob ich mich je wieder in irgendeinem Haus sicher fühlen könnte. Vielleicht habe ich diesbezüglich einfach meine Unschuld verloren. Und doch ertappe ich mich hie und da dabei, mir vorzustellen, wie es wohl wäre, mit einem Gefühl der Geborgenheit von einem warmen Zimmer heraus, dessen Fenster nicht beim kleinsten Windhauch in ihrer Verankerung beben, einen Schneesturm, einen Hagelschauer oder einen kräftigen Sommerregen zu beobachten.

07/28/13

Sommerzeit

Der Sommer ist im TextLoft wider Erwarten immer eine aufregende Zeit.
Dabei deutet zunächst nichts darauf hin. Viele Stammkunden gönnen sich eine Pause und entfliehen für ein paar Wochen dem Alltag, der eingespielte Rhythmus aus Aufträgen und Anfragen wird langsamer – als ließe er sich von Wärme und Sonne anstecken und wollte er sich herausnehmen, nach eigenem Gutdünken dahinzuplätschern und der allgemeinen Trägheit zu folgen. In der Tat könnten es ihm die Tage gleichtun und niemand würde sich darüber wundern. Am Abend, wenn Meisen und Amseln des Badens müde sind und die Terrasse freigeben, die für die kommenden Stunden zum Schreibplatz werden darf, tragen allenthalben fröhliche Stimmen, Gelächter und Musik den Duft von Holzkohle, noch heißem Kuchen und Gegrilltem ins Loft, Leben und Schreiben fühlen sich leicht an. Federleicht.
Doch die euphorische Unbeschwertheit verführt nicht nur zum Träumen. Es ist der richtige Moment, Bilanz zu ziehen, die kommenden zwölf Monate zu überblicken, Ideen niederzuschreiben, Projekte bis ins kleinste Detail durchzuplanen, Terminkalender auszufüllen, mit Überschwang Neues in Angriff zu nehmen. Akten werden umsortiert, neue Mappen beschriftet, Buchhaltung und Kundenverwaltung umorganisiert, Ordnerstrukturen auf der Computer-Festplatte gestrafft, Schreibwaren bestellt. Im Loft herrscht Aufbruchsstimmung.
Diese energiegeladenen Tage lassen durch das abergläubisch gepflegte Versprechen besserer Zeiten ein wenig vergessen, wie lange der letzte Urlaub zwischen Lavendel und blauen Wellen doch schon zurückliegt.

07/25/13

Gewittertag

Für den Schreibenden ist ein Gewitttertag in erster Linie ein Urlaubstag: Der Computer bleibt zu seinem eigenen Schutz ausgeschaltet, eMails müssen geduldig im elektronischen Briefkasten warten. Die Arbeit findet auf Papier statt, das sinnliche Kratzen von Kugelschreiber, Bleistift und Füller ersetzt das nervös fordernde Klicken der Tastatur – das Leben tut es der wärmemüden Luft gleich und atmet durch. Es ist die Gelegenheit, vernachlässigte private Korrespondenz zu erledigen, für die Blogs einen Veröffentlichungsplan aufzustellen, eine Liste der unumgänglichen Weihnachtsgeschenke zusammenzustellen – oder auch Artikel auf Vorrat zu verfassen, damit die Blogs in arbeitsintensiveren Zeiten nicht ganz verwaist bleiben. Alle diese Kleinigkeiten, die Ordnung in Alltag und Gedanken bringen, schaffen den Einklang zwischen der reinigenden Pause, die sich die Natur gönnt, und der Zufriedenheit, mit der der Abend die sanft plätschernde Betriebsamkeit belohnt. Aus der systematischen, beinahe leistungsethischen Zuverlässigkeit von Donnergrollen und lauten Regentropfen erwachsen die Frische aufgeräumter Gedanken und das angenehme Gefühl, nach müheloser Pflichterfüllung unbelastet, gestärkt und positiv gestimmt in den nächsten Tag gehen zu dürfen.

07/31/12

Ein perfekter Tag

In letzter Zeit hatte der Frust die Oberhand gewonnen: Das indiskutable Wetter, unangenehme Kunden mit unrealistischen bis unverschämten Preisvorstellungen, eine unterirdische Zahlungsmoral, die bevorstehende Zerstörung meines geliebten Vorgärtchens durch unumgängliche Bauarbeiten, Angst um das trotz beeindruckender Mieten marode Gebäude, das das TextLoft beherbergt, hatten den Alltag über viele Monate in ein breiiges Mosaik aus mittleren Katastrophen verwandelt, und das Leben verlief in einem nicht enden wollenden Tunnel kleiner und großer Ärgernisse und Sorgen, gegen die sich der durch zu kurze, seit einem halben Jahr regelmäßig von Bohr- und Hämmerlärm aus einer Dauerbaustelle im Nebenhaus und den stets zur Unzeit herausbrechenden Bellattacken eines neu eingezogenen, offenbar andauernd wütenden Hundes jäh beendete Nächte übermüdete Körper nicht mehr so recht zu wehren wusste.
In dieser düsteren Stimmung war ich nicht einmal bereit gewesen, der Wettervorhersage Glauben zu schenken, als angekündigt wurde, dass sich etwas wie Sommer einstellen sollte.
Aber die guten Dinge kommen eben unverhofft, und als ich an jenem Tag aufstand, war der Sommer wirklich da.

Es war nicht nur die Sonne, die einen ungetrübten und heißen Tag versprach. Der laue und weiche Wind, der die Haut sinnlich streichelte, trug den Duft von Gras, Holz, Phloxen und Lavendel zu mir herein. In jedem anderem Jahr hätte ich nun die Fenster geschlossen, das Loft abgedunkelt, um für die kommenden Tage für Mensch und Maschinen einen Rest Kühle in den Räumen zu bewahren. Aber nach diesen langen dunklen und hoffnungsfreien Wochen konnte ich es nicht und ich ließ die Wärme gewähren. Nachdem ich den Blumenuntersetzer, der unseren vielen gefiederten Besuchern als Schwimmbad dient und den sie offenbar jeder für sie erdachten und im Handel zu erwerbenden Luxusausgabe konkurrenzlos vorziehen, nachgefüllt und die Pflanzen des Töpfchengartens versorgt hatte, setzte ich mich mit einem längst vergessenen Glücksgefühl an den Schreibtisch. Wenige Tastenbewegungen später bemerkte ich ein morseartiges Tippen und ein seidiges Rascheln. Die erste kleine Blaumeise des Tages hatte den Weg ins Wasser gefunden.
Das tippend-tickende und raschelnde Geräusch unbeschwerten Vogelglücks begleitete mich durch die Arbeitsstunden bis in den Abend hinein, während Rotkehlchen, Heckenbraunellen, Kohl- und Blaumeisen, aber auch Amseln, für die die Schale genau genommen viel zu klein sein sollte, ihren ganz eigenen Pool in vollen Zügen genossen.
Der grüne Salat mit eingelegten Entenmagenstreifen, die Melone, der Orangensaft schmeckten so intensiv wie lange nicht mehr, der Kaffee duftete ganz ungewöhnlich, und dass ich den Einbruch der Nacht mit Schreibblock und Buch auf der Terrasse erleben durfte, ohne dass eine weitere Katastrophe oder schlechte Nachrichten die gute Stimmung zunichtemachten, war der perfekte Abschluss eines perfekten Tages.

07/11/12

Warum die Jahreszeiten für Schreibende so wichtig sind

Wer regelmäßig im Blog vorbeischaut, merkt bald, dass Einträge nicht selten das Wetter und die Jahreszeiten zum Thema haben, und auch mein Twitter-Account könnte den Eindruck entstehen lassen, meteorologische Beschreibungen seien das eigentliche Betätigungsfeld von TextLoft.

Dass solche Dinge in der Tat eine große Rolle spielen, hat mit den eigenen Gesetzen des Schreibprozesses zu tun.

Zum einen liegt es in der Natur der Sache, dass – von Recherchen abgesehen – der Vorgang des Schreibens sich mehrheitlich in den eigenen vier Wänden abspielt. Wer ernsthaft schreibt, verlässt das Haus manchmal über Wochen oder Monate nicht oder nur sehr wenig, d.h. nur sehr sporadisch und nur sehr kurz. Unabhängig davon, dass Termine manchmal einzuhalten sind und intensives Arbeiten also nicht zu vermeiden ist, ist diese Abgeschiedenheit für den Schreibenden der einzige Weg, den Text im Fluss zu halten, inhaltliche und stilistische Konsistenz zu erreichen, ein homogenes Werk zu erschaffen und eine von der ersten bis zur letzten Seite gleichbleibende Denk- und Schreibqualität zu erhalten. Während es bei wissenschaftlichen Texten oder Sachbüchern durchaus sinnvoll und vorteilhaft ist, einem festen Stundenplan oder einem bestimmten täglichen Seitenpensum zu folgen und danach die Arbeit bis zum nächsten Tag ruhen zu lassen, ist dies etwa bei Romanen weder wirklich möglich noch wünschenswert. Der Text lässt sich hier nicht bändigen, er muss ausbrechen und kann nicht einfach zurückgehalten werden, er kennt keine Uhrzeiten, keinen Tag, keine Nacht. Wie ein reißender Fluss bahnt er sich seinen Weg, notfalls mit Gewalt, und dem Schreibenden bleibt nichts anderes übrig, als bis zur Atemlosigkeit zu schreiben. Er lebt für diese Zeit in einem Tunnel aus Worten, einem soliden Bau aus Gedanken, in den die Außenwelt nicht einzudringen vermag. Das, was draußen geschieht, reduziert sich in solchen Zeiten auf die überschaubaren Eindrücke, die sich durchs Fenster schleichen oder – je nach Wohnsituation – in der Möglichkeit offenbaren, auf dem Balkon, der Terrasse oder im Garten zu schreiben. Diese wenigen Schnappschüsse, die sich in solchen Phasen höchster, ja vernichtender Konzentration aus Licht, Farben und Temperaturen ergeben, wenn die Augen für einen Augenblick das Papier oder den Bildschirm verlassen, ohne den Gedanken aufzugeben, oder die Umgebung unbewusst wortsuchend ertasten, sind dann der einzige Kontakt zur Außenwelt, das einzige Entkommen in die Realität, die einzige Flucht aus dem zwanghaften Fieber des Schreibens. Um so wichtiger sind diese winzigen Momente der Linderung und der Normalität. Sie sind Arznei, Entschädigung und Belohnung zugleich.

Ein weiterer Grund ist der Beruf des Schreibens an sich. Schreibende, Maler, Fotografen, Innenarchitekten gehen im Grunde derselben Tätigkeit nach: Sie erfassen Bilder, Farben, erspüren Ungesagtes, Unterschwelliges, Stimmungen und geben sie mithilfe ihres jeweiligen Mediums wieder oder erschaffen sie da, wo sie nicht vorhanden sind. Dieses Erspüren, Erfassen, die Beobachtung natürlicher Dinge und menschlichenVerhaltens sind also viel wichtiger als der fälschlicher Weise als „kreativ“ bezeichnete Prozess.
Schon aus diesem Grund bringen Schreibende eine Art natürliche Wetterfühligkeit mit, eine Überempfindlichkeit für kleinste Veränderungen des Himmels, des Lichts, der Luft, der verschiedensten atmosphärischen Phänomene. Sie sind nicht nur Lebensersatz in Zeiten intensiven Schaffens, sie sind auch Symptom und Material, Nahrung und Grundlage. In dem jeden Tag gleichen Umfeld des „Homeoffice“, wie es Neudeutsch heißt, ist der Wechsel der Jahreszeiten zudem eine gesundheitlich notwendige, ja überlebenswichtige Größe. Er schenkt den Rhythmus, der das Leben „nur zu Hause“ strukturiert, Prekarität zu überbrücken hilft und lehrt, Genuss nicht zu vergessen.
Aus dieser Symbiose entsteht nicht zuletzt aber eine labile Abhängigkeit. Fällt eine Jahreszeit aus, ist der Sommer herbstlich kühl und verregnet oder der Winter unnatürlich mild, wankt die feste Funktion des Wetters. Das Gefühl von an das Schreiben verlorenen Lebenszeiten kommt zutage und stellt Existenzentscheidungen in Frage.

Das seltsam tiefe, innige und fragile Verhältnis des Schreibenden zum Wetter und die krankhaft-zwanghafte Aufmerksamkeit, die er ihm schenkt, sind mehr als eine typische „Künstlerschrulle“. Sie sind Ausdruck all dessen, was das Schreiben ausmacht – in seiner Verbundenheit und Liebe zum Leben und zur Natur, in seiner nicht ungefährlichen Verwundbarkeit.