12/9/15

Weihnachtskarten – Lust oder Frust?

Ob als Karte, eCard oder eMail – Weihnachten ist die Gelegenheit, Verwandten, Freunden, Kollegen, Mitarbeitern, Geschäftspartnern oder Kunden einige Zeilen zukommen zu lassen. Die ursprünglich religiöse Bedeutung des Festes spielt dabei ebenso wie die tatsächliche Welt- und Glaubensanschauung des Adressaten eine eher untergeordnete Rolle. Der Akt des Schreibens wird hier bestenfalls unreflektiert als Konvention, schlimmstenfalls als notwendiges Übel hingenommen. Doch was genau ist eine Weihnachtskarte? Und was könnte sie sein?

Privat geht es oft vor allem darum, Verbindungen, die während des Jahres in der allgemeinen Hektik des Alltags vernachlässigt oder zumindest wenig intensiv gepflegt werden, zu erneuern und aufrechtzuerhalten, Menschen zu sagen und zu zeigen, dass wir sie nicht vergessen, dass wir an sie denken und ihnen Gutes wünschen. Die Motivationen können hierbei allerdings rechts unterschiedlich sein: Gewohnheit, aufrichtiges Interesse, Herzlichkeit, schlechtes Gewissen, Pflichtgefühl, Mitleid, Berechnung, Selbstdarstellung, Zuneigung … Die Liste ließe sich fortführen.
Im beruflichen Bereich ist das Ende des Jahres nicht nur rechnerisch die Zeit der Bestandsaufnahmen und Bilanzen. Partnerschaften werden bewertet und neu gewichtet, die Qualität der Zusammenarbeit beurteilt. Ob den Kunden gegenüber geäußerte Dankbarkeit und die manchmal unverhohlene Hoffnung auf weitere Aufträge tatsächlich empfunden werden oder längst zur automatischen Floskel verkommen sind, ist nicht nur von dem Wert der geschäftlichen Beziehung abhängig, sondern spiegelt auch das Selbstverständnis und Selbstbild eines Unternehmens wider.

In den meisten Fällen zeigen sich Menschen angesichts der alljährlichen Übung „Weihnachtskarte“ hilflos. Sie greifen auf althergebrachte Formulierungen zurück, die ihnen die Sicherheit geben, nichts Falsches zu tun, der Etikette zu genügen, nicht unangenehm aufzufallen, und die ihnen ermöglichen, die Aufgabe schnell und möglichst mühefrei hinter sich zu bringen.
Es ist schade, denn die Weihnachtskarte wird so zur verpassten Chance.
Der Text wird genauso rasch überflogen, wie er geschrieben wurde, kaum wahrgenommen, und berührt in seiner förmlichen Steifheit und unpersönlichen Phantasielosigkeit nicht wirklich. Er wird als das rezipiert, was er ist: das Produkt einer sinnleeren Konvention, ein gedankenlos hingeworfener Gruß ohne tiefere Bedeutung.

Dabei kann eine Weihnachtskarte zu einem unvergesslichen Erlebnis und einem unersetzlichen Schatz werden, und im beruflichen Bereich eine weit höhere Wirkung erzielen als jede teure Werbung.
Richtig eingesetzt können Worte kostbar wie Brokat, tröstlich wie heiße Schokolade, strahlend wie Gold, weich wie Federn, zart wie ein Windhauch, frisch wie Wasser, süß wie Honig, duftend wie Blumen sein. Das „Geheimnis“ einer gelungenen, sinnvollen und beachteten Weihnachtskarte besteht in Individualität und Originalität, also darin, die Worte so zu wählen, als seien sie ein Geschenk: Sie sollten wohlüberlegt sein und zu der Person passen, der sie gelten, sie in ihrer Denkart und Gefühlswelt ansprechen und für sie einzigartig sein. Sachlich oder überschwänglich, still oder laut, leicht oder kraftvoll … eine „gute“ Weihnachtskarte sagt nichts über denjenigen aus, der sie schreibt, jedoch alles über denjenigen, der sie liest. Sorgsam ausgesuchte Adjektive und eine differenzierte Tonart sind hier die wichtigsten Instrumente. Inspiration ist weniger relevant als Einfühlungsvermögen – wie immer, wenn es ums Schreiben geht.

Wer keine Zeit oder Lust hat, sich in die Adressaten seiner Weihnachtskarten oder -mails hineinzudenken, und dennoch unvergessliche Post verschicken möchte, muss nicht gleich verzweifeln: Es gibt ja TextLoft!

12/7/14

Home Office & Nachbarschaft

Während der Begriff des „Home Office” mittlerweile in aller Munde ist, ist die Arbeit in den eigenen vier Wänden paradoxerweise noch immer alles andere als selbstverständlich und wird nach wie vor als Kuriosum betrachtet – nicht zuletzt von Nachbarn.

Bei der älteren Generation sind Argwohn und Verdacht die ersten üblichen Reaktionen. Wer den ganzen Tag zu Hause ist, kann kein anständiger Mensch sein. Das Missverständnis kann allerdings und meist dank unverhohlener bis bohrender Neugier im allgemeinen schnell aufgeklärt werden, und gerade dann erweisen sich die Klischees, die sich um den Beruf des Schreibens ranken, als ungeheuer hilfreich. Als „Wortvirtuose”, der in der Tat in der Lage ist, mit dieser schweren Kunst seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, genießt man von da an sogar ein gewisses Maß an Anerkennung, was ein wenig zum Schmunzeln verführt.
Jüngere Menschen kennen solche Vorurteile zwar nicht mehr, aber auch für sie ist die Situation offenbar nicht alltäglich und sie wird unterschiedlich bewertet. Die Palette erstreckt sich von Neid – Geld verdienen zu können, ohne bei Regen und Schnee das Haus verlassen zu müssen, erscheint als äußerst erstrebenswert – bis Mitleid – ein Leben ohne den täglichen Umgang mit den Kollegen an der Kaffeemaschine können sich viele überhaupt nicht vorstellen.

Unabhängig von der Akzeptanz oder Rezeption dieser für die meisten noch immer ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen ist das Home Office in Wirklichkeit eine sehr fruchtbare Grundlage für angenehme und interessante nachbarschaftliche Beziehungen.
In unserem Haus, in dem die Mieter sehr häufig wechseln, haben wir schon eine Reihe spannender Bekanntschaften machen dürfen – darunter eine sympathische und entwaffnend chaotische junge Familie, eine alleinstehende Dame mit Hang zur öffentlichen Darstellung ihres Sexuallebens, verirrte Nordlichter, heimwehgeplagte Schwaben, trinkfreudige Studenten und viele Pärchen aller Art … Mit einigen ehemaligen Nachbarn pflegen wir heute noch, lange nach ihrem Auszug, Kontakt.

Tatsächlich wird unser Home Office von unseren Nachbarn als Glücksfall betrachtet, und sie genießen es offenkundig: Kein Paket muss an den Absender zurückgeschickt oder vom Postamt abgeholt werden; während der Urlaubszeit ist jemand da, der den Briefkasten regelmäßig leert, die Blumen gießt oder die Katzen füttert; niemand muss an einem Arbeitstag zu Hause bleiben, weil Handwerker oder Schornsteinfeger ihren Besuch angekündigt haben.
So haben wir unsererseits die abwegigsten Geschichten erlebt: Wir wurden einmal vom Flugzeug aus angerufen und gebeten, eine vergessene Kaffeemaschine auszuschalten; ein anderes Mal mussten wir Briefe mit langersehnten Prüfungsergebnissen öffnen und am Telefon vorlesen.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, so unfreiwillig in das Privatleben Anderer eindringen zu müssen, so hat dieses besondere nachbarschaftliche Verhältnis einen sehr schönen Aspekt. Ob wir eine ungeduldig erwartete Bestellung, ein bunt dekoriertes Überraschungspäckchen, einen abgegebenen Blumenstrauß überreichen oder einen für einen Tag hinterlegten Schlüssel zurückgeben – wir bekommen jedes Mal, wenn wir die Tür öffnen, das Geschenk eines aufrichtigen Lächelns. Manchmal – so gestern am Nikolaustag – ist auch ein süßes Dankeschön dabei.

07/28/13

Sommerzeit

Der Sommer ist im TextLoft wider Erwarten immer eine aufregende Zeit.
Dabei deutet zunächst nichts darauf hin. Viele Stammkunden gönnen sich eine Pause und entfliehen für ein paar Wochen dem Alltag, der eingespielte Rhythmus aus Aufträgen und Anfragen wird langsamer – als ließe er sich von Wärme und Sonne anstecken und wollte er sich herausnehmen, nach eigenem Gutdünken dahinzuplätschern und der allgemeinen Trägheit zu folgen. In der Tat könnten es ihm die Tage gleichtun und niemand würde sich darüber wundern. Am Abend, wenn Meisen und Amseln des Badens müde sind und die Terrasse freigeben, die für die kommenden Stunden zum Schreibplatz werden darf, tragen allenthalben fröhliche Stimmen, Gelächter und Musik den Duft von Holzkohle, noch heißem Kuchen und Gegrilltem ins Loft, Leben und Schreiben fühlen sich leicht an. Federleicht.
Doch die euphorische Unbeschwertheit verführt nicht nur zum Träumen. Es ist der richtige Moment, Bilanz zu ziehen, die kommenden zwölf Monate zu überblicken, Ideen niederzuschreiben, Projekte bis ins kleinste Detail durchzuplanen, Terminkalender auszufüllen, mit Überschwang Neues in Angriff zu nehmen. Akten werden umsortiert, neue Mappen beschriftet, Buchhaltung und Kundenverwaltung umorganisiert, Ordnerstrukturen auf der Computer-Festplatte gestrafft, Schreibwaren bestellt. Im Loft herrscht Aufbruchsstimmung.
Diese energiegeladenen Tage lassen durch das abergläubisch gepflegte Versprechen besserer Zeiten ein wenig vergessen, wie lange der letzte Urlaub zwischen Lavendel und blauen Wellen doch schon zurückliegt.

01/7/09

Stressfreie Adventzeit

Dass der Schreibende zuweilen etwas „anders“ lebt, erkennt er selbst oft nur im direkten Vergleich. Feiertage und ihre Begleiterscheinungen sind hierzu ein besonders auffälliges Kriterium.
Die Adventzeit ist angebrochen. In meinem Bekannten- und Freundeskreis macht sich gestresste Stimmung breit. Familienessen, Firmenfeiern, Einladungen, Besuche werden partnerschaftsgefährdend und wider besseres Wissen synchronisiert, geplant und erahnt. Geschenke müssen gekauft und ansprechend verpackt, Karten ausgesucht und geschrieben werden. Fleisch- und Süßigkeitenberge werden bestellt und gehortet, Traditionen mit abergläubischer Akribie eingehalten, als hinge das künftige Wohlergehen von Generationen davon ab. Gereizte, lästige Vorfreude schwankt zwischen pubertär-anarchistischer Ablehnung, resignierter Überforderung und narzisstischer Detailverliebtheit. Der Baum, die Gans, die Kugeln, die Lieder, die Geschenke, die Schleifen, die Karten, die Aufkleberchen auf den Umschlägen, die Geschenkanhänger, die Sitzordnung, die Termine, die Extrapfunde, das Einkaufen, die überfüllten Geschäfte, die Schlangen an den Supermarktkassen, das pflichtgemäße Keksebacken, die angestrebte Harmonie, das hühnerbatterieähnliche Zusammenhocken, der Erfolgsdruck, an welchem Tag bei wem welcher Kuchen … – und haben wir denn wirklich alles? Nervenaufreibendes, soweit der Advent reicht. Ganze Terminkalenderseiten werden je nach Temperament in allen Richtungen hektisch vollgekritzelt oder neurotisch gegliedert.
In meiner näheren Umgebung gibt es auch viele Verleugner. „Wir machen dieses Jahr gar nichts“ ist für gewöhnlich die psychologisch hilfreiche Umschreibung für: „Ich-habe-drei-Dosen-Plätzchen-gebacken-zwei-muss-ich-noch-hinkriegen-da-ist-aber-auch-das-Krippenspiel-der-Kinder-in-der-Schule-oje-meine-Schwiegermutter-kommt-und-bleibt-eine-ganze-Woche-hoffentlich-ist-die-Gans-grösser-als-letztes-Jahr-da-hat-sie-kaum-gereicht-und-Geschenke-für-Eva-Klaus-und-Peter-habe-ich-auch-noch-gar-nicht-das-Geschenkpapier-muss-ich-noch-besorgen-und-die-Karin-muss-ich-noch-unbedingt-vor-den-Feiertagen-auf-einen-Tee-einladen-und-eigentlich-bin-ich reif-für-die Wellness-Farm-aber-ich-bin-ja-so-tapfer-und-so-tough-und- verdränge-das-jetzt-alles-und-überhaupt-mache-ich-das-so-gern-für-meine-Lieben-und-wenn-alles-nichts-hilft-kann-ich-immer-noch-zusammenbrechen-hach-was-freue-ich-mich-das-wird-sooo-schön.“
Ja, alle freuen sich. Irgendwie. Klar, es ist viel Arbeit. Aber es ist schließlich Weihnachten. Also ist es auch besinnlich. Irgendwie eben.

Das Schreiberleben hat viele Nachteile. Es gibt keinen bezahlten Urlaub, keine Vermögenswirksamen Leistungen, es ist sozial unreif und prekär.
Aber in solchen Zeiten genieße ich es in vollen Zügen, das hart erkämpfte Vorrecht des Bohemiens auf Andersartigkeit ausleben zu können und zu dürfen.
Von mir werden keine bürgerlichen Werte, kein „normales Verhalten“ erwartet. Es gibt kaum eine Zeit des Jahres, in der ich mich so frei fühlen darf. Adventkaffees mit monatelang vernachlässigten Freunden gibt es nicht; ein Abend an einem ohnehin trüben Novembertag genügt, um Herr der Kartenpflicht zu werden – zugegeben: Schreiben ist mein Beruf, ich habe es da wohl etwas leichter. Die Deko ist nach wenigen Handgriffen erledigt – schließlich muss sie nur mir gefallen und erhebt keinen Anspruch auf repräsentative Darstellung.
Auch die Feiertage sind geruhsam. Es gibt keine ermüdenden Autofahrten, kein gemeinsames Musizieren unter dem Weihnachtbaum, keinen langen, zwanghaft in rot-grün-gold mit Rentierporzellan dekorierten Esstisch, kein Fünf-Gänge-Menü, keine Pflichteinladungen verhasster Verwandtschaft; der Weihnachtbaum misst gerade mal 60 cm und kommt alle Jahre wieder in Sekundenschnelle aus seinem Pappkarton; ich stehe nicht stundenlang bangend und schwitzend in der Küche: Das Essen liefert ein Delikatessenversand, und nach Entnahme aus der Dose und 20 Minuten im Ofen sind Rebhuhnkeulchen, Füllung, Sößchen und Trüffelravioli so fertig und schmackhaft wie nur möglich – nur für zwei und ganz ohne mein Zutun. Die Geschenke habe ich meist bereits im Sommer an einem einzigen Nachmittag gekauft und verpackt. Das Aufkleben der Adressen auf die Päckchen kann nicht als Arbeit bezeichnet werden, ein hilfreicher Bote bringt sie zur Post.
Ich bin frei. Ich beobachte die allgemeine Hektik, ich höre mir Klagen, Sorgen, Nöte, Probleme und Aufgabenlisten an und finde in diesen besonderen Wochen des Jahres dadurch zu einer Erholung, wie sie sonst nur der schönste Urlaub bietet. Auch wenn sich hin und wieder einige Pflichten einschleichen, sind sie sehr selten und halten sich in einem erträglichen und mit meiner Aufrichtigkeit zu vereinbaren Maß, sie sind nicht lästiger oder zeitraubender als das Ausfüllen einer Steuererklärung.
Die Erleichterung, die Freiheit, wird körperlich spürbar. Während andere in Planungen und Familienangelegenheiten vergehen, verbringe ich Zeit damit, dem Rotkehlchen bewusst zuzusehen, folge vom Schreibtisch aus der Bewegung des Windes und der Wolken, stehe nachts auf dem eiskalten Balkon und genieße den Anblick der Sterne am klaren Himmel.
Es ist eine erholsame Zeit. Pflichttermine für das kommende Jahr werden in den neuen Kalender eingetragen, die Buchhaltung wird in Ruhe zum Abschluss gebracht, die Aufträge können ohne Störung archiviert werden – entspanntes Warten auf den Frühling beginnt mit dem süßen Nichtstun. Das Telefon bleibt für gewöhnlich still – alle sind ja sooooo beschäftigt.
Der Advent ist eine warme Bresche in der Zeit, losgelöst. Für mich allein stressfrei.