03/15/21

Kolumne – ein im deutschen Sprachraum in Verruf geratenes Genre

Kolumnen sind eine sehr alte Textform und im Grunde in vielfacher Hinsicht die Vorgänger mancher heutiger Blogbeiträge. Ihre Geschichte allerdings hat in den letzten Jahren eine unschöne Wendung genommen, und es ist zu befürchten, dass sie dem Zeitgeist anheimfallen – widersprüchlicherweise, leben wir doch in einer Welt, in der jeder über die elektronischen gesellschaftlichen Netzwerke seine Meinung kundtun kann und von dieser Möglichkeit reichlicher bis übermäßiger Gebrauch gemacht wird.

In früheren Zeiten galten Kolumnen nach dem investigativen Journalismus als prestigereiche Sparte des Zeitungswesens. Kolumnist zu werden bedeutete eine Beförderung und ein erhebliches Ansehen.
In der Tat erfordert die Kolumne besondere stilistische Fähigkeiten, die weit über diejenigen hinausgehen, die für die gewöhnliche Berichterstattung notwendig sind. Die wöchentliche Kolumne war in der säkularen Welt der Zeitung das, war der Messe die Predigt war.

Mit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch begann das Blatt, sich zu wenden. Immer häufiger wurden Kolumnen – in der breiten öffentlichen Vorstellung, aber durch das Aufkommen der Online-Medien und des damit verbundenen Dilettantismus’ auch zum Teil in der journalistischen Szene – mit anderen Formen verwechselt. Die Grenzen zwischen Kolumne, Glosse, Kommentar und Leitartikel wurden zunehmend unscharf. Noch hätten sich die unterschiedlichen Ansätze gegenseitig bereichern können, aber es sollte anders kommen.

Mit der Jahrtausendwende entglitt die Kolumne schließlich dem Journalismus und verlor eines ihrer wichtigsten Merkmale: die Konstante des vertrauten und professionellen Autors. Gastartikeleitelkeit einerseits und die immer dringendere, wirtschaftlich bedingte Unumgänglichkeit eines Gebots der Attraktivität in einer sich selbst aufgebenden Branche andererseits führten dazu, dass der Kolumnist seine Funktion und seine journalistischen Eigenschaften einbüßte. Prominente (oder welche, die es gerne wären) wechselten sich nunmehr ab und änderten die Spielregeln nach Gutdünken und Imageimperativen. Eine verheerende Mischung aus Profilierungssucht und Leserheischerei leitete den Weg zu einem sinkenden Niveau von Textqualität und Themen ein.

Heute ist das Wesen dessen, was eine Kolumne ist und sein sollte, weitgehend vergessen und wird von Lesern überhaupt nicht mehr verstanden, wie die Kommentarfunktion bekannter deutscher Online-Magazine veranschaulicht.
Kolumnen werden besonders gern angegriffen und als grundsätzlich überflüssig betrachtet. Sie sind das bevorzugte Ziel von Rechthabereien und Wortklaubereien und fallen damit, wie viele andere Dinge im Bereich Text, Kunst und Kultur, dem allgemeinen Schrei nach nackten und somit undifferenzierten Daten und vermeintlich objektiven Fakten zum Opfer – als freue sich die Menschheit darauf, endlich von gefühlsneutralen Robotern abgelöst und ersetzt zu werden, als bettelte sie regelrecht darum. Meistens wird nicht die geäußerte Meinung, also der Inhalt kritisiert, sondern das Genre an sich, weil seine Daseinsberechtigung, sein Zweck, seine Absicht und sein Nutzen schlicht nicht mehr bekannt und nicht mehr verstanden werden, und mit einer Reihe falscher Vorstellungen einhergehen.

Dass ein Genre komplett und zudem in relativ kurzer Zeit obsolet wird, ist in der Geschichte des Textes ungewöhnlich und bedauerlich. Dass es ausgerechnet in Deutschland der Fall ist, verwundert allerdings zugegebenermaßen leider wenig. Text- und Formerziehung werden unter dem Vorwand teils historischer Altlasten, die es abzutragen gebe, teils einer erklärten resoluten Zukunftsorientiertheit, tatsächlich wohl eher aufgrund kultur- und mentalitätsgewachsener Denkmuster und Werte grundsätzlich, wissentlich und gezielt vernachlässigt bzw. unterbunden.

So bleibt nur zu hoffen, dass diese Krankheit des Textvergessens nicht allzu sehr um sich greift, sich innerhalb unserer Sprachgrenzen eindämmen lässt und nicht auch noch sie zu einer vernichtenden Pandemie wird.

02/20/16

Umberto Eco hat uns verlassen

Es ist für die Geschichte des Geistes, der Kultur, der Literatur und der Sprache ein schrecklicher Tag – aus meiner (vielleicht zu persönlichen) Sicht der traurigste und deprimierendste seit dem Tode Thomas Manns. Es bleiben bei aller Einsicht, bei allem Wissen um die Unumgänglichkeit der Dinge die überwältigende Hilflosigkeit und das unendlich schmerzliche Gefühl zurück, dass mit dem gestrigen Abend der letzte Anker geisteswissenschaftlicher Intelligenz und Virtuosität sich für immer auflöste und uns bodenloser und verzweifelter Leere anheimgab. Dieser Verlust ist unermesslich.

09/13/15

Schreiben lernen?

Es beginnt mit einem schwärmerischen Kompliment und endet mit einer Frage: „Ich wünschte, ich könnte auch so schreiben wie du. Kann man das lernen?“ Diese Satzfolge ist mir so vertraut, dass hier ein Klischee angebracht ist: Würde ich jedes Mal, wenn ich diese Bemerkung höre, einen Euro bekommen, würde mein Bankkonto … Nun ja.

Der Wunsch, „gut“ – was dies auch immer heißen mag – schreiben zu können, ist weit verbreitet, auch wenn ich wohl nie ganz begreifen werde, wieso. Für mich ist das Schreiben etwas Normales, Alltägliches, eine Tätigkeit wie jede andere auch, nichts Besonderes eben, und vielleicht entgeht mir deshalb der Grund für diese Sehnsucht. Die Antwort auf die Frage jedenfalls ist widersprüchlich und eines klaren Jeins würdig.

Tatsächlich ist Schreiben in erster Linie ein Handwerk, und als solches erlernbar. Es gibt in dieser Sache keinen nennenswerten Unterschied zwischen einem Tischler, einem Goldschmied, einem Mechaniker oder einem Schreibenden.
Wie in den meisten Bereichen auch, gründet Können auf dem Wechselspiel von Lernen und Üben, und wie bei fast allen erlernbaren Fertigkeiten auch, ist ein früher Beginn bereits in sehr, sehr jungen Jahren für das Erreichen eines hohen Niveaus unerlässlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der erst mit vierzig zum Sport findet, eine Goldmedaille bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen gewinnt, ist eher gering, und dies trifft auch auf das Schreiben zu.
„Lernen“ bedeutet hier weniger die Aneignung konkreter Techniken – diese ergibt sich eher aus dem Üben –, als vielmehr Lesen. Liest ein Kind früh sehr viel und sehr hochwertige Literatur, wobei Qualität und Quantität in diesem Fall gleichermaßen entscheidend sind, bekommt es ganz automatisch das nötige Rüstzeug.
Selbstverständlich ist es in jedem Alter möglich, sich an Neuem zu versuchen, oder vernachlässigte Fähigkeiten weiterzuentwickeln oder zu verbessern. Es sollte demjenigen allerdings immer bewusst bleiben, dass „besser“ nicht notwendigerweise mit „herausragend“ gleichzusetzen ist. Ob beim Musizieren, Malen oder Schreiben: Nur jahrelanges Üben und ein sehr großer täglicher Arbeitsaufwand ermöglichen es, zu einer gewissen Virtuosität zu gelangen, und deshalb lässt sich Zeit nur bedingt nachholen, auch wenn der Versuch auf jeden Fall löblich und zu unterstützen ist.

Handwerkliche Tätigkeiten und Sport haben jedoch eine weitere Gemeinsamkeit, und an diesem Punkt offenbart sich der tückische Charakter der anfänglichen Frage: Interesse, Begeisterung und Einsatzbereitschaft genügen nicht, wenn nicht eine grundsätzliche naturgegebene Basis vorhanden ist. Wer zwei linke Füße hat, wird es sicher niemals zu einem Tennisspieler von Weltrang bringen, wer zwei linke Hände hat, wird unwahrscheinlich zu einem neuen Monet erwachsen – und wenn er noch so verbissen übt.
Doch woraus besteht Schreibtalent überhaupt? Welche Eigenschaften muss man „mitbringen“, um gut schreiben zu können? Es gibt vermutlich Millionen von Definitionen, und ich kann nur versuchen, meine eigene hinzuzufügen.

Im Gegensatz zu dem, was viele anführen, wird der berühmte „besondere Sinn für das Wort“ durch reichliche frühkindliche Lektüre vermittelt und zählt aus meiner Sicht daher zum Erlernten und nicht zum Angeborenen. Sprachgefühl ist die Fähigkeit zu wissen, wann man mit welchem Wort welche Wirkung erzielt – ähnlich wie ein Maler weiß, welche Farbe in seinem Gemälde welche Stimmung wiedergibt. Es geht lediglich um die richtige Verwendung des richtigen Werkzeugs am richtigen Platz im richtigen Augenblick. Dieses Wissen wird zum Teil bewusst, zum Teil intuitiv erworben. Der Maler studiert hierzu die Werke anderer, der (künftige) Schreibende liest.
Zu den Faktoren, auf die Lernen und Üben keinen Einfluss haben, die also das eigentliche Talent darstellen, gehören vor allem eine übersteigerte Sinneswahrnehmung und ein abnormales Gespür für Dinge und Stimmungen. Beide haben durchaus eine psychologische Komponente. Diese Fähigkeiten gehen weit über eine sehr hohe Beobachtungsgabe hinaus und können als rezipierende Überempfindlichkeit und Scharfsichtigkeit bezeichnet werden. Sie betreffen das gesamte Spektrum natürlicher und menschlicher Erscheinungen: Licht, Farben, Düfte, Formen, Strukturen, Wetter, Geräusche, Bildkompositionen, Ästhetik, Situation, Zusammenhänge, Details, Ungesagtes, Verschwiegenes, Angedeutetes, Unbewusstes.
Diese übersteigerte, überspitzte, empathisch-seismographische Blickschärfe, diese andere Art, die Dinge zu sehen, ist meiner Meinung nach das, was als „Talent“ bezeichnet werden kann, denn sie ist allgegenwärtig, ungewollt und unkontrollierbar.

Auch wenn man Talent nicht steuern kann, kann jeder bis zu einem gewissen Grad alles erlernen – ob Schwimmen, Schreinern oder Schreiben. Seinen Schreibstil zu verbessern und einen neuen Zugang zum Text zu finden, ist immer eine belohnende und bereichernde Erfahrung. Fortschritte und Erfolg sind eine relative Angelegenheit, und der einzige Maßstab sollten die eigenen Ziele sein, nicht die Texte anderer.

02/16/15

Der ärgerlichste Satz der Welt

Neun kleine Silben, die mit schöner Regelmäßigkeit fröhlich und arglos in die Runde geworfen werden. Es klingt harmlos. Aber für mich bilden sie den ärgerlichsten Satz der Welt: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.”

Ärgerlich ist dieses Geflügelte Wort für mich nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, weil Unternehmen sich bei knappem Budget im Zweifelsfall für das Bild und gegen den Text entscheiden.
Was mich daran regelrecht wütend macht, ist, dass dieser Satz zutiefst falsch, zutiefst dumm und infolgedessen zutiefst gefährlich ist.

Wenn es wirklich so wäre, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, würden wir uns noch immer ausschließlich Stummfilme anschauen. Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass Texte, namentlich Dialoge, nicht nur überflüssiges Beiwerk sind, sondern Drehbuch und Bilder gleichermaßen wichtig und für ein gelungenes Ergebnis unentbehrlich sind. Ohne intelligente Texte gibt es keine intelligente Darstellung und nur sehr rudimentäre Geschichten, die über Klamauk nicht hinausgehen. Selbst einfachste Formen der Erzählung wie Comics und Cartoons nutzen Bild UND Text. Kunstkataloge und Abermillionen Seiten kunstgeschichtlicher Analysen von Gemälden, Skulpturen und Installationen zeugen davon, dass Bilder durchaus Text brauchen, um in all ihren Facetten verstanden und genossen zu werden. Bildende Künstler, die es ja wissen müssen, veröffentlichen auf ihren Internetseiten – mitunter sehr wortreich – ihre Statements und beweisen hinlänglich, dass sie sehr wohl um die Notwendigkeit und den Wert einer textlichen Vorstellung ihrer Werke wissen. Bilder brauchen Worte, sie ersetzen sie nicht.

Dieser Satz ist auch deswegen entsetzlich dumm, weil er zeigt, dass hier zwischen Information, Mitteilung und Kommunikation nicht unterschieden wird.
Für die einfache Kennzeichnung eines Gegenstands mag in einigen Fällen ein Bild, im konkreten Fall ein Piktogramm genügen: „Da ist eine Toilette”, „dort ist ein Notausgang”, „in 1000 m Essensmöglichkeit”. Für eine wirkliche Information, eine Mitteilung oder differenzierte Kommunikation – insbesondere Unternehmenskommunikation –, aber auch jede Form zwischenmenschlicher Interaktion, die über das bloße Zeigen auf etwas hinausgeht, die also im eigentlichen oder erweiterten Sinne einen Dialog darstellt, ist das zu wenig. Der Satz, ein Bild sage mehr als tausend Worte impliziert in diesem Kontext nichts anderes, als dass wir wirkliche Kommunikation nicht mehr brauchen und nicht mehr wollen, dass wir uns mit einem ausgestreckten Mittelfinger begnügen wollen und uns ein Streit nicht mehr als Inhalt und Austausch interessiert, dass wir hiermit also unsere spezifische Eigenschaft als Mensch mutwillig aufgeben und uns freiwillig auf die Entwicklungsstufe putziger haariger Primaten zurückbegeben.
Wenn ein Bild mehr sagen würde als tausend Worte, hätte der Mensch niemals den Drang verspürt, eine Sprache in Form von Graphemen und Lexemen zu entwickeln. Er würde weiterhin grunzend auf Dinge zeigen und sich mit Zeichnungen an Höhlenwänden verewigen. Der Glaube, dieser dumme Satz hätte tatsächlich irgendeine Form von Berechtigung, zeugt also in erster Linie von primitivem und kulturfernem Denken.

In Kategorien von Unternehmenskommunikation und Produktvorstellungen bedeutet der Verzicht auf Text, dass der Kunde mit einem Bruchteil dessen, was ihm bei der Kaufentscheidung helfen sollte, auskommen muss und wie ein süßes Äffchen mit begrenztem Verstand und Gefühlsleben behandelt wird – eine in Zeiten, in denen Angebote sich immer weniger objektiv voneinander unterscheiden, gefährliche Strategie.

Ein Bild ersetzt keinen Text. Idealerweise unterstützt es einen Text. Es kann ihn schmücken, unterstreichen, sogar einleiten. Tausend Worte aber können es erweitern, präzisieren, erklären, vertiefen. Ein Bild kann ein Rahmen sein, ein Detail festhalten, einen Augenblick einfrieren. Ein Text kann Zwischentöne modellieren, die Zeit strecken, raffen und verwischen. Ein Bild kann einen wichtigen Aspekt einer Sache verdeutlichen. Ein Text kann alle Facetten eines Bildes aufdecken.
Ist ein Text ein eingerichteter Raum, so ist das Bild mit einem Blumenstrauß zu vergleichen. Es ist die letzte Kleinigkeit, die die Dinge schöner macht. Es ist nicht die ganze Einrichtung.

Ein Bild sagt nicht mehr als tausend Worte. Ein Wort kann tausend Bilder erschaffen.

01/13/15

Vom Malen und Schreiben

Die enge Verwandtschaft zwischen Schreiben und Malen thematisiere ich gleichermaßen auf TextLoft und auf meiner Künstlerseite und ich spreche sie auch in vielen Blogartikeln immer wieder ausführlich an.
Dieser unmittelbare Vergleich ist ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Bestandteil meines Selbstverständnisses. Er ist mein künstlerisches Statement, mein Programm, mein Glaubensbekenntnis und somit ein Leitmotiv meiner Selbstvorstellung.
Doch wie vielschichtig die Ähnlichkeit der Prozesse in beiden Medien tatsächlich ist, wird auch mir manchmal erst auf Umwegen und fast überraschend bewusst.

In letzter Zeit ist mir bei dem Entwurf einiger Artikel für das Musterbücher-Blog aufgefallen, dass die Farbe Braun zur Zeit quantitativ einen erheblichen Platz in meinen Artikeln einnimmt.
Bedenkt man, wie Schreiben entsteht, ist es allerdings nicht verwunderlich.

Künstlerische Arbeit bedeutet in erster Linie eine über längere Zeit ungewöhnlich intensive Auseinandersetzung – sei es mit einem Motiv, sei es mit einem technischen schöpferischen Mittel.
Bei bildenden Künstlern impliziert dies eine zuweilen anstrengende, nicht selten quälende bis selbstzerstörerische Erforschung. Cézanne malte unentwegt denselben Berg, Giacometti verzweifelte an der Darstellung des menschlichen Kopfes, Picasso hatte seine Blaue Periode.
Werkzyklen sind in den meisten Fällen nicht geplant. Sie ergeben sich auf sehr spontane und natürliche Weise aus der unauslöschlichen Neugier, dem Durst nach Perfektion, dem kindlichen Heißhunger nach Details, dem innigen Bedürfnis, zu begreifen, zu erfassen, zu entschlüsseln und zu zeigen. Ist das Interesse einmal geweckt, verändert sich die Sicht aller Dinge und wird themenzentriert, d.h. immer einseitiger und immer vielseitiger zugleich. Facetten gewinnen an Selbständigkeit, es beginnt eine Sucht nach der Suche und eine Suche nach der Sucht. Wie in einem Wahn meint der Künstler, das Thema überall zu finden und zu entdecken. Diese obsessive Verzerrung des Blicks und der Wirklichkeit schenkt ihm im Gegenzug eine enthüllende Schärfe und Weitsicht. Es ist der Weg des Verstehens und der Erkenntnis über die dornigen Pfade der Leidenschaft.

Wenn also die Farbe Braun in diesen Wochen häufiger in meinem Kopf ist, dann zeigt dies vor allem, wie nah Schreiben und Malen einander doch sind, und wie sehr das theoretische Prinzip, das als mein Credo und meine Triebkraft bezeichnet werden kann, manchmal ganz unbewusst gelebt werden kann.
Es ist für mich ein besonders schöner Gedanke, der mich mit den Gleichgesinnten verbindet, die sich wie ich bemühen, festzuhalten und darzustellen, der meiner Arbeit also Sinn und Halt gibt.

09/7/14

Der Kreative und das Pflichtbewusstsein

Zu meinen ausgeprägten Charaktereigenschaften gehört ein außergewöhnliches Maß an Selbstdisziplin und ein sehr hartnäckiges Pflichtbewusstsein. Während ich Erstere als meine wichtigste Waffe empfinde und dankbar dafür bin, dass sie mir in sehr schweren und dunklen Zeiten immer geholfen hat, trotz gesundheitlicher Behinderung unbeirrt meinen Weg zu gehen, ist Zweiteres eher kontraproduktiv. Zugegeben: Ich hatte nie Probleme, einen Abgabetermin einzuhalten und bin meistens reichlich zu früh mit einem Auftrag fertig, aber von dieser praktischen Seite mal abgesehen, muss ich in dieser Hinsicht jeden Tag aufs Neue lernen, gegen meine eigene Natur zu kämpfen. Schließlich gibt es für Selbständige immer etwas zu tun. Sind Aufträge und Buchhaltung erledigt, geht die Suche nach neuen Auftraggebern weiter. Ich bin zwar alles andere als ein Workaholic, aber solange mir mein Kontostand keine absolute Sicherheit für mindestens ein Jahr signalisiert, plagt mich das schlechte Gewissen, wenn ich auch nur daran denke, mir ein paar Stunden freizunehmen. Rekreative und regenerierende Tätigkeiten wie Malen, Lesen oder Sozialleben bleiben auf der Strecke, und ich kann mich auch nicht mit der Ausrede überlisten, sie würden der weiteren Arbeitsfähigkeit dienen. Das schlechte Gewissen ist lauter als die Vernunft.
Es war in früheren Zeiten anders  – nicht zuletzt, weil mir sogar Kunden vor Augen führten, dass ich zu viel arbeite, und es nicht normal sei, dass ich Tag und Nacht am Schreibtisch zu erreichen sei. Damals war es auch kein Problem, einen Arzt- oder Frisörtermin oder einen Einkaufsbummel mitten am Nachmittag einzurichten. Diese Zeiten sind vorbei. Begünstigt durch technische Mittel, deren Nutzen längst das richtig Maß verloren hat, hat sich Leistungsethik immer stärker in unsere Gesellschaft eingeschlichen. Dieselben Kunden, die mich einst regelrecht dazu aufforderten, frische Luft schnappen zu gehen, sind heute ungehalten, wenn ihre eMail wegen eines kleinen Abstechers über die Toilette nicht klickwendend beantwortet wird. Die schlechte Presse, der Freie und Künstler immer mehr und immer aggressiver ausgesetzt werden, tut ihr Übriges. Ist man „von Haus aus“ ohnehin für eine strenge Arbeitsmoral anfällig, wird es heikel. Das Gefühl, immer zu wenig zu tun, wird zum Dauerzustand.
Für Trost und gute Laune sorgte ganz unverhofft ein zufällig entdecktes Interview mit dem Comiczeichner Giorgio Cavazzano, der auf die Frage nach seinem Tagesablauf ausführlich erklärte, wie er konsequent die Pausen einhält, die sowohl zur Erhaltung seiner kreativen und physischen Leistungsfähigkeit als auch eines ausgeglichenen Sozial‑ und Privatlebens nötig sind. Seine Arbeitszeiten von 9 bis 13 Uhr und von 15 bis 17 Uhr bieten Raum für Golfpartien und Treffen mit Freunden am Mittag, und der nicht verhandelbare Feierabend ermöglicht ihm, sich seiner Familie zu widmen.
Tatsächlich entsprechen diese sechs Stunden sehr konzentrierter Kreativität ziemlich genau dem, was meiner Erfahrung nach als gesundheitlich wünschenswert betrachtet werden kann. Hier darf nicht vergessen werden, dass das selbstvergessene, ablenkungsfreie Arbeiten eines Kreativen nicht mit einer normalen Bürotätigkeit verglichen werden kann und darf. Sie ist wesentlich intensiver und dadurch geistig und körperlich deutlich anstrengender. Es ist etwa so, als würde man Leistungssport auf höchstem Niveau betreiben oder aber hobbymäßig joggen.
Auch wenn es mir im Gegensatz zu Herrn Cavazzano nicht so bald gelingen wird, mich ab und zu zu einer freien Stunde zu überreden oder meinen Auftraggebern gegenüber einen erstrebenswerten Rhythmus durchzusetzen, so hat mich doch dieser Artikel bestätigt, getröstet, bestärkt und mir auf erfrischende Weise Mut gemacht. So müsste es wirklich sein  – und ich halte mich zur Zeit ein wenig an seinen Worten fest.

07/1/14

Die Bezeichnung „Textkünstlerin“

Eine gute Freundin zeigte sich neulich darüber überrascht, dass ich auf meiner Website als Berufsbezeichnung nunmehr „Textkünstlerin“ eingetragen habe. Sie schickte sich schon an, mich für ein ganz atypisches und möglicherweise neu entdecktes Selbstwertgefühl zu loben – vorschnell und ungerechtfertigterweise allerdings, denn es handelt sich dabei um eine sehr pragmatische und offen gestanden ungeliebte Entscheidung und den Versuch, Klarheit zu schaffen.

Als ich das Projekt „TextLoft“ ins Leben rief, ging es vor allem darum, Texten und Textkäufern einen Raum zu geben, in dem die ästhetischen Werte, also die Schönheit des Produkts „Text“, im Vordergrund stehen. Was für mich ganz selbstverständlich ist, muss für andere aber nicht notwendigerweise einleuchtend sein – erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass ich damit einen sehr eigenwilligen und im deutschen Sprachraum erstmaligen Weg gehe.
Eine Berufsbezeichnung ist nichts an sich Wichtiges, sie ist nur ein Wort. Nichtsdestotrotz kann sie hilfreich sein, um eine bestimmte Art von Leistung von anderen, mit ihr eng verwandten, abzugrenzen und das eigene Selbstverständnis in kurzer und prägnanter Form darzulegen.
Ich bin nicht Schriftstellerin, denn ich schreibe und veröffentliche nichts, was annähernd literarischen Kriterien entspräche.
Ich bin auch nicht Autorin – auch wenn ich in der Vergangenheit an einigen Publikationen mitgearbeitet habe. Dass ich Kriminalromane schreibe, ist eine Freizeitbeschäftigung, die nichts mit einer bezahlten Tätigkeit zu tun hat.
Ich bin auch nicht Texterin, Copywriter oder Werbetexterin. Ich entwickle keine Claims und schreibe nicht nach Vorgaben und einer kurzen Einarbeitungszeit alltagstaugliche Texte zu jedem beliebigen Thema.

Für mich ist das Schreiben die Fortsetzung der Innenarchitektur, der Malerei, der Bildhauerei, der Fotografie mit anderen Mitteln.

Wenn ich im Auftrag schreibe, dann in meinem eigenen, erkennbaren Stil und innerhalb einer bestimmten Auswahl an Themen, die mit diesem Stil harmonieren. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Maler oder ein Bildhauer gebeten werden, ein Porträt oder eine bestimmte Dekoration anzufertigen. Im fertigen Werk bleibt im Rahmen der Auftragsbeschreibung und der Wünsche des Kunden ihre Handschrift immer präsent, deutlich und unverwechselbar – auch Jahrzehnte später werden das Bild oder die Skulptur mühelos dem Künstler und nicht seinem Auftraggeber zugeordnet. Der Sinn von TextLoft ist es, genau diese Art von Arbeiten zu erschaffen, und in dieser Hinsicht ist mein Ansatz kein primär kaufmännischer, sondern ein künstlerischer – sei es als Artketing für Unternehmen oder als Texte für Künstler oder Kunst- und Kulturorganisationen oder in meiner Eigenschaft als Kunstschriftstellerin.

Dass ich mich also als Textkünstlerin bezeichne, ist zum einen nur ein Wort, weil Berufsbezeichnungen in einer positionssüchtigen Welt nur einmal verlangt und erwartet werden. Im Inhalt ist diese Bezeichnung wiederum vor allem der Ehrlichkeit geschuldet und soll Interessenten helfen, zu verstehen, was ich ihnen anbieten kann und was sie bei mir nicht bekommen. Künstlerische Arbeit ist nämlich auch immer mehr oder weniger genregebunden. Ich schreibe keine Sockenbeschreibungen für einen Versandkatalog, blogge nicht über elektronische Geräte oder Investment. Sehr wohl aber kann ich einem Restaurantbesitzer helfen, seine Spezialitäten so vorzustellen, dass der Leser sie zu schmecken meint, Touristen die Stimmen eines ganzen Landes plastisch und greifbar vermitteln. Ich (be)schreibe Stimmungen, lasse Assoziationen entstehen.
Ich tue also genau das, was Künstler eben tun: Augenblicke und Bilder einfangen und teilen. Und ja: Ein Hinweis auf meine Preisvorstellungen ist diese Berufsbezeichnung auch, denn für 0,02 €/Wort arbeite ich nicht.

Außerdem hat meine Arbeit andere Aspekte. Wie auf meiner anderen Website zu sehen ist, arbeite ich auch an Projekten, die weder der Textarbeit im üblichen Sinne noch der Schriftstellerei zuzuordnen wären. Es sind zweckfreie Texte, die als in sich (ab)geschlossen zu betrachten sind, die ausgestellt oder einzeln als „l’art pour l’art“-Miniaturen oder Sammlung erworben werden können, die keine Geschichte erzählen, nicht veröffentlicht werden, sondern die kleinen und schönen Dinge des Lebens einfach festzuhalten versuchen.

So fügt sich ein Mosaik zu einem Begriff zusammen. Wohl fühle ich mich damit zugegebenermaßen ganz und gar nicht. Er klingt merkwürdig und hochtrabend. Vielleicht sogar ein wenig lächerlich. Aber er trifft den Kern der Sache.

09/15/12

Technik & Papier

Schreibende leben oft ein wenig „anders“. Es betrifft Arbeitszeiten, Einkommensverhältnisse, soziales Umfeld und vieles mehr. Schreibende denken hier und da vielleicht auch „anders“. In einem Punkt aber unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Menschen auch: in ihrer Beziehung zu technischen Werkzeugen.
Es gibt die „Ganz-und-gar-Begeisterten“. Sie betrachten den Computer als größten Segen seit Entstehung der Schrift, wechseln alle zwei Jahre das Gerät, haben immer das neueste Betriebssystem und die neueste Software, das neueste Mobiltelefon mit Internetzugang, haben seit Jahren keine Briefmarken mehr gekauft, und ihr Terminkalender ist samt Notizbuch längst ausschließlich auf vernetzten elektronischen Gerätschaften zu finden. Interessanterweise und wider Erwarten ist dies weder alters- noch geschlechtsspezifisch. Ihre frühere Arbeitsweise mit Handschrift und/oder Schreibmaschine – so sie der entsprechenden Generation angehören – ziehen sie gern ins Lächerliche und bezeichnen sie als altmodisch, unpraktisch, ineffizient, untragbar. Berühmte Namen in dieser Kategorie sind Elfriede Jelinek und Siri Hustvedt.
Es gibt die „Gewohnheitstiere“, die ihre Schreibinstrumente niemals geändert haben. Peter Handke schreibt mit Bleistift, Paul Auster mit einer Olympia-Schreibmaschine, Günter Grass bleibt bei seiner Olivetti. Mit mangelnder Flexibilität hat diese oberflächlich betrachtet sture Treue wenig zu tun, und sie sollte auch nicht vorschnell als mangelnde Neugier gedeutet werden. In der engen Verbindung zwischen Schreibendem und Text ist das durch die Vertrautheit des Schreibgerätes gesicherte Wohlbefinden ganz entscheidend: Der Geist kann nur dann frei und gelöst arbeiten, wenn das, was er nutzt, ihm so natürlich vorkommt, dass er es vergessen kann. Zwischen der bequemen Gewohnheit des sprichwörtlichen alten Schuhs, animistischer Furcht und Qualitätskontrolle einerseits und natürlicher Verlängerung des eigenen Körpers andererseits wird das Schreibinstrument oder zumindest die Schreibtechnik zum unabdingbaren Teil des Schreibprozesses.
Dazwischen bewegen sich die „Konvertiten“, die entweder aus Vernunft oder Resignation den Wechsel zum Computer vollzogen haben. Sie nutzen ihn als Schreibmaschine, Speicherplatz und Archiv, besitzen aber dennoch einen Terminkalender und ein Adressbuch aus Papier.

Ich gehöre zugegebenermaßen zur dritten Sorte.
Als ich zu schreiben begann, war mein erstes Arbeitsgerät ein schwarzer BIC-Kugelschreiber. Was abgegeben werden musste, wurde noch einmal der Lesbarkeit halber mit dem Füller in blauer Tinte säuberlich und mit großem Zeilenabstand abgeschrieben, bevor ich es der Schreibkraft meines Vertrauens zum Abtippen gab. Gegen Ende des Studiums aber erwies sich diese Praxis immer mehr als zu zeitraubend, und ein Jahr, bevor ich promovierte, schenkte mir mein Großvater eine mechanische Olympia-Reiseschreibmaschine. Ich schrieb meine Texte weiterhin vor, konnte sie aber von da an schneller fertigstellen, da ich nicht mehr auf freie Kapazitäten anderer angewiesen war. Tippen (mit drei Fingern!) erwies sich nicht als meine Lieblingsbeschäftigung: die Finger schmerzten schnell, und letztlich war ich erleichtert, als ich mein Manuskript endlich abgeben durfte. Als sich dann nach einigen Wechselfällen des Schicksals – nicht zuletzt gesundheitlicher Natur – ergab, dass ich von der Ware „Text“ würde leben müssen, wechselte ich zu einer elektrischen Gabriele 9000 mit Korrekturtaste und leichtgängigerer Tastatur. Meine gute mechanische Olympia behielt ich aber aus Sentimentalität und als Ausweichmöglichkeit. Ich habe sie heute noch, wenn auch im Keller.
Von mir aus hätte es dabei bleiben können: Ich schrieb vor, tippte ab, und dieser Komfort eines unsichtbaren Korrekturbands schien mir absolut ausreichend. Doch nach und nach verlangten immer mehr Kunden die Abgabe der Aufträge in Form von Dateien, und ich musste mich dem für mich unverständlichen und überheblichen Diktat des Marktes beugen. Glücklicherweise wurden die Computer immer kleiner, und ich besitze heute nur noch ein Laptop, das als selbstverständliches, wenn auch nicht geliebtes Instrument sein Dasein auf meinem Schreibtisch fristet.

Vor etwa fünf Jahren beschloss ich in einem Anflug konsequenter Sparsamkeit, unnötigen Papierverbrauch abzuschaffen und den Computer nicht nur als Schreibmaschine mit dem Vorteil der beinahen Geräuschlosigkeit und zur Speicherung von Aufträgen zu nutzen, sondern auch meine bis dahin auf Papier in entsprechenden Büchern stattfindenden Buchhaltung, Kunden- und Auftragsverwaltung direkt am Computer vorzunehmen.
Glücklich wurde ich damit nicht und habe in diesem Jahr beschlossen, viele Dinge wieder auf Papier umzustellen. Es ist für mich effizienter und beruhigender.

Zunächst gibt es nichts Sichereres als Papier: Ich muss mich nicht mehrmals am Tag ängstlich fragen, ob ich wirklich genug Backups und andere Sicherheitskopien gemacht habe. Eine in ein Heft mit Kugelschreiber geschriebene Information bleibt dort für alle Zeiten geschrieben, es sei denn, das Haus würde komplett abbrennen – Kugelschreiber widersteht sogar der Wirkung von Wasser und der meisten Chemikalien.
Papier ist auch deshalb ein Sicherheitsfaktor, weil es menschliches Versagen zu einem viel größeren Teil ausschließt. Natürlich ist es auch möglich, sich auf Papier zu verschreiben. Allerdings geschieht es aber seltener, und ein Fehler wird auch schneller während des Schreibvorgangs selbst bemerkt. Zahlendreher etwa sind unwahrscheinlicher. Zudem schließt Papier alle Fehler aus, die sich aus tückischen Fehlerquellen ergeben. Wer hat nicht schon in einem Text an beliebiger Stelle die Buchstaben „dc“ eingefügt, als er die Datei schließen wollte?
Papier spart Zeit. Auch wenn es das Tippen ermöglicht, in kürzerer Zeit größere Textmengen zu erfassen, ist der Zeitgewinn in der Tat illusorisch: Nicht nur die Zeit für das Sichern der Dateien, das Kopieren auf mehrere Sticks und Festplatten muss hinzugerechnet werden, sondern es müssen auch die „Zwischenereignisse“ berücksichtigt werden. Fragt ein Programm nach Bearbeiten einer Datei, ob man die vorgenommenen Änderungen speichern möchte, während man selbst der Meinung ist, man hätte es getan, muss in mühsamer Kleinarbeit geprüft werden, was die angesprochene Änderung sein soll, ob sie gewollt war oder aus Versehen geschehen ist – möglicherweise, um festzustellen, dass nur ein Druckvorgang gemeint ist, der nichts mit dem tatsächlichen Inhalt zu tun hat. Nach einem Eintrag in ein Papierbuch wird das Buch ohne Zweifel und ohne zeitraubende Kontrolle einfach geschlossen.
Papier ist wirtschaftlicher. Wer wirklich verantwortungsbewusst mit den auf dem Computer gespeicherten Daten umgehen will, muss sie zusätzlich auf USB-Sticks und mehreren inhaltsgleichen externen Festplatten archivieren, damit sie auch wieder zugänglich werden, wenn der Computer eines schlechten Tages beschließen sollte, zu seinen Ahnen zu gehen. Zur Sicherheit empfiehlt es sich ohnehin, wirklich wichtige Dinge zudem auszudrucken. Dies gilt zum Beispiel für steuerlich relevante Unterlagen, die dem Gesetz nach „jederzeit wieder auf Papier lesbar gemacht werden können müssen“, wie mein Steuerberater es ausdrückt. Den teuren Umweg über mehrere Speichermedien und den Papierausdruck kann man sich also getrost sparen, indem/wenn man direkt mit altertümlichen Methoden arbeitet.

Mittlerweile habe ich schon vieles auf Papier zurückumgestellt. Telefonische Anfragen und mündlichen Austausch zu bestimmten Projekten etwa speichere ich nicht mehr als Datei ab, ich notiere sie wieder samt Inhalt der Besprechung in ein Moleskine-Heftchen. Ich genieße die Ruhe und die Sicherheit, die mir meine Heftchen und Bücher geben.
Mit Papier zu arbeiten, ist auch ein Weg, einen Teil des Übermaßes an Verantwortung, das heutzutage immer mehr zu unserem Leben gehört, zu entschärfen. Meine Passwörter kann niemand hacken, denn ich habe sie nicht auf dem Computer. Die Kontaktdaten meiner Kunden sind in einem Papieradressbuch und einem Holzkarteikasten „gespeichert“. Ich kann sie sogar bei Stromausfall anrufen. Alle Informationen, die ich benötige, könnte ich – überspitzt ausgedrückt -, auch im Falle einer wochenlangen weltweiten Panne der Strom- und Internetnetze einsehen. Ein gutes Gefühl.

Mein Computer ist also wieder zu dem geworden, was er einmal war: eine besonders praktische, schnelle und leise Schreibmaschine.

NACHTRAG: Zufällig gerade entdeckt: Der Mythos des papierlosen Büros

10/24/10

Trakl? Oder doch Handke?

Ein amüsantes Spielchen bietet die FAZ auf der Seite https://www.faz.net/f30/aktuell/WriteLike.aspx unter dem Titel „Ich schreibe wie …“. In ein leeres Feld kann der Leser eigene Texte eingeben, und ein Algorithmus verrät ihm in Sekundenschnelle, welchem bekannten Schriftsteller sein Schreibstil am ehesten entspricht. Je länger der Text, desto genauer die Diagnose, heißt es in der Beschreibung. Natürlich handelt es sich nur um einen netten Zeitvertreib und nicht um eine wissenschaftliche Analyse – doch mein Spieltrieb war geweckt und ich musste es einfach ausprobieren. Nach Eingabe von etwa 30 Texten, von denen einige aus diesem Blog stammen und andere unveröffentlichte, private Texte waren, änderte sich das Ergebnis nicht und ich erhielt immer wieder die beiden gleichen Antworten: Bei den eher sachlichen oder fachlichen Texten erkannte das Programm eine Ähnlichkeit mit Peter Handke, alle privaten Texte und die Stimmungsbilder aus dem Blog wurden Georg Trakl zugeordnet. Nun, Thomas Mann wäre mir lieber gewesen als Peter Handke, bei dem ich etwas geknickt war. Aber Georg Trakl schmeichelte durchaus meinem geschundenen Ego. Und überhaupt: Zumindest schreibe ich nicht wie eine Frau. Und das ist die Hauptsache.

03/25/10

Umberto Eco und ich

Als wir uns vor sechseinhalb Jahren auf Wohnungssuche begaben, um den 32 m² ohne Küche zu entfliehen, die schon über ein Jahrzehnt unsere Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstätte darzustellen bemüht waren, hatten wir es nicht leicht. Selbstständige – ob Freiberufler oder Künstler – sind in einer konservativen Studenten- und Beamtenstadt als Mieter nicht gerade erwünscht, geschweige denn gefragt, und wir mussten erleben, dass auch Immobilienmakler trotz vertrauenswürdiger Umsatzzahlen eine Zusammenarbeit nicht einmal in Erwägung ziehen wollten: Ohne eine Bürgschaft betuchter Verwandter war es kaum möglich, überhaupt zu einer Besichtigung zugelassen zu werden. Solche Verwandten hatten wir nun einmal nicht, und auch wenn wir sie hätten vorweisen können, hätten wir sie nicht gebeten, wir sind schließlich längst erwachsen.
Außerdem waren die wenigsten Vermieter für den Begriff „Wohnbüro“ oder „Heimarbeit“ wirklich zu begeistern. Zu betonen, es sei damit kein Publikumsverkehr verbunden und die Kontakte zu unseren Kunden würden ausschließlich per eMail stattfinden, erwies sich als müßig: Wer den ganzen Tag in der Wohnung sei, würde sie mehr abnutzen, als ein Mieter, der tagsüber auf der Arbeit sei. Einer solchen Argumentation hat man naturgemäß wenig entgegenzusetzen.
Zu allem Überfluss suchten wir eine Wohnung in der Innenstadt, die genau unseren Vorstellungen entsprach, sprich mit vielen Wandstellflächen, ohne Dachschrägen und unzählige Winkel – klare, lineare Strukturen, wie das TextLoft sie eben mag.
So beschlossen wir, mit Kleinanzeigen in den lokalen Tageszeitungen in die Offensive zu gehen.

Um neben den vielen anderen Paaren, die mit ihrem bequemen und sicheren Festangestellten-Dasein prunken und punkten konnten, überhaupt eine Chance zu haben, setzten wir auf Originalität und Ehrlichkeit. „5000 Bücher suchen ein Zuhause„, lautete die erste, fettgedruckte Zeile unserer Anzeige. Die Anzahl der Vermieter, die sich von diesem Geständnis berühren ließen, war zugegebenermaßen nicht überwältigend, und bis auf drei mehr amüsierte als wirklich interessierte Anrufer meldete sich lediglich ein älterer Herr, der in unserem Text die versteckte Botschaft entdeckt zu haben glaubte, Menschen, die so viel lesen, würden niemals, aber auch niemals Musik hören, und wir seien für sein spießiges Zwei-Familien-Haus, in dem sich nur auf Zehenspitzen bewegt wurde, ja geradezu perfekt.
Auch wenn der Erfolg ausblieb und wir schließlich über andere Wege das – so dachten wir es damals zumindest – Gesuchte fanden, steckte hinter dem vielleicht nicht ganz alltäglichen Text nicht nur Selbstironie. Wir besitzen tatsächlich so viele Bücher – inzwischen sind es natürlich einige mehr geworden.

Aus einem Grund, der mir bis heute schleierhaft geblieben ist, scheint diese Wahrheit aber grundsätzlich besonders unglaubwürdig zu sein. Nicht selten erlebte ich, wie Menschen, die uns zum ersten Mal besuchten, staunend vor unseren zahlreichen Bücherwänden standen und fragten: „Haben Sie die etwa alle gelesen?“. Immer wieder brachte mich diese Frage arg in Bedrängnis. Warum sollte ich denn Bücher kaufen, wenn ich sie nicht lese? Und warum war es überhaupt so verwunderlich, dass jemand gern liest? Oder traute man mir selbst einfach nicht zu, so viel zu lesen? Irgendwie empfand ich die Situation immer als etwas beleidigend, und noch ehe ich mich zusammenreißen konnte, wehrte sich mein Ehrgefühl ohne mein Zutun und wider besseres Wissen auf kindischste und überflüssigste Art, indem ich den dumm Fragenden mit dem ganzen Ausmaß der Wirklichkeit konfrontierte: „Ja, und ein paar Tausend mehr dazu. Das hier sind nur die wenigen, die ich gekauft habe“. Und jedes Mal aufs Neue ärgerte ich mich im selben Augenblick über mich selbst – darüber, dass ich mich einmal mehr auf dieses Narrenspiel eingelassen hatte, darüber, dass dieser Mensch mich dazu gebracht hatte, mich so zu benehmen, als hätte ich es nötig, ihm oder mir zu beweisen, ob oder wie belesen ich sei, darüber, dass ich mich dazu hatte provozieren lassen, mich wie ein Angeber zu verhalten – obwohl die Frage, wie viele Bücher ich je gelesen habe, für mich selbst als nicht im geringsten relevant einzuordnen ist. Tatsächlich könnte ich sie nicht annähernd beantworten, ich habe nie mitgezählt und wusste auch nicht, dass man es tun sollte.

Nach dem Einzug in die neue Wohnung änderte sich die Lage. Zum einen fällt die Menge der Bücher, die wir besitzen, dank großzügiger Wandflächen, puristischer Möblierung und der Verteilung auf eine größere Anzahl an Räumen optisch etwas weniger auf. Zum anderen ersetzte ich die früheren offenen Regale durch Bücherschränke und Vitrinen, was nicht nur einen besseren Schutz vor Staub bietet und eine Aufstellung der Sekundärliteratur „in zweiter Reihe“ ermöglicht, sondern auch durch das bloße Vorhandensein von Türen die für viele wohl erschlagende Wirkung von Tonnen von Papier geschickt umspielt und versteckt.
Außerdem kamen in den letzten Jahren nicht mehr so viele neue Besucher zum TextLoft, und unsere Bekannten haben sich mittlerweile so daran gewöhnt, dass sich bei uns alles um Bücher dreht – es sind sogar in der Küche welche zu finden, die nichts mit dem Kochen zu tun haben -, dass ich sehr lange Zeit diese wohl dümmste aller diesbezüglichen Fragen nicht mehr gehört und auch nicht mehr daran gedacht habe.

Bis mein Mann mich neulich mit einem Geschenk überraschte: Umberto Ecos Streichholzbriefe, bzw. ein Teil davon, von dtv unter dem Titel Wie man mit einem Lachs verreist und andere nützliche Ratschläge zusammengestellt. Es sind köstliche Texte, und ich verbrachte einen wirklich vergnüglichen und belohnenden Abend in ihrer Gesellschaft.
Eigentlich wäre ich niemals so anmaßend gewesen, zu denken, dass mich mit Umberto Eco mehr verbinden könnte, als die Tatsache, dass ich seine Bücher wie Oasen genieße, dass ich es liebe, in seine gepflegte Sprache einzutauchen, dass ich es bereue, niemals die Gelegenheit gehabt zu haben, einer seiner Vorlesungen in Semiotik beizuwohnen – was ohnehin schon daran gescheitet wäre, dass ich kein Wort Italienisch kann.
Doch dann war da dieser eine Streichholzbrief: „Wie man eine Privatbibliothek rechtfertigt“. Ich hatte mir bei dieser Überschrift nichts Konkretes vorgestellt und las einfach mit Genuss vor mich hin, aber plötzlich traute ich meinen Augen nicht, und ein Absatz ließ mich mit offenem Mund zurück, nachdem mein Herz beinahe ausgesetzt hätte: Tatsächlich berichtet Umberto Eco darin, wie Besucher und namentlich gebildete Personen, denen man nicht unterstellen könne, sie hätten in ihrem eigenen Alltag wenig Umgang mit Büchern, beim Anblick seiner die Wohnung beherrschenden Bibliothek ihn mit erstaunlicher Regelmäßigkeit fragen, ob er all die vielen Bücher auch wirklich gelesen habe.

Es konnte nicht sein. Mich fragt man das. In Ordnung. Ich bin ein Nichts. Ein Niemand. Eine Akademikerin unter vielen. Eine kleine Textarbeiterin mitten in irgendeiner Pampa. Gut. Angenommen. Vielleicht traut man mir wirklich nichts zu.
Aber er ist Umberto Eco.
Der Umberto Eco.
Wie kann jemand Umberto Eco genau die Frage stellen, die auch mir gestellt wird? Etwas passte nicht zusammen.

Nach der ersten Verblüffung, die eher als Schrecken daherkam, tröstet mich die Parallelität der Erfahrung aufs Innigste. Wenn der große Umberto Eco diese Frage – wie er sagt – mehr als einmal und von den unterschiedlichsten Leuten gehört hatte, dann konnte ich aufhören, beleidigt zu sein oder an meinem Image zu zweifeln. Offenbar gibt es eben solche Menschen, die das Lesen als so widernatürlich empfinden, dass ihnen nicht einmal einfällt, dass es anders geht.
In Münster und in Italien.
Überall.
Und ich werde Umberto Eco immer dafür dankbar sein, dass er mir das Selbstbewusstsein zurückgeschenkt hat, mich meiner Bibliothek trotz ihres Umfangs nicht mehr zu schämen.