09/30/12

Der Briefkasten

In früheren Jahren habe ich meinen Briefkasten geliebt. Er war immer liebevoll, treu und zuverlässig: Jeden Tag aufs Neue – außer an den nicht zuletzt deshalb verhassten Sonntagen – war er voll, jeden Tag aufs Neue brachte er Freude in mein Leben. Er barg jede Menge Briefe aus allen möglichen Ländern, bunte Postkarten und gefütterte Umschläge mit allerlei Überraschungen. Er war mein Reisebüro, meine Wärmespendemaschine und mein Sozialleben. Ebenso liebte ich den Briefkasten, der vor dem winzigen, nur wenige Schritte von meiner damaligen Wohnung entfernt gelegenen Postamt stand: Er verband mich mit allen Menschen, die mir etwas bedeuteten, er war der Ausgangspunkt, von dem aus meine Gedanken zu ihnen in aller Welt gefahren, geflogen oder verschifft wurden.
Dinge ändern sich. Das kleine Postamt gibt es nicht mehr, Freundschaften zollten Berufswahl und zu unterschiedlichen Lebenswegen Tribut und entschliefen. Nach und nach verschwand alles Private aus meinem Briefkasten, behördliche Mitteilungen und paar harmlose Rechnungen teilen sich ab und zu den leer gebliebenen Raum. Für mich gehört dies zu den traurigsten Erfahrungen, die das Leben und das Alter mit sich bringen.
Hier zeigt sich auch, wie sehr sich die – mittlerweile nicht mehr ganz – neuen Medien von den alten unterscheiden. Ich habe es in einem früheren Artikel bereits erläutert: eMails haben in keinerlei Hinsicht Briefcharakter. Sie wurden als rasches Kommunikations- und Informationswerkzeug konzipiert und erfüllen lediglich diese Aufgabe.
Selbst im privaten Bereich bleiben sie notwendigerweise oberflächlich und kurzlebig – wer druckt schon jeden Zweizeiler aus, um ihn zu archivieren? eMails sind immer aktuell und kommen gerade deshalb über die eigene Aktualität nicht hinaus, bleiben für die Welt- und Literaturgeschichte wie für die persönliche auch in höchstem Maße ahistorisch.
Auch emotional sind sie nicht in der Lage, als Surrogat zu fungieren. Das Gefühl, das eine vertraute Handschrift, die sorgfältig ausgewählte Briefmarke, die Dicke des Umschlags beim Öffnen des Briefkastentürchens vermitteln, hat eine andere Qualität als das bloße Entdecken einer bekannten Absenderadresse in der Liste des elektronischen Postfachs. Briefe sind nie selbstverständlich: Sie verlangen gleichermaßen von Autor und Adressat ein gewisses Maß an Zeit, an „Mühe“, an Bereitschaft, das eigene Leben für ein paar Augenblicke zu vergessen und zurückzustellen und sich auf den Anderen ganz und gar einzulassen. eMails bleiben nur ein Transportmittel für Fakten und bedeuten nur in sehr seltenen Ausnahmefällen ein wahren, echten, tiefen und intimen Austausch. Vergleiche ich frühere Briefe von Freunden mit ihren heutigen eMails – so sie überhaupt noch schreiben -, erkenne ich die Person hinter den Worten kaum wieder, und das hat nichts mit der eigenen Entwicklung zu tun. Sie haben kaum noch Inhalt und aus Gesprächen ist Belangloses geworden.
Es haben nicht wenige schon vor mir beschrieben und mitunter wissenschaftlich untersucht, wie sehr die Tatsache, dass mit der Hand oder mit einer Tastatur geschrieben wird, insbesondere im rein privaten und freundschaftlichen Bereich die Korrespondenz auch inhaltlich verändern kann. Neurologen, Soziologen, Anthropologen und Psychologen haben sich hinreichend damit beschäftigt. Doch ihre Erkenntnisse sind kein Trost.
So bleibe ich zurück – mit der Sehnsucht nach meinem geliebten Briefkasten.

NACHTRAG: Zufällig gerade entdeckt: https://www.ted.com/talks/lakshmi_pratury_on_letter_writing.html

09/15/12

Technik & Papier

Schreibende leben oft ein wenig „anders“. Es betrifft Arbeitszeiten, Einkommensverhältnisse, soziales Umfeld und vieles mehr. Schreibende denken hier und da vielleicht auch „anders“. In einem Punkt aber unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Menschen auch: in ihrer Beziehung zu technischen Werkzeugen.
Es gibt die „Ganz-und-gar-Begeisterten“. Sie betrachten den Computer als größten Segen seit Entstehung der Schrift, wechseln alle zwei Jahre das Gerät, haben immer das neueste Betriebssystem und die neueste Software, das neueste Mobiltelefon mit Internetzugang, haben seit Jahren keine Briefmarken mehr gekauft, und ihr Terminkalender ist samt Notizbuch längst ausschließlich auf vernetzten elektronischen Gerätschaften zu finden. Interessanterweise und wider Erwarten ist dies weder alters- noch geschlechtsspezifisch. Ihre frühere Arbeitsweise mit Handschrift und/oder Schreibmaschine – so sie der entsprechenden Generation angehören – ziehen sie gern ins Lächerliche und bezeichnen sie als altmodisch, unpraktisch, ineffizient, untragbar. Berühmte Namen in dieser Kategorie sind Elfriede Jelinek und Siri Hustvedt.
Es gibt die „Gewohnheitstiere“, die ihre Schreibinstrumente niemals geändert haben. Peter Handke schreibt mit Bleistift, Paul Auster mit einer Olympia-Schreibmaschine, Günter Grass bleibt bei seiner Olivetti. Mit mangelnder Flexibilität hat diese oberflächlich betrachtet sture Treue wenig zu tun, und sie sollte auch nicht vorschnell als mangelnde Neugier gedeutet werden. In der engen Verbindung zwischen Schreibendem und Text ist das durch die Vertrautheit des Schreibgerätes gesicherte Wohlbefinden ganz entscheidend: Der Geist kann nur dann frei und gelöst arbeiten, wenn das, was er nutzt, ihm so natürlich vorkommt, dass er es vergessen kann. Zwischen der bequemen Gewohnheit des sprichwörtlichen alten Schuhs, animistischer Furcht und Qualitätskontrolle einerseits und natürlicher Verlängerung des eigenen Körpers andererseits wird das Schreibinstrument oder zumindest die Schreibtechnik zum unabdingbaren Teil des Schreibprozesses.
Dazwischen bewegen sich die „Konvertiten“, die entweder aus Vernunft oder Resignation den Wechsel zum Computer vollzogen haben. Sie nutzen ihn als Schreibmaschine, Speicherplatz und Archiv, besitzen aber dennoch einen Terminkalender und ein Adressbuch aus Papier.

Ich gehöre zugegebenermaßen zur dritten Sorte.
Als ich zu schreiben begann, war mein erstes Arbeitsgerät ein schwarzer BIC-Kugelschreiber. Was abgegeben werden musste, wurde noch einmal der Lesbarkeit halber mit dem Füller in blauer Tinte säuberlich und mit großem Zeilenabstand abgeschrieben, bevor ich es der Schreibkraft meines Vertrauens zum Abtippen gab. Gegen Ende des Studiums aber erwies sich diese Praxis immer mehr als zu zeitraubend, und ein Jahr, bevor ich promovierte, schenkte mir mein Großvater eine mechanische Olympia-Reiseschreibmaschine. Ich schrieb meine Texte weiterhin vor, konnte sie aber von da an schneller fertigstellen, da ich nicht mehr auf freie Kapazitäten anderer angewiesen war. Tippen (mit drei Fingern!) erwies sich nicht als meine Lieblingsbeschäftigung: die Finger schmerzten schnell, und letztlich war ich erleichtert, als ich mein Manuskript endlich abgeben durfte. Als sich dann nach einigen Wechselfällen des Schicksals – nicht zuletzt gesundheitlicher Natur – ergab, dass ich von der Ware „Text“ würde leben müssen, wechselte ich zu einer elektrischen Gabriele 9000 mit Korrekturtaste und leichtgängigerer Tastatur. Meine gute mechanische Olympia behielt ich aber aus Sentimentalität und als Ausweichmöglichkeit. Ich habe sie heute noch, wenn auch im Keller.
Von mir aus hätte es dabei bleiben können: Ich schrieb vor, tippte ab, und dieser Komfort eines unsichtbaren Korrekturbands schien mir absolut ausreichend. Doch nach und nach verlangten immer mehr Kunden die Abgabe der Aufträge in Form von Dateien, und ich musste mich dem für mich unverständlichen und überheblichen Diktat des Marktes beugen. Glücklicherweise wurden die Computer immer kleiner, und ich besitze heute nur noch ein Laptop, das als selbstverständliches, wenn auch nicht geliebtes Instrument sein Dasein auf meinem Schreibtisch fristet.

Vor etwa fünf Jahren beschloss ich in einem Anflug konsequenter Sparsamkeit, unnötigen Papierverbrauch abzuschaffen und den Computer nicht nur als Schreibmaschine mit dem Vorteil der beinahen Geräuschlosigkeit und zur Speicherung von Aufträgen zu nutzen, sondern auch meine bis dahin auf Papier in entsprechenden Büchern stattfindenden Buchhaltung, Kunden- und Auftragsverwaltung direkt am Computer vorzunehmen.
Glücklich wurde ich damit nicht und habe in diesem Jahr beschlossen, viele Dinge wieder auf Papier umzustellen. Es ist für mich effizienter und beruhigender.

Zunächst gibt es nichts Sichereres als Papier: Ich muss mich nicht mehrmals am Tag ängstlich fragen, ob ich wirklich genug Backups und andere Sicherheitskopien gemacht habe. Eine in ein Heft mit Kugelschreiber geschriebene Information bleibt dort für alle Zeiten geschrieben, es sei denn, das Haus würde komplett abbrennen – Kugelschreiber widersteht sogar der Wirkung von Wasser und der meisten Chemikalien.
Papier ist auch deshalb ein Sicherheitsfaktor, weil es menschliches Versagen zu einem viel größeren Teil ausschließt. Natürlich ist es auch möglich, sich auf Papier zu verschreiben. Allerdings geschieht es aber seltener, und ein Fehler wird auch schneller während des Schreibvorgangs selbst bemerkt. Zahlendreher etwa sind unwahrscheinlicher. Zudem schließt Papier alle Fehler aus, die sich aus tückischen Fehlerquellen ergeben. Wer hat nicht schon in einem Text an beliebiger Stelle die Buchstaben „dc“ eingefügt, als er die Datei schließen wollte?
Papier spart Zeit. Auch wenn es das Tippen ermöglicht, in kürzerer Zeit größere Textmengen zu erfassen, ist der Zeitgewinn in der Tat illusorisch: Nicht nur die Zeit für das Sichern der Dateien, das Kopieren auf mehrere Sticks und Festplatten muss hinzugerechnet werden, sondern es müssen auch die „Zwischenereignisse“ berücksichtigt werden. Fragt ein Programm nach Bearbeiten einer Datei, ob man die vorgenommenen Änderungen speichern möchte, während man selbst der Meinung ist, man hätte es getan, muss in mühsamer Kleinarbeit geprüft werden, was die angesprochene Änderung sein soll, ob sie gewollt war oder aus Versehen geschehen ist – möglicherweise, um festzustellen, dass nur ein Druckvorgang gemeint ist, der nichts mit dem tatsächlichen Inhalt zu tun hat. Nach einem Eintrag in ein Papierbuch wird das Buch ohne Zweifel und ohne zeitraubende Kontrolle einfach geschlossen.
Papier ist wirtschaftlicher. Wer wirklich verantwortungsbewusst mit den auf dem Computer gespeicherten Daten umgehen will, muss sie zusätzlich auf USB-Sticks und mehreren inhaltsgleichen externen Festplatten archivieren, damit sie auch wieder zugänglich werden, wenn der Computer eines schlechten Tages beschließen sollte, zu seinen Ahnen zu gehen. Zur Sicherheit empfiehlt es sich ohnehin, wirklich wichtige Dinge zudem auszudrucken. Dies gilt zum Beispiel für steuerlich relevante Unterlagen, die dem Gesetz nach „jederzeit wieder auf Papier lesbar gemacht werden können müssen“, wie mein Steuerberater es ausdrückt. Den teuren Umweg über mehrere Speichermedien und den Papierausdruck kann man sich also getrost sparen, indem/wenn man direkt mit altertümlichen Methoden arbeitet.

Mittlerweile habe ich schon vieles auf Papier zurückumgestellt. Telefonische Anfragen und mündlichen Austausch zu bestimmten Projekten etwa speichere ich nicht mehr als Datei ab, ich notiere sie wieder samt Inhalt der Besprechung in ein Moleskine-Heftchen. Ich genieße die Ruhe und die Sicherheit, die mir meine Heftchen und Bücher geben.
Mit Papier zu arbeiten, ist auch ein Weg, einen Teil des Übermaßes an Verantwortung, das heutzutage immer mehr zu unserem Leben gehört, zu entschärfen. Meine Passwörter kann niemand hacken, denn ich habe sie nicht auf dem Computer. Die Kontaktdaten meiner Kunden sind in einem Papieradressbuch und einem Holzkarteikasten „gespeichert“. Ich kann sie sogar bei Stromausfall anrufen. Alle Informationen, die ich benötige, könnte ich – überspitzt ausgedrückt -, auch im Falle einer wochenlangen weltweiten Panne der Strom- und Internetnetze einsehen. Ein gutes Gefühl.

Mein Computer ist also wieder zu dem geworden, was er einmal war: eine besonders praktische, schnelle und leise Schreibmaschine.

NACHTRAG: Zufällig gerade entdeckt: Der Mythos des papierlosen Büros

08/23/12

Was tue ich hier eigentlich?

Für jemanden, dessen Geschäft es ist, mit Worten umzugehen, sollte die einfache Frage: „Und was sind Sie von Beruf?“ kein unüberwindbares Hindernis darstellen – so zu vermuten.
Und doch: In all den Jahren ist es mir noch nicht gelungen, meine Arbeit in einem einzigen Begriff zusammenzufassen, der auch nur annähernd zutreffend wäre.

Für Finanzamt, Krankenkassen und Versicherungen gibt es keinen Zweifel: Ich bin „Freie Texterin“. Es ist eine ganz unproblematische Bezeichnung, die ich als juristisches Konstrukt für behördliche Zwecke akzeptieren kann. In der Vorstellungs- oder Smalltalk-Situation aber erweist es sich als vollkommen unbrauchbar. „Texterin“ wird grundsätzlich mit „Werbetexterin“ gleichgesetzt, was ich nicht bin: Ich entwickle keine Claims, arbeite nicht für alle Themenbereiche und verabscheue den denglischen Jargon, mit dem die Werbebranche im schmerzlichen Bewusstsein ihres beschränkten Apparats wichtig tut und versucht, sich in einen durchschaubaren Hermetismus zu retten. Während das Missverständnis im privaten Umfeld des ungezwungenen persönlichen Gesprächs manchmal noch zu klären ist, wird es heikel, wenn es darum geht, auf der Suche nach pozentiellen Kunden Einzug in Datenbanken und Portale zu finden. In deren starren Schubladen wird lediglich zwischen Werbetexter einerseits und Autoren und Schriftstellern andererseits unterschieden, es muss also zwischen zwei Übeln gewählt werden: Der Eintrag in die Kategorie „Autoren und Schriftsteller“ ist die Garantie dafür, keinerlei Aufträge zu bekommen, der Eintrag unter „Werbetexter“ führt dazu, dass das elektronische Postfach mit Anfragen von Unternehmen vollgestopft wird, die nicht zum thematischen Portfolio gehören.

Natürlich bin ich auch Kolumnistin und Bloggerin – allerdings kann ich (noch) nicht davon leben, und es wäre also vermessen, mich selbst so zu bezeichnen. Das Gleiche gilt auch für die Bereiche Textkunst und Ghostwriting.

Was also bin ich?

Die Ausdrucksweise „Ich schreibe“ vermeide ich. Sie wirkt unseriös bis hochtrabend und führt zu keiner wünschenswerten Interpretation. Meistens begnüge ich mich achselzuckend mit einer bewusst kindischen, eigentlich kontraproduktiven Antwort, die mich zumindest nicht in allzu große Schwierigkeiten bringt: „ich mach‘ so Texte …“ Mein Gegenüber verliert augenblicklich das Interesse – zu meiner Erleichterung.

Im englischen Sprachraum wird „solchen wie mir“ eine wunderbar unkomplizierte und zutreffende Lösung geboten: „Writer“, ein Sammelsurium aller schreibenden Berufe, das sich wenn gewünscht durch Präfixe differenzieren lässt, aber auch durchaus ohne weitere Charakterisierung so stehenbleiben und verwendet werden kann und über dessen Inhalt offenbar ausreichender Konsens herrscht.

Wäre ich nur in New York …

NACHTRAG! Ein interessanter Zufall – gerade den ersten Absatz dieses Posts entdeckt.

08/4/12

New York Diaries

In den kommenden zwölf Monaten wird mein Alltag um einen schönen Moment reicher sein. Das verdanke ich Nifty, in dessen (oder deren?) Notebook Stories – eine für mich immer wertvolle Quelle, die zu meinem festen täglichen Blogrundgang gehört – ich einmal mehr einen äußerst interessanten Hinweis gefunden habe.
Die berühmte Journalistin und Autorin Teresa Carpenter hat in langen Recherchen das faszinierende Buch „New York Diaries“ zusammengestellt. Hier eine genaue Darstellung, wobei hervorzuheben ist, dass das Buch nur Abschriften und keine Abbildungen enthält und Beiträge in nicht englischer Sprache übersetzt wurden und nicht im Originaltext wiedergegeben werden.
Natürlich ließe sich das Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen, aber ich fände es zu schade. Ich möchte die Stimmung des jeweiligen Tages erspüren können und werde also jeden Tag nur den Eintrag oder die Einträge lesen, die sich auf das jeweilige Datum beziehen. Ich habe am 23. Juli damit begonnen und genieße diese wenigen Minuten des Tages sehr. Es ist eine Art Enklave in der Zeit, in der ich mich dem Hier und Jetzt völlig entziehe und so auf fast vergessene Weise zur Ruhe komme.
Danke hierfür an Teresa Carpenter – und natürlich an Nifty.

07/31/12

Ein perfekter Tag

In letzter Zeit hatte der Frust die Oberhand gewonnen: Das indiskutable Wetter, unangenehme Kunden mit unrealistischen bis unverschämten Preisvorstellungen, eine unterirdische Zahlungsmoral, die bevorstehende Zerstörung meines geliebten Vorgärtchens durch unumgängliche Bauarbeiten, Angst um das trotz beeindruckender Mieten marode Gebäude, das das TextLoft beherbergt, hatten den Alltag über viele Monate in ein breiiges Mosaik aus mittleren Katastrophen verwandelt, und das Leben verlief in einem nicht enden wollenden Tunnel kleiner und großer Ärgernisse und Sorgen, gegen die sich der durch zu kurze, seit einem halben Jahr regelmäßig von Bohr- und Hämmerlärm aus einer Dauerbaustelle im Nebenhaus und den stets zur Unzeit herausbrechenden Bellattacken eines neu eingezogenen, offenbar andauernd wütenden Hundes jäh beendete Nächte übermüdete Körper nicht mehr so recht zu wehren wusste.
In dieser düsteren Stimmung war ich nicht einmal bereit gewesen, der Wettervorhersage Glauben zu schenken, als angekündigt wurde, dass sich etwas wie Sommer einstellen sollte.
Aber die guten Dinge kommen eben unverhofft, und als ich an jenem Tag aufstand, war der Sommer wirklich da.

Es war nicht nur die Sonne, die einen ungetrübten und heißen Tag versprach. Der laue und weiche Wind, der die Haut sinnlich streichelte, trug den Duft von Gras, Holz, Phloxen und Lavendel zu mir herein. In jedem anderem Jahr hätte ich nun die Fenster geschlossen, das Loft abgedunkelt, um für die kommenden Tage für Mensch und Maschinen einen Rest Kühle in den Räumen zu bewahren. Aber nach diesen langen dunklen und hoffnungsfreien Wochen konnte ich es nicht und ich ließ die Wärme gewähren. Nachdem ich den Blumenuntersetzer, der unseren vielen gefiederten Besuchern als Schwimmbad dient und den sie offenbar jeder für sie erdachten und im Handel zu erwerbenden Luxusausgabe konkurrenzlos vorziehen, nachgefüllt und die Pflanzen des Töpfchengartens versorgt hatte, setzte ich mich mit einem längst vergessenen Glücksgefühl an den Schreibtisch. Wenige Tastenbewegungen später bemerkte ich ein morseartiges Tippen und ein seidiges Rascheln. Die erste kleine Blaumeise des Tages hatte den Weg ins Wasser gefunden.
Das tippend-tickende und raschelnde Geräusch unbeschwerten Vogelglücks begleitete mich durch die Arbeitsstunden bis in den Abend hinein, während Rotkehlchen, Heckenbraunellen, Kohl- und Blaumeisen, aber auch Amseln, für die die Schale genau genommen viel zu klein sein sollte, ihren ganz eigenen Pool in vollen Zügen genossen.
Der grüne Salat mit eingelegten Entenmagenstreifen, die Melone, der Orangensaft schmeckten so intensiv wie lange nicht mehr, der Kaffee duftete ganz ungewöhnlich, und dass ich den Einbruch der Nacht mit Schreibblock und Buch auf der Terrasse erleben durfte, ohne dass eine weitere Katastrophe oder schlechte Nachrichten die gute Stimmung zunichtemachten, war der perfekte Abschluss eines perfekten Tages.

07/20/12

Kreativität als Missverständnis

TextLoft wirbt überschwänglich mit Begriffen wie „kreativer Raum“, „kreative Welten“. Das Ziel ist es, potenziellen Kunden zu vermitteln, dass die Texte, die hier entstehen, nicht so einfallslos sind, wie man sie sonst so gut wie überall findet, dass ich mir Gedanken über ihre Aufträge mache und ich andere, originellere und stimmungsvollere Ergebnisse erziele, als andere Texter es tun. Es ist ein Marketing-Argument, das sich in erster Linie an Leser richtet, die sich nie Gedanken über das gemacht haben, was Schreiben ist und die es auch nicht interessiert. „Kreativ“ bedeutet für sie „das Gegenteil von 08/15“ – damit kann ich leben, denn Eigenwerbung muss nun einmal mit den Wölfen heulen und sich Instrumenten bedienen, die auch jeder versteht und über die gerade Konsens herrscht, auch wenn die Genauigkeit des Wortsinns darunter leiden mag.

Privat aber würde ich dieses Wort in dieser Bedeutung niemals verwenden, denn es ist ungenau und vermittelt ein absolut falsches Bild dessen, was Schreiben ist.

Aus irgendeinem Grund, der mir mittlerweile entfallen ist, ergab es sich, dass ich neulich mit einer flüchtigen Bekannten neben den üblichen, belanglos-oberflächlichen Plattitüden auf das Thema „Beruf“ zu sprechen kamen. Wie sich herausstellte, ist auch sie freiberuflich tätig – als Übersetzerin. Als ich ihr, ohne mir dabei etwas Besonderes zu denken, von TextLoft und meiner Arbeit erzählte, rief sie voller staunender Bewunderung aus: „Oooh, dann sind Sie aber richtig kreativ! Also, ich könnte das gar nicht, ich bin überhaupt nicht kreativ!“ In Bruchteilen von Sekunden müssen in meinem Gehirn gleichzeitig eine Vielzahl von vor Sozialkompetenz nur so strotzenden Routinen und Automatismen abgelaufen sein, denn es gelang mir tatsächlich, einfach nur wortlos, etwas verlegen schulterzuckend und höflich zu lächeln. Ich empfand ihre Bemerkung als so dumm, dass ich es nicht übers Herz brachte, sie zu korrigieren und damit in Verlegenheit zu bringen. Wie sie aus der Tatsache, dass ich schreibe, spontan zurückschließen konnte, dass ich kreativ sei, führte ich auf ein eingeschränktes und einfältiges Urteilsvermögen zurück, tat es überheblich kopfschüttelnd ab und vergaß den Vorfall.
Vor wenigen Tagen allerdings überraschte mich eine Online-Freundin, an deren intellektuellen Fähigkeiten ich wiederum nicht zweifle, mit einem ähnlichen Ausspruch, was mich dazu brachte, noch einmal über die Angelegenheit nachzudenken.

In der Tat bin ich in keiner Weise kreativ und bin es auch nie gewesen. Kreativität ist Einfallsreichtum, Träumerei – nichts davon entspricht meiner Persönlichkeit, und mir könnte niemals ein Science Fiction- oder Fantasy-Roman einfallen. Die Gabe einer Joanne K. Rowling, eines John Ronald Reuel Tolkien oder eines Robert Heinlein ist mir absolut fremd. In meinem Beruf erschaffe ich Stimmungs- und Bildertexte, in meiner Freizeit schreibe ich Kriminalromane und Thriller. Beides beruht auf der genauen Beobachtung der Wirklichkeit, der Kenntnis der menschlichen Psyche und der Macht der Sprache auf das Gehirn, der Liebe zum Detail, zur Nuance. Ebenso unterscheidet sich ein Comic-Zeichner, der einen Superhelden und sich in Menschen verwandelnde Roboter erfindet, von einem Landschaftsmaler: Während der erste im eigentlichen Sinn in der Tat als kreativ zu bezeichnen ist, besitzt der zweite lediglich ein Auge für Bilder und Stimmungen und ein Handwerk, das ihm ermöglicht, das wiederzugeben, was er sieht.

Durch diese Überlegungen wurde mir bewusst, wie sehr die Tätigkeit des Schreibens in der breiten Bevölkerung missverstanden wird. Dass Schreiben mit Begriffen wie Kreativität assoziiert wird, führt zu einer katastrophalen allgemeinen Sichtweise des Berufs und seiner Anforderungen.
Schreiben ergibt sich nicht aus einem vom Himmel herunter regnenden Manna. Schreiben ist Handwerk, das Ergebnis einer soliden Ausbildung und unerbittlich zahlreicher und vielfältiger Übungen, sowie eines Grundpolsters genetischer Voraussetzungen, die für gewöhnlich als Talent aufgefasst werden. Auch dies hat nichts mit Kreativität zu tun: Ein Weltrekordler im 100-Meter-Lauf ist talentiert und hat von der Natur gewisse Vorzüge erhalten, die ihn – mit dem entsprechenden Training und Willen gepaart – dazu befähigen, deutlich schneller zu laufen, als andere es jemals könnten. Zu sagen, dass er kreativ sei, wäre absurd.
Erforderliche natürliche Eigenschaften sind für das Schreiben Geduld, ein sicheres Gespür für ästhetische Werte, ein sehr erhebliches Einfühlungsvermögen, Beobachtungsgabe, Vorstellungskraft, Selbstdisziplin, analytische Gründlichkeit, systematische Genauigkeit, synthetische Strenge. Unabdingbare äußere Bedingungen sind Freiheit und mitunter Ruhe. Im Gegensatz zu einer wirklich kreativen Tätigkeit, entsteht das Schreiben nicht aus dem Nichts und aus eigener Kraft. Es bedient sich nur der äußeren und der inneren Natur.

07/19/12

„Du hast Dein Hobby zum Beruf gemacht“

Schreiben kann ja jeder. Und überhaupt macht es Spaß. Wie Stricken, Malen, Töpfern auch ist es eines der so genannten „kreativen Hobbies“ und unterscheidet sich also nicht vom Glückwunschkartenbasteln.
So ist wohl zu erklären, dass jemand mir neulich mit aufrichtiger Begeisterung fröhlich entgegenwarf: „Du hast ja Glück, Du hast Dein Hobby zum Beruf gemacht! Das möchte doch jeder!“
Was mir einen Stich in die Magengegend versetzte, war nicht der unüberhörbare Neid und die leichte Missgunst, die im Unterton mitschwang. Es war das Ausmaß des Missverständnisses, das sich dahinter verbarg, das ich ohne lange Ausführungen und im Rahmen eines normalen Gespräches nicht mehr aus der Welt schaffen konnte, es war die Lebenslüge, die sie bedeutete.
Ich schreibe schon mein ganzes Leben. Ich habe schon als Kind im Grundschulalter geschrieben. Das Schreiben als Hobby zu bezeichnen, würde mir allerdings nicht im Traum einfallen. Es ist ein tief verwurzeltes Bedürfnis, so notwendig wie Essen, Schlafen und Atmung. Es ist nichts Entspannendes oder Ausgleichendes. Es ist eine anstrengende, verzehrende Sucht, die einen gleichermaßen befriedigt und erschöpft. Dass ich schreibe, ist ein Zugeständnis, das mir das Leben abgetrotzt hat und auf der Einsicht beruht, dass ich das kann und dass andere mögen, was ich schreibe. Ich habe es mir nicht ausgesucht, die Natur hat es für mich getan.
Von Hobby keine Spur.

07/11/12

Warum die Jahreszeiten für Schreibende so wichtig sind

Wer regelmäßig im Blog vorbeischaut, merkt bald, dass Einträge nicht selten das Wetter und die Jahreszeiten zum Thema haben, und auch mein Twitter-Account könnte den Eindruck entstehen lassen, meteorologische Beschreibungen seien das eigentliche Betätigungsfeld von TextLoft.

Dass solche Dinge in der Tat eine große Rolle spielen, hat mit den eigenen Gesetzen des Schreibprozesses zu tun.

Zum einen liegt es in der Natur der Sache, dass – von Recherchen abgesehen – der Vorgang des Schreibens sich mehrheitlich in den eigenen vier Wänden abspielt. Wer ernsthaft schreibt, verlässt das Haus manchmal über Wochen oder Monate nicht oder nur sehr wenig, d.h. nur sehr sporadisch und nur sehr kurz. Unabhängig davon, dass Termine manchmal einzuhalten sind und intensives Arbeiten also nicht zu vermeiden ist, ist diese Abgeschiedenheit für den Schreibenden der einzige Weg, den Text im Fluss zu halten, inhaltliche und stilistische Konsistenz zu erreichen, ein homogenes Werk zu erschaffen und eine von der ersten bis zur letzten Seite gleichbleibende Denk- und Schreibqualität zu erhalten. Während es bei wissenschaftlichen Texten oder Sachbüchern durchaus sinnvoll und vorteilhaft ist, einem festen Stundenplan oder einem bestimmten täglichen Seitenpensum zu folgen und danach die Arbeit bis zum nächsten Tag ruhen zu lassen, ist dies etwa bei Romanen weder wirklich möglich noch wünschenswert. Der Text lässt sich hier nicht bändigen, er muss ausbrechen und kann nicht einfach zurückgehalten werden, er kennt keine Uhrzeiten, keinen Tag, keine Nacht. Wie ein reißender Fluss bahnt er sich seinen Weg, notfalls mit Gewalt, und dem Schreibenden bleibt nichts anderes übrig, als bis zur Atemlosigkeit zu schreiben. Er lebt für diese Zeit in einem Tunnel aus Worten, einem soliden Bau aus Gedanken, in den die Außenwelt nicht einzudringen vermag. Das, was draußen geschieht, reduziert sich in solchen Zeiten auf die überschaubaren Eindrücke, die sich durchs Fenster schleichen oder – je nach Wohnsituation – in der Möglichkeit offenbaren, auf dem Balkon, der Terrasse oder im Garten zu schreiben. Diese wenigen Schnappschüsse, die sich in solchen Phasen höchster, ja vernichtender Konzentration aus Licht, Farben und Temperaturen ergeben, wenn die Augen für einen Augenblick das Papier oder den Bildschirm verlassen, ohne den Gedanken aufzugeben, oder die Umgebung unbewusst wortsuchend ertasten, sind dann der einzige Kontakt zur Außenwelt, das einzige Entkommen in die Realität, die einzige Flucht aus dem zwanghaften Fieber des Schreibens. Um so wichtiger sind diese winzigen Momente der Linderung und der Normalität. Sie sind Arznei, Entschädigung und Belohnung zugleich.

Ein weiterer Grund ist der Beruf des Schreibens an sich. Schreibende, Maler, Fotografen, Innenarchitekten gehen im Grunde derselben Tätigkeit nach: Sie erfassen Bilder, Farben, erspüren Ungesagtes, Unterschwelliges, Stimmungen und geben sie mithilfe ihres jeweiligen Mediums wieder oder erschaffen sie da, wo sie nicht vorhanden sind. Dieses Erspüren, Erfassen, die Beobachtung natürlicher Dinge und menschlichenVerhaltens sind also viel wichtiger als der fälschlicher Weise als „kreativ“ bezeichnete Prozess.
Schon aus diesem Grund bringen Schreibende eine Art natürliche Wetterfühligkeit mit, eine Überempfindlichkeit für kleinste Veränderungen des Himmels, des Lichts, der Luft, der verschiedensten atmosphärischen Phänomene. Sie sind nicht nur Lebensersatz in Zeiten intensiven Schaffens, sie sind auch Symptom und Material, Nahrung und Grundlage. In dem jeden Tag gleichen Umfeld des „Homeoffice“, wie es Neudeutsch heißt, ist der Wechsel der Jahreszeiten zudem eine gesundheitlich notwendige, ja überlebenswichtige Größe. Er schenkt den Rhythmus, der das Leben „nur zu Hause“ strukturiert, Prekarität zu überbrücken hilft und lehrt, Genuss nicht zu vergessen.
Aus dieser Symbiose entsteht nicht zuletzt aber eine labile Abhängigkeit. Fällt eine Jahreszeit aus, ist der Sommer herbstlich kühl und verregnet oder der Winter unnatürlich mild, wankt die feste Funktion des Wetters. Das Gefühl von an das Schreiben verlorenen Lebenszeiten kommt zutage und stellt Existenzentscheidungen in Frage.

Das seltsam tiefe, innige und fragile Verhältnis des Schreibenden zum Wetter und die krankhaft-zwanghafte Aufmerksamkeit, die er ihm schenkt, sind mehr als eine typische „Künstlerschrulle“. Sie sind Ausdruck all dessen, was das Schreiben ausmacht – in seiner Verbundenheit und Liebe zum Leben und zur Natur, in seiner nicht ungefährlichen Verwundbarkeit.

07/5/12

Was ist Arbeit?

Die Einschätzungen in meinem Bekanntenkreis gehen weit auseinander. Während Nachbarn und durchaus einige Familienmitglieder eher zu der Ansicht tendieren, ich sei nicht berufstätig, da ich ja „zu Hause bleibe“, sind Freunde im Allgemeinen eher der Meinung, ich würde „nur “ arbeiten und hätte keinerlei Privatleben.

Was ist Arbeit, wenn man schreibt? Wo fängt sie an? Was zählt dazu und was nicht? Die Antworten sind hier wahrscheinlich so vielfältig und differenziert, wie die eigene Auffassung des Berufs und die eigene Lebenseinstellung es auch sind.

Fakt ist: Ich sitze den ganzen Tag am Schreibtisch – wobei unter dem Ausdruck „den ganzen Tag“ ein Zeitspanne von 10 bis 16 Stunden zu verstehen ist. Allerdings würde ich nicht sagen, dass ich dabei immer arbeite. Mein Terminkalender gibt darüber genau Auskunft, nicht zuletzt weil ich mir angewöhnt habe, verschiedene Tätigkeitsbereiche farblich zu kennzeichnen.
Als Arbeit bezeichne ich ausschließlich die Zeit, in der ich tatsächlich für Geld schreibe, also einen konkreten, (hoffentlich) bezahlten Auftrag bearbeite. In meinem Terminkalender sind diese Aufgaben in Schwarz markiert. Erstaunlicherweise handelt es sich um sehr wenige Stunden – im Durchschnitt 2 bis 4 Stunden täglich, die aber durchaus auf einmal in Form einer 30 oder 36 Stunden-Dauerschicht anfallen können.
Danach beginnt eine Grauzone, eine Art „Peripherie“, die in meinem Kalender die ungeliebte Farbe Lila trägt, und die ich unter der Sammelbezeichnung „Verwaltungsarbeiten“ zusammenfasse. Hierzu zählen das Erfassen und Verwalten von Aufträgen und Kundendaten, Buchhaltungsarbeiten und Steuerangelegenheiten, die Beantwortung von eMails aller Art, das Erstellen von Kostenvoranschlägen, Archivierungsarbeiten, Bank- und Versicherungsangelegenheiten, Rechnungsstellungen, aber auch private Korrespondenz, Mietbelange und ähnliche Dinge. In Zahlen ausgedrückt handelt es sich um etwa 2 bis 3 Stunden täglich. Auch wenn all diese Pflichten ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordern, bedeuten sie bei weitem nicht jene erschöpfende und körperlich verheerende Konzentration, die das Schreiben erfordert. Da sie außerdem nur indirekt dem Gelderwerb dienen, betrachte ich sie nicht als Arbeit im eigentlichen Sinne – auch wenn sie lästig sind.
Die meiste Zeit, die ich am Schreibtisch verbringe, ist in meinem Terminkalender mit einem Rosa-/Pinkton markiert. Es sind durchschnittlich je nach Auftragslänge und Verfassung 6 bis 10 Stunden täglich, die der Suche nach neuen Kunden, Werbung, Online-Marketingmaßnahmen und Recherchen (darunter die Pflege verschiedener Blogs) gewidmet sind. Auch hier würde ich nicht von Arbeit reden. Diese Tätigkeiten sind zwar überlebensnotwendig, doch weder anstrengend noch unmittelbar in Geld umzurechnen.

Aus dieser Sicht der Dinge heraus arbeite ich also recht wenig. Und das ist gerade das Schöne am Schreiberleben.

01/27/12

Freiheit und Jahresbeginn

Eine der schönen Seiten des Freiberuflerdaseins ist für mich die Tatsache, dass es mir ermöglicht, zumindest in weiten Teilen das Gefühl der Selbstbestimmtheit aufrechtzuerhalten, das ich in den letzten Jahren des Studiums als die für mich einzig richtige Lebensform entdeckt hatte. Objektiv betrachtet arbeitet man bei weitem nicht weniger, aber das Wissen um die Möglichkeit, die eigene Zeit frei einteilen zu können, fördert nicht nur die Kreativität, sondern in sehr erheblichem Maße auch die Qualität des Ergebnisses. Will ein Absatz nicht richtig gelingen – etwa nach einer schlechten Nacht, wegen ständiger Störungen durch Telefon und Türklingel -, kann man sich ohne schlechtes Gewissen dem Fensterputzen/Kelleraufräumen oder irgendeiner anderen hirnwindungenbefreienden Tätigkeit widmen: Am folgenden Tag wird man problemlos und ganz unbemerkt 18 Stunden ohne Pause schreiben, nachdem sich Frische und Inspiration wieder eingestellt haben. Arbeit wird so nicht als Zwang empfunden, denn sie folgt sozusagen dem eigenen Biorhythmus.
Die damit verbundene Unsicherheit sehe ich als den gerechten Preis dafür, dass ich meine Jugend so künstlich ins Unendliche verlängern darf und mir den Luxus leiste, das Erwachsenwerden einfach und mutwillig zu verweigern.
Diese Freiheit ist durchaus real, aber so märchenhaft sie sich anhören mag, sie ist natürlich nicht grenzenlos. Als Selbstständige mit Verantwortungsbewusstsein für das eigene Leben muss man auch die Aufträge feiern, wie sie fallen. Pläne über Bord werfen zu müssen, gehört ebenso dazu, wie es zu verstehen, die Balance zwischen Spitzenzeiten und zu ruhigen Phasen nicht nur auszunutzen, sondern auch zu genießen.
Die ersten Wochen des Jahres, die üblicherweise von Ruhe gekennzeichnet sind und eher dazu dienen, Zeitpunkt und Umfang von Werbemaßnahmen, von freiwilligen Projekten und Pflichtaufgaben in das noch fast jungfräuliche Terminbuch einzutragen, verliefen dieses Mal ganz unerwartet. Ein unangekündigter Großauftrag, den es zudem in einer unmöglichen Rekordzeit zu bewältigen galt, riss mich aus der genussvollen und bedächtigen Planungsphase unsanft in medias res.
In solchen Fällen verschwindet die Welt außerhalb des Auftrags völlig, das Leben steht still, was sich nicht zuletzt ärgerlicherweise in Form eines immer voller werdenden Wäschekorbs offenbart. Eine Nachtschicht jagt die andere, und wenn der Spuk endlich vorbei ist, liegt alles andere brach.

10/24/10

Trakl? Oder doch Handke?

Ein amüsantes Spielchen bietet die FAZ auf der Seite https://www.faz.net/f30/aktuell/WriteLike.aspx unter dem Titel „Ich schreibe wie …“. In ein leeres Feld kann der Leser eigene Texte eingeben, und ein Algorithmus verrät ihm in Sekundenschnelle, welchem bekannten Schriftsteller sein Schreibstil am ehesten entspricht. Je länger der Text, desto genauer die Diagnose, heißt es in der Beschreibung. Natürlich handelt es sich nur um einen netten Zeitvertreib und nicht um eine wissenschaftliche Analyse – doch mein Spieltrieb war geweckt und ich musste es einfach ausprobieren. Nach Eingabe von etwa 30 Texten, von denen einige aus diesem Blog stammen und andere unveröffentlichte, private Texte waren, änderte sich das Ergebnis nicht und ich erhielt immer wieder die beiden gleichen Antworten: Bei den eher sachlichen oder fachlichen Texten erkannte das Programm eine Ähnlichkeit mit Peter Handke, alle privaten Texte und die Stimmungsbilder aus dem Blog wurden Georg Trakl zugeordnet. Nun, Thomas Mann wäre mir lieber gewesen als Peter Handke, bei dem ich etwas geknickt war. Aber Georg Trakl schmeichelte durchaus meinem geschundenen Ego. Und überhaupt: Zumindest schreibe ich nicht wie eine Frau. Und das ist die Hauptsache.

05/9/10

Der Freiberufler und seine Freunde

Es ist ein Gemeinplatz: Das Leben eines Freiberuflers unterscheidet sich sehr stark von dem eines Festangestellten.
Freundschaften sind dabei ein besonders heikles Thema, und die Gründe dafür sind vielfältiger, als man vermuten könnte.

Der Zeitfaktor spielt dabei natürlich eine große Rolle.
Die Rechnung ist leicht nachvollziehbar: Eine kalendarische Woche hat 168 Stunden. Gut arbeiten kann nur, wer ausgeruht ist, also sind zunächst 58 Stunden Schlaf abzuziehen. Es verbleiben 110 Stunden zur nicht ganz so freien Verfügung. Dabei entfallen 30 Stunden auf die tatsächliche Bearbeitung bezahlter Aufträge, 15 Stunden auf Besprechungen mit Kunden und geschäftliche Korrespondenz, Auftragsverwaltung, Buchhaltung, Auftragsarchivierung und Datensicherung, 18 Stunden auf Pflichtlektüren, Werbemaßnahmen und Kundengewinnung, wozu die Pflege der beiden Blogs gehört. 17 Stunden dienen der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten und der Körperpflege, 20 Stunden der Hausarbeit und weitere 8 Stunden mietvertragsbedingten Pflichten wie Vorgartenpflege und Säuberung von Treppenhaus, Gemeinschaftsräumen und Bürgersteig, 2 Stunden dem privaten Papierkram. Damit ist der wöchentliche Stundenplan ausgeschöpft, und so etwas wie Freizeit gibt es nicht wirklich – es sei denn als Ausnahme „zwischendurch“ in auftragsschwächeren Monaten. Es sind dann die wenigen, und daher um so wertvolleren Stunden, an denen man sich auf dem Balkon mit einem guten Buch zurückzieht, die Gelegenheit nutzt, den überfälligen Besuch beim Frisör einzuschieben, Blumenzwiebeln für den kommenden Frühling setzt, wieder zur Staffelei greift oder strickend zusieht, wie der Schnee fällt.

Wenn der eigene Bekanntenkreis nicht auch aus Selbständigen besteht, ist dies allerdings nur auf dem Papier verständlich.

Da sind die Leute, die seit der Schulzeit ihrer Wege gegangen sind und die erst nach einem – wie sich mittlerweile herausstellt – unbedachten Eintrag in ein entsprechendes Portal in einem Anflug gerührter Nostalgie wieder oder erstmals zu Freunden wurden. Eigentlich dachte ich an jenem Tag, man könnte doch mal sehen, was aus diesem oder jener geworden sei, und Weihnachten und Ostern eine unbedeutende Postkarte samt einem ebenso unbedeutenden Foto austauschen, und hatte arglos und naiv nach einigen Menschen Ausschau halten, die mir positiv in Erinnerung geblieben waren. Mehr sollte sich daraus nicht entwickeln. Aber die Jahre verändern offenbar Vieles, und was eine nicht einmal intensive Schulkameradschaft war, soll nun aus unerfindlichen Gründen zu einer überschäumenden Freundschaft werden. Man will ja niemanden verletzen. Also spielt man das Spiel mit.
Nur sind die Gemeinsamkeiten in den beiden letzten anderthalb Jahrzehnten nicht erheblicher geworden. Ich bin freiberuflich tätig, habe keine Kinder und lebe ein eher unkonventionelles Schreiberleben ohne anderweitige familiäre Verpflichtungen oder Ambitionen – mitten in einem Rudel verheirateter Hausfrauen mit jeweils drei bis vier Kindern (es sind immer Söhne, seltsamerweise, wie mir soeben auffällt), die entweder nie gewusst, oder schon lange vergessen haben, was es bedeutet, berufstätig, erst recht selbständig zu sein.

Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der Nachwuchs ist aus dem Haus und nach den täglichen Putz- und Aufräumpflichten haben die Mütter den ganzen Nachmittag Zeit. Also verschicken sie eMails. Nur habe ich nicht immer die Möglichkeit, sie schnell, geschweige denn, wie sie es erwarten, postwendend zu beantworten, und das ist das erste Problem. Bald hat man jemanden beleidigt, der einfach nicht glauben kann, dass man sich nach einem 16-Stunden-Tag tatsächlich lieber hinlegt, als Plattitüden über das Wetter von sich zu geben – in Ermangelung spannenderer Neuigkeiten, die sich bei konzentriertem Sitzen am Schreibtisch einfach partout nicht ergeben wollen –, und die private Korrespondenz auf ruhigere Stunden verschoben werden muss. Sie möchten Koch- und Backrezepte austauschen und senden mir ungefragt welche zu, bei denen die Zubereitungszeit zwischen 45 Minuten und 3 Stunden beträgt und die Kalorienzahl genügen würde, um gestandene Möbelpacker zu überfordern.
Und dann melden sie sich an. „Wir sind zufällig nächsten Woche in Norddeutschland und kommen Dich auf dem Rückweg besuchen. Das wird toll! Wir haben uns soooo lange nicht mehr gesehen. Wir können eine ganze Woche bleiben. Du musst uns unbedingt die Stadt zeigen! Und die Region! Kann man bei Euch ‚was unternehmen? Du musst Dir aber keine Umstände machen. Wir campen auch gern. Und wenn die Kinder Pommes und Steak kriegen, sind die restlos glücklich.“ Wie der Rest des Telefonats verläuft, ist nicht schwer zu erraten. Ich kann mir das freundschaftliche Einfallen von 5 bis 6 Personen weder zeitlich, noch räumlich, noch finanziell leisten, doch wie sollte das jemand begreifen, der im Jahr vier Wochen bezahlten Urlaub und etliche „Krankheitstage“ zur Verfügung hat? Also versuche ich klarzustellen, dass ich mich freuen würde, sie wiederzusehen, dass es aber leider nicht geht, erst recht nicht so kurzfristig, und überhaupt könne ich beruflich nicht einfach so umdisponieren. Was in den meisten Fällen dazu führt, dass die sogenannte Freundschaft auf einmal merklich abkühlt.

Und dann gibt es noch die etwas engeren Freunde, mit denen die Bande während des Studiums geknüpft wurden.
Man hat seinerzeit ganze Nächte lang über Literatur, Liebeskummer und Lieblingsmusik diskutiert, hat Zukunfts- und Karrierepläne geschmiedet … Das waren die echten, tiefen Freundschaften, die ein Leben halten sollten. Und dann verließen alle nach und nach die Stadt, aber der Kontakt blieb natürlich intensiv und man konnte sich gar nicht vorstellen, dass es einmal anders werden sollte.
Es ist anders geworden. Diejenigen, die nicht auch zwischen Kindern, Küche und Campingurlauben ihr Dasein fristen, sind verbeamtet oder arbeiten in der Verwaltung. Ob der Versuch, ihnen nahezubringen, was eine Woche mit 110 Arbeitsstunden und den Geldsorgen eines Selbständigen bedeutet, eher als Wagnis, Herausforderung oder schlicht müßiges Unterfangen zu bezeichnen wäre, könnte ganz sicher Gegenstand einer abendfüllenden Fernsehdiskussionsrunde werden. Jedenfalls werden die Kontakte im Laufe der Jahre immer seltener, ganz gleich wie sehr man sich anstrengt, Zeit für Briefe und Telefonate zu finden. Bis der Wunsch eines Tages sogar ganz erlischt, es noch einmal mit einer Neujahrskarte zumindest zu versuchen, denn – seien wir ehrlich –, dass der Nachwuchs, den man mangels Zeit nur aus Jahre alten, kurz nach der Geburt entstandenen Fotos kennt, nun einem Sportverein beigetreten ist, dass ein neuer Wohnmobil angeschafft wurde oder das geerbte Haus nun grundrenoviert wird, interessiert einen nicht wirklich aufrichtig.

Auch später geknüpfte Freundschaften halten der Selbständigkeit nicht lange stand. Nachdem man die x-te Einladung zu Geburtstag, Taufe, Hauseinweihung oder Grillen wegen Aufträge hat ablehnen müssen, werden eines Tages keine mehr ausgesprochen. Es ist traurig, aber nicht verwunderlich.

Doch wo soll der Freiberufler nun neue Freunde finden, die seine Situation kennen und verstehen? Durch Treffen und Messen mit anderen Freiberuflern? Wohl kaum, sie haben ja auch keine Zeit. Im Umgang mit Geschäftspartnern? Sie sitzen auf der anderen Seite der eMail, weit weg.
Ist der Freiberufler einsam? Möglichweise. Manchmal schon, sicher. Vielleicht ist es ihm aber nicht immer ganz unrecht, die Gesellschaft von Büchern vorzuziehen. Und im Zweifelsfall kann er darüber nachdenken, ob es nicht schön wäre, ein Kätzchen im Haus zu haben. Es muss ja nicht heute entschieden werden.

03/25/10

Umberto Eco und ich

Als wir uns vor sechseinhalb Jahren auf Wohnungssuche begaben, um den 32 m² ohne Küche zu entfliehen, die schon über ein Jahrzehnt unsere Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstätte darzustellen bemüht waren, hatten wir es nicht leicht. Freiberufler sind in einer konservativen Studenten- und Beamtenstadt als Mieter nicht gerade erwünscht, geschweige denn gefragt, und wir mussten erleben, dass auch Immobilienmakler trotz vertrauenswürdiger Umsatzzahlen eine Zusammenarbeit nicht einmal in Erwägung ziehen wollten: Ohne eine Bürgschaft betuchter Verwandter war es kaum möglich, überhaupt zu einer Besichtigung zugelassen zu werden. Solche Verwandten hatten wir nun einmal nicht, und auch wenn wir sie hätten vorweisen können, hätten wir sie nicht gebeten, wir sind schließlich längst erwachsen.
Außerdem waren die wenigsten Vermieter für den Begriff „Wohnbüro“ oder „Heimarbeit“ wirklich zu begeistern. Zu betonen, es sei damit kein Publikumsverkehr verbunden und die Kontakte zu unseren Kunden würden ausschließlich per eMail stattfinden, erwies sich als müßig: Wer den ganzen Tag in der Wohnung sei, würde sie mehr abnutzen, als ein Mieter, der tagsüber auf der Arbeit sei. Einer solchen Argumentation hat man naturgemäß wenig entgegenzusetzen.
Zu allem Überfluss suchten wir eine Wohnung in der Innenstadt, die genau unseren Vorstellungen entsprach, sprich mit vielen Wandstellflächen, ohne Dachschrägen und unzählige Winkel – klare, lineare Strukturen, wie das TextLoft sie eben mag.
So beschlossen wir, mit Kleinanzeigen in den lokalen Tageszeitungen in die Offensive zu gehen.

Um neben den vielen anderen Paaren, die mit ihrem bequemen und sicheren Festangestellten-Dasein prunken und punkten konnten, überhaupt eine Chance zu haben, setzten wir auf Originalität und Ehrlichkeit. „5000 Bücher suchen ein Zuhause„, lautete die erste, fettgedruckte Zeile unserer Anzeige. Die Anzahl der Vermieter, die sich von diesem Geständnis berühren ließen, war zugegebenermaßen nicht überwältigend, und bis auf drei mehr amüsierte als wirklich interessierte Anrufer meldete sich lediglich ein älterer Herr, der in unserem Text die versteckte Botschaft entdeckt zu haben glaubte, Menschen, die so viel lesen, würden niemals, aber auch niemals Musik hören, und wir seien für sein spießiges Zwei-Familien-Haus, in dem sich nur auf Zehenspitzen bewegt wurde, ja geradezu perfekt.
Auch wenn der Erfolg ausblieb und wir schließlich über andere Wege in unsere grüne innenstädtische Idylle fanden, steckte hinter dem vielleicht nicht ganz alltäglichen Text nicht nur Selbstironie. Wir besitzen tatsächlich so viele Bücher – inzwischen sind es natürlich einige mehr geworden.

Aus einem Grund, der mir bis heute schleierhaft geblieben ist, scheint diese Wahrheit aber grundsätzlich besonders unglaubwürdig zu sein. Nicht selten erlebte ich, wie Menschen, die uns zum ersten Mal besuchten, staunend vor unseren zahlreichen Bücherwänden standen und fragten: „Haben Sie die etwa alle gelesen?“. Immer wieder brachte mich diese Frage arg in Bedrängnis. Warum sollte ich denn Bücher kaufen, wenn ich sie nicht lese? Und warum war es überhaupt so verwunderlich, dass jemand gern liest? Oder traute man mir selbst einfach nicht zu, so viel zu lesen? Irgendwie empfand ich die Situation immer als etwas beleidigend, und noch ehe ich mich zusammenreißen konnte, wehrte sich mein Ehrgefühl ohne mein Zutun und wider besseres Wissen auf kindischste und überflüssigste Art, indem ich den dumm Fragenden mit dem ganzen Ausmaß der Wirklichkeit konfrontierte: „Ja, und ein paar Tausend mehr dazu. Das hier sind nur die wenigen, die ich gekauft habe“. Und jedes Mal aufs Neue ärgerte ich mich im selben Augenblick über mich selbst – darüber, dass ich mich einmal mehr auf dieses Narrenspiel eingelassen hatte, darüber, dass dieser Mensch mich dazu gebracht hatte, mich so zu benehmen, als hätte ich es nötig, ihm oder mir zu beweisen, ob oder wie belesen ich sei, darüber, dass ich mich dazu hatte provozieren lassen, mich wie ein Angeber zu verhalten – obwohl die Frage, wie viele Bücher ich je gelesen habe, für mich selbst als nicht im geringsten relevant einzuordnen ist. Tatsächlich könnte ich sie nicht annähernd beantworten, ich habe nie mitgezählt und wusste auch nicht, dass man es tun sollte.

Nach dem Einzug in die neue Wohnung änderte sich die Lage. Zum einen fällt die Menge der Bücher, die wir besitzen, dank großzügiger Wandflächen, puristischer Möblierung und der Verteilung auf eine größere Anzahl an Räumen optisch etwas weniger auf. Zum anderen ersetzte ich die früheren offenen Regale durch Bücherschränke und Vitrinen, was nicht nur einen besseren Schutz vor Staub bietet und eine Aufstellung der Sekundärliteratur „in zweiter Reihe“ ermöglicht, sondern auch durch das bloße Vorhandensein von Türen die für viele wohl erschlagende Wirkung von Tonnen von Papier geschickt umspielt und versteckt.
Außerdem kamen in den letzten Jahren nicht mehr so viele neue Besucher zum TextLoft, und unsere Bekannten haben sich mittlerweile so daran gewöhnt, dass sich bei uns alles um Bücher dreht – es sind sogar in der Küche welche zu finden, die nichts mit dem Kochen zu tun haben -, dass ich sehr lange Zeit diese wohl dümmste aller diesbezüglichen Fragen nicht mehr gehört und auch nicht mehr daran gedacht habe.

Bis mein Mann mich neulich mit einem Geschenk überraschte: Umberto Ecos Streichholzbriefe, bzw. ein Teil davon, von dtv unter dem Titel Wie man mit einem Lachs verreist und andere nützliche Ratschläge zusammengestellt. Es sind köstliche Texte, und ich verbrachte einen wirklich vergnüglichen und belohnenden Abend in ihrer Gesellschaft.
Eigentlich wäre ich niemals so anmaßend gewesen, zu denken, dass mich mit Umberto Eco mehr verbinden könnte, als die Tatsache, dass ich seine Bücher wie Oasen genieße, dass ich es liebe, in seine gepflegte Sprache einzutauchen, dass ich es bereue, niemals die Gelegenheit gehabt zu haben, einer seiner Vorlesungen in Semiotik beizuwohnen – was ohnehin schon daran gescheitet wäre, dass ich kein Wort Italienisch kann.
Doch dann war da dieser eine Streichholzbrief: „Wie man eine Privatbibliothek rechtfertigt“. Ich hatte mir bei dieser Überschrift nichts Konkretes vorgestellt und las einfach mit Genuss vor mich hin, aber plötzlich traute ich meinen Augen nicht, und ein Absatz ließ mich mit offenem Mund zurück, nachdem mein Herz beinahe ausgesetzt hätte: Tatsächlich berichtet Umberto Eco darin, wie Besucher und namentlich gebildete Personen, denen man nicht unterstellen könne, sie hätten in ihrem eigenen Alltag wenig Umgang mit Büchern, beim Anblick seiner die Wohnung beherrschenden Bibliothek ihn mit erstaunlicher Regelmäßigkeit fragen, ob er all die vielen Bücher auch wirklich gelesen habe.

Es konnte nicht sein. Mich fragt man das. In Ordnung. Ich bin ein Nichts. Ein Niemand. Eine Akademikerin unter vielen. Eine kleine Textarbeiterin mitten in irgendeiner Pampa. Gut. Angenommen. Vielleicht traut man mir wirklich nichts zu.
Aber er ist Umberto Eco.
Der Umberto Eco.
Wie kann jemand Umberto Eco genau die Frage stellen, die auch mir gestellt wird? Etwas passte nicht zusammen.

Nach der ersten Verblüffung, die eher als Schrecken daherkam, tröstet mich die Parallelität der Erfahrung aufs Innigste. Wenn der große Umberto Eco diese Frage – wie er sagt – mehr als einmal und von den unterschiedlichsten Leuten gehört hatte, dann konnte ich aufhören, beleidigt zu sein oder an meinem Image zu zweifeln. Offenbar gibt es eben solche Menschen, die das Lesen als so widernatürlich empfinden, dass ihnen nicht einmal einfällt, dass es anders geht.
In Münster und in Italien.
Überall.
Und ich werde Umberto Eco immer dafür dankbar sein, dass er mir das Selbstbewusstsein zurückgeschenkt hat, mich meiner Bibliothek trotz ihres Umfangs nicht mehr zu schämen.

03/7/10

Gestohlene Stunden

Der nummerisch letzte offene Auftrag wurde am Vortag abgeschickt, der Kunde ist zufrieden und hat sich bedankt, das Loft strotzt vor Glanz und Sauberkeit, der Wäschekorb ist leer, die Buchhaltung ist auf dem denkbar aktuellsten Stand, die laufende Werbekampagne ist gerade abgeschlossen, die neuen Blogartikel sind bereits online, auch die private Korrespondenz ist erledigt – nun beginnt die Zeit der gestohlenen Stunden.
Es ist für einen Freiberufler die wahrscheinlich schönste Zeit überhaupt. Der nächste Anruf, die nächste eMail und somit der nächste Auftrag werden nicht lange auf sich warten lassen. Aber bis dahin darf der losgelöste Raum nach Herzenslust gefüllt und genossen werden. Es ist die Gelegenheit, wieder gierig Seite um Seite zu lesen, zum Strickzeug zu greifen, oder anderes vermeintlich Sinnloses zu tun. Diese Arbeit und Pflichten abgerungenen Stunden sind die freiesten und erholsamsten, die man sich vorstellen kann.

01/15/10

Das private Tagebuch

Der Semainier zu meiner Linken ist voll davon: leere Tagebücher. Einige wurden mir geschenkt, weitere kaufe ich jedes Jahr aufs Neue, als wäre mein Vorrat schon erschöpft oder drohe Gefahr, für die kommenden Monate nicht mehr zu genügen. Mittlerweile sind es dutzende, oft prachtvolle Hefte und Bücher, einige von ihnen in Leder gebunden, die sich immer höher auf den gläsernen Regalböden türmen.
Es gibt gute Gründe dafür, sie nicht anzurühren. Die kostbarsten – meist Geschenke lieber Menschen, die meine Leidenschaft für das Schreiben kennen – sind eben das: kostbar und Geschenke lieber Menschen. Sie zu entweihen, kommt mir zwar in der Tat zuweilen in den Sinn. Ich berühre sie, befühle sie, der unbändige Schreibdrang stellt sich ein … und lege sie beinahe erschrocken und erleichtert zugleich an ihren Platz zurück, als hätte ich um ein Haar eine Sünde begangen. Sie sind viel zu schön, viel zu edel für meine nichtigen Gedanken, erst recht für meine fragwürdige Handschrift. Und wäre der erste Schritt erst getan, gäbe es ja kein Zurück mehr, es wäre nicht wiedergutzumachen. Sie wären unwiederbringlich benutzt – und sie sind doch so wunderschön in ihrer duftenden Jungfräulichkeit, in der Verheißung ihrer weißen, sinnlich weichen Seiten.
Neben der Furcht vor der ästhetischen Vergewaltigung der wertvollsten Exemplare spielen aber durchaus Verlustängste eine Rolle. Die weniger Respekt einflößenden Hefte könnten als Tage- oder Notizbuch durchaus für den alltäglichen Gebrauch taugen, aber es ist die Angst, sie als Material, als Potenzial, als Sicherheit nicht mehr zu haben, ein ähnliches Stück nicht mehr zu finden, die das erste Wort oder auch nur das Festlegen einer Bestimmung hemmt und zurückhält.
Manchmal kommt ein Tag der Kühnheit. Resolut wird eine viel zu lange aufbewahrte Kladde, deren Papier bereits gefährlich altert und möglicherweise nicht mehr lang beschrieben werden kann, rettend aus dem Schrank geholt und einem unausweichlichen Zweck zugeführt. Nicht selten folgt auf dem Fuße das schlechte Gewissen, etwas verbrochen zu haben, eigennützig und ungerechtfertigt verschwendet zu haben – tagelange Schuldgefühle sind der Preis für das gewagte Unterfangen.
Erst wenn ein Heft vollständig beschrieben ist, verliert sich endlich diese zu persönliche Beziehung, und es kann durchaus vorkommen, dass es den Weg aller Papiererzeugnisse findet, und sein Schicksal gnaden- und herzlos in die blaue Recyclingtonne führt, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Papier ist glücklicherweise geduldig.
Eine andere Art der Selbstüberlistung besteht darin, das Buch nicht für mich selbst, sondern für andere zu verwenden, es mit Texten, Collagen und Zeichnungen zu füllen und dann sozusagen als „Gesamtkunstwerk“ und Mitbringsel zu verschenken. Dieser goldene Kompromiss führt die wertvollen Seiten aus ihrem Schattendasein und lässt sich dennoch mit der Verweigerung eines selbstorientierten Genießens vereinbaren.
Und dennoch – der Semainier wird und wird nicht leer, und der tröstende Duft aus Papier, Leder und Leim, der sich mit dem des Holzes und des Wachses vermischt, wirkt beruhigend wie ein für schlechte Zeiten prall gefülltes Bankkonto.
Aber eines Tages werde ich es führen, mein privates Tagebuch. Bestimmt.