Frei, beruflich

„Du hast aber auch nie frei“, meinte eine Bekannte neulich und durchaus vorwurfsvoll, als ich wegen der Arbeit an einem bestimmten Projekt eine wirklich liebenswerte Einladung ausschlug. Diese Bemerkung habe ich so oft gehört, dass ich sie nicht einmal mehr wahrnehme.
Sollte ich darüber nachdenken? Habe ich wirklich nie frei?

Nun, der Schreibende kennt in der Tat keinen Feierabend, keine Wochenenden und kaum Feiertage. Zum einen muss er zuweilen eben die Arbeit feiern, wie sie fällt – die wirtschaftlichen Zwänge machen es unumgänglich. Zum anderen hört das Schreiben mit dem Abschluss eines bezahlten Auftrags nicht auf: Der Krimi will weiter geschrieben werden, Korrespondenz liegt an, das Blog wartet, Werbetexte zur Erweiterung des Kundenkreises sind auch wichtig und müssen regelmäßig aktualisiert und variiert werden. Sieht man von Notwendigkeiten wie Essen und Trinken ab, wären da noch die unvermeidliche Buchhaltung, die haushaltsbezogenen Aufgaben. Der Tag ist nicht lang genug, und nach außen hin besteht er natürlich ganz aus Pflichten.

Die Freiheiten des Schreibenden liegen sicher nicht in der Anzahl oder der Regelmäßigkeit der Pausen und Mußestunden.
Der Unterschied zu der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung besteht darin, dass der Schreibende nicht frei hat, sondern frei ist. Kommt mir mitten in der Nacht ein Gedanke, den ich weiterverfolgen möchte, darf ich es mir leisten, bis zum Tagesanbruch zu schreiben – ich muss nicht um 8 Uhr fit und aufgeräumt am Schreibtisch sitzen und kann den versäumten Schlaf, wenn es sein muss, bis in den frühen Nachmittag nachholen.
Überhaupt muss ich gar nichts.

Dieses Nichtsmüssen ist ganz sicher die größte Form der Freiheit, die man sich als Berufstätiger vorstellen kann. Ich muss einen Kunden nicht mögen, ich muss es ihm nicht einmal der Firmeninteressen wegen vorspielen, ich muss seinen Auftrag auch nicht annehmen – ich habe die Wahl, lieber zu hungern, wenn ich es möchte und mir meine Prinzipien aus welchen Gründen auch immer wichtiger sind. Ich muss niemandem gegenüber höflich sein, wenn ich es nicht für angebracht halte: Auftraggeber kommen und gehen, ich muss nicht über Jahre hinweg künstlich die Beziehung zu einem verhassten Vorgesetzten aufrechterhalten. Ich muss nicht aus dem Haus, wenn es draußen stürmt und schneit. Ich muss mich nicht in Büroschick zwängen, wenn mir nach dem kuscheligen Hausanzug ist oder im Sommer das Thermometer auf 40° im Schatten klettert. Ich muss nicht dann essen, trinken und schlafen, wenn es der Stundenplan oder das bürgerliche Empfinden vorsehen. Und sollte durch irgendein Wunder der monatliche Umsatz schon nach zwei Wochen gesichert sein, muss ich niemandem außer mir selbst erklären, warum ich weitere Projekte ablehne und es mir im Freien gemütlich mache. Ich muss das Telefon nicht abheben, wenn ich etwas Besseres vorhabe. Ich muss meine Arbeitszeit nicht absitzen, wenn die Sonne lockt – schreiben kann ich draußen oder in der Nacht.

Ich weiß nicht, ob man wirklich frei hat, wenn man mit der Stumpfsinnigkeit des pawlowschen Hundes jeden Samstag und Sonntag lediglich „nicht ins Geschäft“ muss, wenn man jeden Tag um 17 Uhr nach Hause darf, sich jeden Morgen um dieselbe Zeit aus dem Bett quälen soll … Diese Art von Freiheit wäre nichts für mich. Ich möchte vermutlich gar nicht freihaben. Frei sein ist mir wichtig.

Nachtrag vom 13.02.09
Zu diesem Thema möchte ich auf eine interessante Diskussion über den offenen Brief eines Freien verweisen.