Eine andere Zeitrechnung

Es herrscht im kreativen Raum von TextLoft eine andere Zeitrechnung, als in der Welt da draußen üblich ist. Und dies gilt sowohl im kleinen als auch im großen Maßstab.

Welchen Monat wir schreiben, weiß ich immer, zugegebenermaßen.
Nicht zuletzt, weil die Jahreszeiten, die an der großen Glaswand meines Arbeitszimmers vorbeiziehen, und ihre Begleiterscheinungen – der Wechsel des Lichts, das Blühen der ersten Tulpen, das badende Rotkehlchen, die Schwere der Geräusche in der Hitze, die nervöse Spannung der ersten Schneeflocken – für mich nicht einfach Nebensache sind. Sie sind mir wichtig, so lebenswichtig wie Atmen und Trinken.

Damit ist es um die kalendarische Genauigkeit aber auch schon geschehen. Es wäre meist ein Fehler und äußerst vergeblich, mich nach dem Tag oder dem Datum fragen. Eine solche Gliederung der Zeit ist im TextLoft fremd. Erkennbare Punkte heißen nicht „Montag“, und auch nicht „der soundsovielte Januar“. Erstreckt sich ein Auftrag etwa über zwei Wochen, besteht dieser Zeitraum aus jenen kleineren Welten, die jeweils für sich abgeschlossen sind: „Projektbeginn“, „Konzept“, „Schreiben“, „Korrekturlesen“, „Abgabetermin“. Welchen Namen oder welche Nummer jeder Tag dabei haben mag, ist nicht relevant. „Tag 3 des Schreiben-Blocks“ ist dagegen sehr wohl ein Begriff, der das Leben wirksam und fühlbar rhythmisiert. Pünktliche Lieferung ist in diesem Kalender das einzige gültige Datum.

Der Tagesablauf ist hier auch nicht das, was der sogenannte brave Bürger aus dem sprichwörtlichen Bilderbuch sich als „normal“ und gewöhnlich vorstellt, und beginnt im TextLoft erst zur landestypischen Fernsehzeit. Die Stille der Nacht unterbricht kein Telefonat, kein Eintreffen von eMails, kein Kundengespräch, konzentriertes Arbeiten ohne jede Störung wird endlich möglich. Bis 3 Uhr brennt das Licht einsam und produktiv – manchmal auch etwas länger, wenn Ideen sich unbeherrscht tummeln und den Schlaf verdrängen.
Dies hat Folgen.
Wer im Winter versucht, vor Mittag Textloft telefonisch zu erreichen, hat Glück im Unglück und darf sich angeregt, wenn auch einseitig, mit dem Anrufbeantworter unterhalten. Im Sommer kann er etwas früher mit einem persönlichen Gespräch rechnen – dem Licht und der morgendlichen Kühle sei Dank -, aber verlassen sollte er sich darauf nicht: Es ist kein Zufall, wenn meine Homepage die Öffnungszeiten mit lakonischen „14:00 bis 22:00 Uhr“ angibt. In der schönen Jahreszeit ist es zwar schade um die Sonnenaufgänge, um die klare Luft in der ersten Stunden des Tages, wenn es heiß zu werden verspricht und das Gras noch feucht und einladend riecht, aber sie sind die Kopfschmerzen nicht wert, mit denen mangelnder Schlaf bestraft wird.

Diese etwas unkonventionelle Lebensart, in der das Mittagessen in die frühen Abendstunden verlegt wird, ist nicht gewollt, nicht Image, nicht Pose, nicht Protest, nicht Ablehnung, nicht System. Sie ist Symptom. Für eine natürliche Andersartigkeit des Denkens und des Seins. Für den Freiraum, den Kreativität braucht, um sich zu entfalten. Für die Enklave, in der Texte leben.