Freiheit und Jahresbeginn

Eine der schönen Seiten des Künstlerdaseins ist für mich die Tatsache, dass es mir ermöglicht, zumindest in weiten Teilen das Gefühl der Selbstbestimmtheit aufrechtzuerhalten, das ich in den letzten Jahren des Studiums als die für mich einzig richtige Lebensform entdeckt hatte. Objektiv betrachtet arbeitet man bei weitem nicht weniger, aber das Wissen um die Möglichkeit, die eigene Zeit frei einteilen zu können, fördert nicht nur die Kreativität, sondern in sehr erheblichem Maße auch die Qualität des Ergebnisses. Will ein Absatz nicht richtig gelingen – etwa nach einer schlechten Nacht, wegen ständiger Störungen durch Telefon und Türklingel -, kann man sich ohne schlechtes Gewissen dem Fensterputzen/Kelleraufräumen oder irgendeiner anderen hirnwindungenbefreienden Tätigkeit widmen: Am folgenden Tag wird man problemlos und ganz unbemerkt 18 Stunden ohne Pause schreiben, nachdem sich Frische und Inspiration wieder eingestellt haben. Arbeit wird so nicht als Zwang empfunden, denn sie folgt sozusagen dem eigenen Biorhythmus.
Die damit verbundene Unsicherheit sehe ich als den gerechten Preis dafür, dass ich meine Jugend so künstlich ins Unendliche verlängern darf und mir den Luxus leiste, das Erwachsenwerden einfach und mutwillig zu verweigern.
Diese Freiheit ist durchaus real, aber so märchenhaft sie sich anhören mag, sie ist natürlich nicht grenzenlos. Als Selbstständige mit Verantwortungsbewusstsein für das eigene Leben muss man auch die Aufträge feiern, wie sie fallen. Pläne über Bord werfen zu müssen, gehört ebenso dazu, wie es zu verstehen, die Balance zwischen Spitzenzeiten und zu ruhigen Phasen nicht nur auszunutzen, sondern auch zu genießen.
Die ersten Wochen des Jahres, die üblicherweise von Ruhe gekennzeichnet sind und eher dazu dienen, Zeitpunkt und Umfang von Werbemaßnahmen, von freiwilligen Projekten und Pflichtaufgaben in das noch fast jungfräuliche Terminbuch einzutragen, verliefen dieses Mal ganz unerwartet. Ein unangekündigter Großauftrag, den es zudem in einer unmöglichen Rekordzeit zu bewältigen galt, riss mich aus der genussvollen und bedächtigen Planungsphase unsanft in medias res.
In solchen Fällen verschwindet die Welt außerhalb des Auftrags völlig, das Leben steht still, was sich nicht zuletzt ärgerlicherweise in Form eines immer voller werdenden Wäschekorbs offenbart. Eine Nachtschicht jagt die andere, und wenn der Spuk endlich vorbei ist, liegt alles andere brach.