Idealbild Kolumnist

Zu Hause in Ruhe sitzen und den Alltag in all seinen Nuancen erzählen. Eine Seite lang die persönliche Sicht der Dinge schildern. Mal humorvoll, mal kritisch, mal polemisch. Sein Geld damit verdienen, Persönliches preiszugeben. Aus Anekdoten poetische Texte entstehen lassen … Amerikanische Serien wie Sex and the City, 8 Simple Rules for Dating my Teenage Daughter, Suddenly Susan zeigen es überdeutlich: Der Beruf des Kolumnisten ist der ideale Beruf schlechthin. Freie Zeiteinteilung, sicheres und überdurchschnittliches Einkommen – in diesem perfekten Leben gilt die einzige Sorge der Deadline und der Frage nach dem Thema des nächsten Artikels. In unmittelbarem Kontakt zu seinen Lesern, mitten im Zeitgeschehen und dennoch ohne Hektik arbeiten zu können – wer träumt nicht davon?
In den Vereinigten Staaten ist dieses Bild nach Abstrich der dramatisch notwendigen und unvermeidlichen Überzeichnung als nicht unrealistisch zu bewerten: Kolumnisten genießen ein hohes Ansehen, sind fester Bestandteil der Medienkultur und werden entsprechend entlohnt. Zum Verständnis ihrer Arbeit gehört die Tatsache, dass sie ein festes Gehalt beziehen. Die damit verbundene Absicht ist, zum einen, dass sie so an eine Zeitung oder zumindest an einen Arbeitgeber gebunden sein sollen, was nicht zuletzt von wettbewerbstechnischem Interesse ist, zum anderen, dass sie so ihre kreative Freiheit entfalten können. Dementsprechend ist das Einkommen eines Kolumnisten durchaus solide: Das Anfangsgehalt von 17000 $ entwickelt sich sehr schnell zu einem komfortablen Betrag, der je nach Region, Ansehen und Verbreitung der Zeitung zwischen 29000 $ (in einem Provinzstädtchen bei begrenzter Leserschaft) und 60000 $ (etwa in Boston oder Chicago) erreichen kann. New Yorker Kolumnisten verdienen bis zu 80000 $. Hinzu kommen nicht unerhebliche Prämien für besonders erfolgreiche Artikelserien, die sich durch steigende Leserschaft und eine entsprechende Anzahl Leserbriefe etwa verkaufsargumentativ bei Werbepartnern verwerten lassen.
Auch wenn Louboutin-Schuhe und eine 3-Zimmer-Wohnung im Herzen Manhattans also tatsächlich der Fiktion angehören, verfügt ein amerikanischer Kolumnist im Allgemeinen also über gute Arbeitsbedingungen und eine ausreichende finanzielle Sicherheit.

Im Land der Dichter und Denker ist das Bild bei weitem nicht so erfreulich. Kolumnisten werden kaum bis gar nicht als eigene journalistische Kategorie wahrgenommen. Kolumnen werden vorzugsweise nicht Schreibenden, sondern prominenten Namen oder der Reihe nach und mehr oder minder wahllos Honorarkräften überlassen, die sie neben anderen Artikeln übernehmen müssen, wenn sie schon darauf bestehen, von ihrer Schreibe leben zu wollen. Das Ergebnis ist qualitativ entsprechend, und während Kolumnen selbst kleinerer Zeitungen in den USA nicht selten literarischen Wert haben, tut man hierzulande gut daran, sie am besten zu überlesen.

Wie ein Land seine Kolumnisten behandelt, sagt viel über sein ethisch-soziales Wertesystem und sein wirtschaftliches Selbstverständnis aus – vor allem auch über die Ansprüche des Einzelnen, was das eigene Leben betrifft.
Die USA sind als multikulturelles Land mit dem Gedanken vertraut, dass Dinge nebeneinander bestehen können und einander nichts nehmen, sondern bereichern, dass unterschiedliche Betätigungsfelder einen eigenen Wert und einen eigenen Platz in der Gesellschaft haben, dass es daher gute Gründe gibt, Geisteswissenschaftler und insbesondere Schreibende in ihrem besonderen Umfeld der Qualität ihrer Arbeit entsprechend zu bezahlen. Ihr Marktwert definiert sich nicht im Vergleich zur Automobilindustrie oder zur Lebensmittelbranche, sonder innerhalb des eigenen Kulturbetriebs.
In Deutschland haben Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder ein klares Bild dessen geschaffen, was Leistungsethik anzustreben hat und was nicht. Industrielle Produktion wurde zur neuen Tugend und ist es heute noch. Wenn von Bildung die Rede ist, sind künftige Ingenieure oder Naturwissenschaftler gemeint. Intellektuelle werden bestenfalls kritisch beäugt, gar belächelt, nicht selten in Anführungsstrichen geschrieben, Das bereits provinzielle Denken verweigert Kreativen und insbesondere Schreibenden sowohl gesellschaftliche Anerkennung als auch angemessene Bezahlung. Und so lange Kolumnisten nicht dazu beitragen, dass alle ein Auto vor der Tür und eine Mikrowelle in der Küche haben, wird es so bleiben. Ich besitze übrigens weder das eine noch das andere. Ich schreibe lieber.