08/19/13

Die Sache mit den Bildchen

Bilder beherrschen in unserer Zeit die private und berufliche Kommunikation mehr als je zuvor. Lediglich die Vorgeschichte könnte hier als Ausnahme gelten, müssten Wandmalereien nicht als Vorstufe zur Schrift verstanden werden. Anstatt Briefe werden Fotos verschickt, es wird mehr auf Pinterest oder Instagram gepostet als auf Twitter, telefoniert wird über Skype, gechattet wird nicht mehr an der Tastatur, sondern mit Webcam, ganze Lebensgeschichten werden nicht mehr in Tagebüchern, sondern auf YouTube festgehalten, und Werbeslogans werden bei weitem nicht so intensiv rezipiert wie die Filme, die sie untermauern. Rein visuelle Elemente sind so selbstverständlich geworden, dass sie als eine Art Bringschuld betrachtet werden. So fragte mich eine ältere und langjährige Kundin kürzlich, warum im ganzen Internet keine Fotos von mir zu finden seien.

In der Tat ist dies eine ganz absichtliche Vorgehensweise – geradezu eine Bekenntniserklärung.
Das TextLoft ist ein virtueller und somit geschützter Raum, ein Projekt, und soll virtuell bleiben. Im Mittelpunkt sollen weder ein konkreter Ort noch eine konkrete Person, sondern die Texte stehen. Sie sollen für sich sprechen, Assoziationen und Vorstellungen hervorrufen, sie sollen unbeeinflusst von Ablenkungen gelesen, beurteilt oder bestenfalls genossen werden. Wer sie schreibt oder wo, soll unwichtig sein und bleiben. Dies gehört ebenso zum Konzept von TextLoft wie der Name selbst – und deshalb ist sowohl von TextLoft als auch vom TextLoft die Rede.
Sicherlich mag es Interessenten geben, die sich im Zweifelsfall deshalb gegen TextLoft entscheiden. Ihr Bedürfnis, zu wissen und zu sehen, mit wem sie es zu tun haben, ist durchaus legitim, aber wenn sie nicht in der Lage sind, die Antwort auf diese Frage in meinen Texten zu finden, haben sie nicht verstanden, was TextLoft ist, und haben hier auch nichts zu suchen. Letztlich würde eine Zusammenarbeit nicht funktionieren, denn sie setzen die falschen Prioritäten. Zu den größten Komplimenten, die ich je über meine Arbeit bekommen habe, gehört der Satz „Wenn ich nicht wüsste, ob du ein Mann oder eine Frau bist – an deinen Texten würde ich es nicht merken.“ So soll es sein: Wer meine Arbeiten liest, soll nicht an mich denken oder über mich nachdenken, sondern idealerweise nur den Text genießen.
Manche werden diese Geisteshaltung sicherlich als ewig gestrig, wirtschaftlich unklug und menschlich arrogant betrachten. Es steht ihnen zu. In Wirklichkeit geht es um Selbsttreue und Selbstachtung – schlichtweg um Grenzen. Bei allem Bestreben, die eigene Existenz zu sichern, muss es erlaubt sein, zwischen Kundenfreundlichkeit einerseits und sinnloser Prostitution und Selbstverleugnung andererseits zu unterscheiden. TextLoft wurde nicht gegründet, um es jedem und allen recht zu machen, sondern um eine bestimmte Auffassung von Text auszuleben und durchzusetzen. Wird diese Linie verlassen, die das Markenzeichen von TextLoft ist, wird das ganze Projekt ad absurdum geführt, und der kaufmännische Erfolg käme in diesem Fall einem Scheitern gleich.
Es geht aber auch um Seriosität. Die systematische Einhaltung des TextLoft-Gedankens soll dafür sorgen, dass Erwartungen und Produkt im Einklang stehen. Eine Pizzeria, die Currywurst anbietet, mag mehr Umsatz erreichen, aber sie ist kaum vertrauenswürdig und als Pizzeria kaum ernst zu nehmen. Ein seriöser Gast, der ein solches Lokal betritt, würde sich zurecht verunsichert und schlecht aufgehoben fühlen. Es ist in der Textwelt nicht anders als in der Gastronomie: Wer hierherkommt, hat ein Recht darauf, zu wissen, was er bekommt.

Herrschen im TextLoft also ikonophober Starrsinn und Rechthaberei? Nein. Wer wissen will, mit wem er es zu tun hat, findet seit einiger Zeit unter ÜBER einen Kurzlebenslauf. Es ist ein akzeptabler Kompromiss: Wenn auch ein Werdegang nicht das geringste darüber sagt, ob und wie jemand schreiben kann, so ist zumindest eine textliche Antwort auf die Bildchenfrage gegeben.

NACHTRAG: Wer meinen Namen im Internet sucht, bekommt je nach Suchmaschine tatsächlich Bilder von unterschiedlichen Personen zu sehen. Teilweise handelt es sich um Kunden, für die ich geschrieben habe und die auf ihrer mit mir verlinkten Website ein Foto von sich oder eines Mitarbeiters gepostet haben, teilweise schlicht um einen Fehler der Suchmaschinen, die Inhalte fälschlicherweise miteinander verknüpfen. Ich kann es leider nicht unterbinden oder Einfluss darauf nehmen. Es steht aber fest: Es ist KEIN Bild von mir im Internet zu sehen.

07/28/13

Sommerzeit

Der Sommer ist im TextLoft wider Erwarten immer eine aufregende Zeit.
Dabei deutet zunächst nichts darauf hin. Viele Stammkunden gönnen sich eine Pause und entfliehen für ein paar Wochen dem Alltag, der eingespielte Rhythmus aus Aufträgen und Anfragen wird langsamer – als ließe er sich von Wärme und Sonne anstecken und wollte er sich herausnehmen, nach eigenem Gutdünken dahinzuplätschern und der allgemeinen Trägheit zu folgen. In der Tat könnten es ihm die Tage gleichtun und niemand würde sich darüber wundern. Am Abend, wenn Meisen und Amseln des Badens müde sind und die Terrasse freigeben, die für die kommenden Stunden zum Schreibplatz werden darf, tragen allenthalben fröhliche Stimmen, Gelächter und Musik den Duft von Holzkohle, noch heißem Kuchen und Gegrilltem ins Loft, Leben und Schreiben fühlen sich leicht an. Federleicht.
Doch die euphorische Unbeschwertheit verführt nicht nur zum Träumen. Es ist der richtige Moment, Bilanz zu ziehen, die kommenden zwölf Monate zu überblicken, Ideen niederzuschreiben, Projekte bis ins kleinste Detail durchzuplanen, Terminkalender auszufüllen, mit Überschwang Neues in Angriff zu nehmen. Akten werden umsortiert, neue Mappen beschriftet, Buchhaltung und Kundenverwaltung umorganisiert, Ordnerstrukturen auf der Computer-Festplatte gestrafft, Schreibwaren bestellt. Im Loft herrscht Aufbruchsstimmung.
Diese energiegeladenen Tage lassen durch das abergläubisch gepflegte Versprechen besserer Zeiten ein wenig vergessen, wie lange der letzte Urlaub zwischen Lavendel und blauen Wellen doch schon zurückliegt.

09/15/12

Technik & Papier

Schreibende leben oft ein wenig „anders“. Es betrifft Arbeitszeiten, Einkommensverhältnisse, soziales Umfeld und vieles mehr. Schreibende denken hier und da vielleicht auch „anders“. In einem Punkt aber unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Menschen auch: in ihrer Beziehung zu technischen Werkzeugen.
Es gibt die „Ganz-und-gar-Begeisterten“. Sie betrachten den Computer als größten Segen seit Entstehung der Schrift, wechseln alle zwei Jahre das Gerät, haben immer das neueste Betriebssystem und die neueste Software, das neueste Mobiltelefon mit Internetzugang, haben seit Jahren keine Briefmarken mehr gekauft, und ihr Terminkalender ist samt Notizbuch längst ausschließlich auf vernetzten elektronischen Gerätschaften zu finden. Interessanterweise und wider Erwarten ist dies weder alters- noch geschlechtsspezifisch. Ihre frühere Arbeitsweise mit Handschrift und/oder Schreibmaschine – so sie der entsprechenden Generation angehören – ziehen sie gern ins Lächerliche und bezeichnen sie als altmodisch, unpraktisch, ineffizient, untragbar. Berühmte Namen in dieser Kategorie sind Elfriede Jelinek und Siri Hustvedt.
Es gibt die „Gewohnheitstiere“, die ihre Schreibinstrumente niemals geändert haben. Peter Handke schreibt mit Bleistift, Paul Auster mit einer Olympia-Schreibmaschine, Günter Grass bleibt bei seiner Olivetti. Mit mangelnder Flexibilität hat diese oberflächlich betrachtet sture Treue wenig zu tun, und sie sollte auch nicht vorschnell als mangelnde Neugier gedeutet werden. In der engen Verbindung zwischen Schreibendem und Text ist das durch die Vertrautheit des Schreibgerätes gesicherte Wohlbefinden ganz entscheidend: Der Geist kann nur dann frei und gelöst arbeiten, wenn das, was er nutzt, ihm so natürlich vorkommt, dass er es vergessen kann. Zwischen der bequemen Gewohnheit des sprichwörtlichen alten Schuhs, animistischer Furcht und Qualitätskontrolle einerseits und natürlicher Verlängerung des eigenen Körpers andererseits wird das Schreibinstrument oder zumindest die Schreibtechnik zum unabdingbaren Teil des Schreibprozesses.
Dazwischen bewegen sich die „Konvertiten“, die entweder aus Vernunft oder Resignation den Wechsel zum Computer vollzogen haben. Sie nutzen ihn als Schreibmaschine, Speicherplatz und Archiv, besitzen aber dennoch einen Terminkalender und ein Adressbuch aus Papier.

Ich gehöre zugegebenermaßen zur dritten Sorte.
Als ich zu schreiben begann, war mein erstes Arbeitsgerät ein schwarzer BIC-Kugelschreiber. Was abgegeben werden musste, wurde noch einmal der Lesbarkeit halber mit dem Füller in blauer Tinte säuberlich und mit großem Zeilenabstand abgeschrieben, bevor ich es der Schreibkraft meines Vertrauens zum Abtippen gab. Gegen Ende des Studiums aber erwies sich diese Praxis immer mehr als zu zeitraubend, und ein Jahr, bevor ich promovierte, schenkte mir mein Großvater eine mechanische Olympia-Reiseschreibmaschine. Ich schrieb meine Texte weiterhin vor, konnte sie aber von da an schneller fertigstellen, da ich nicht mehr auf freie Kapazitäten anderer angewiesen war. Tippen (mit drei Fingern!) erwies sich nicht als meine Lieblingsbeschäftigung: die Finger schmerzten schnell, und letztlich war ich erleichtert, als ich mein Manuskript endlich abgeben durfte. Als sich dann nach einigen Wechselfällen des Schicksals – nicht zuletzt gesundheitlicher Natur – ergab, dass ich von der Ware „Text“ würde leben müssen, wechselte ich zu einer elektrischen Gabriele 9000 mit Korrekturtaste und leichtgängigerer Tastatur. Meine gute mechanische Olympia behielt ich aber aus Sentimentalität und als Ausweichmöglichkeit. Ich habe sie heute noch, wenn auch im Keller.
Von mir aus hätte es dabei bleiben können: Ich schrieb vor, tippte ab, und dieser Komfort eines unsichtbaren Korrekturbands schien mir absolut ausreichend. Doch nach und nach verlangten immer mehr Kunden die Abgabe der Aufträge in Form von Dateien, und ich musste mich dem für mich unverständlichen und überheblichen Diktat des Marktes beugen. Glücklicherweise wurden die Computer immer kleiner, und ich besitze heute nur noch ein Laptop, das als selbstverständliches, wenn auch nicht geliebtes Instrument sein Dasein auf meinem Schreibtisch fristet.

Vor etwa fünf Jahren beschloss ich in einem Anflug konsequenter Sparsamkeit, unnötigen Papierverbrauch abzuschaffen und den Computer nicht nur als Schreibmaschine mit dem Vorteil der beinahen Geräuschlosigkeit und zur Speicherung von Aufträgen zu nutzen, sondern auch meine bis dahin auf Papier in entsprechenden Büchern stattfindenden Buchhaltung, Kunden- und Auftragsverwaltung direkt am Computer vorzunehmen.
Glücklich wurde ich damit nicht und habe in diesem Jahr beschlossen, viele Dinge wieder auf Papier umzustellen. Es ist für mich effizienter und beruhigender.

Zunächst gibt es nichts Sichereres als Papier: Ich muss mich nicht mehrmals am Tag ängstlich fragen, ob ich wirklich genug Backups und andere Sicherheitskopien gemacht habe. Eine in ein Heft mit Kugelschreiber geschriebene Information bleibt dort für alle Zeiten geschrieben, es sei denn, das Haus würde komplett abbrennen – Kugelschreiber widersteht sogar der Wirkung von Wasser und der meisten Chemikalien.
Papier ist auch deshalb ein Sicherheitsfaktor, weil es menschliches Versagen zu einem viel größeren Teil ausschließt. Natürlich ist es auch möglich, sich auf Papier zu verschreiben. Allerdings geschieht es aber seltener, und ein Fehler wird auch schneller während des Schreibvorgangs selbst bemerkt. Zahlendreher etwa sind unwahrscheinlicher. Zudem schließt Papier alle Fehler aus, die sich aus tückischen Fehlerquellen ergeben. Wer hat nicht schon in einem Text an beliebiger Stelle die Buchstaben „dc“ eingefügt, als er die Datei schließen wollte?
Papier spart Zeit. Auch wenn es das Tippen ermöglicht, in kürzerer Zeit größere Textmengen zu erfassen, ist der Zeitgewinn in der Tat illusorisch: Nicht nur die Zeit für das Sichern der Dateien, das Kopieren auf mehrere Sticks und Festplatten muss hinzugerechnet werden, sondern es müssen auch die „Zwischenereignisse“ berücksichtigt werden. Fragt ein Programm nach Bearbeiten einer Datei, ob man die vorgenommenen Änderungen speichern möchte, während man selbst der Meinung ist, man hätte es getan, muss in mühsamer Kleinarbeit geprüft werden, was die angesprochene Änderung sein soll, ob sie gewollt war oder aus Versehen geschehen ist – möglicherweise, um festzustellen, dass nur ein Druckvorgang gemeint ist, der nichts mit dem tatsächlichen Inhalt zu tun hat. Nach einem Eintrag in ein Papierbuch wird das Buch ohne Zweifel und ohne zeitraubende Kontrolle einfach geschlossen.
Papier ist wirtschaftlicher. Wer wirklich verantwortungsbewusst mit den auf dem Computer gespeicherten Daten umgehen will, muss sie zusätzlich auf USB-Sticks und mehreren inhaltsgleichen externen Festplatten archivieren, damit sie auch wieder zugänglich werden, wenn der Computer eines schlechten Tages beschließen sollte, zu seinen Ahnen zu gehen. Zur Sicherheit empfiehlt es sich ohnehin, wirklich wichtige Dinge zudem auszudrucken. Dies gilt zum Beispiel für steuerlich relevante Unterlagen, die dem Gesetz nach „jederzeit wieder auf Papier lesbar gemacht werden können müssen“, wie mein Steuerberater es ausdrückt. Den teuren Umweg über mehrere Speichermedien und den Papierausdruck kann man sich also getrost sparen, indem/wenn man direkt mit altertümlichen Methoden arbeitet.

Mittlerweile habe ich schon vieles auf Papier zurückumgestellt. Telefonische Anfragen und mündlichen Austausch zu bestimmten Projekten etwa speichere ich nicht mehr als Datei ab, ich notiere sie wieder samt Inhalt der Besprechung in ein Moleskine-Heftchen. Ich genieße die Ruhe und die Sicherheit, die mir meine Heftchen und Bücher geben.
Mit Papier zu arbeiten, ist auch ein Weg, einen Teil des Übermaßes an Verantwortung, das heutzutage immer mehr zu unserem Leben gehört, zu entschärfen. Meine Passwörter kann niemand hacken, denn ich habe sie nicht auf dem Computer. Die Kontaktdaten meiner Kunden sind in einem Papieradressbuch und einem Holzkarteikasten „gespeichert“. Ich kann sie sogar bei Stromausfall anrufen. Alle Informationen, die ich benötige, könnte ich – überspitzt ausgedrückt -, auch im Falle einer wochenlangen weltweiten Panne der Strom- und Internetnetze einsehen. Ein gutes Gefühl.

Mein Computer ist also wieder zu dem geworden, was er einmal war: eine besonders praktische, schnelle und leise Schreibmaschine.

NACHTRAG: Zufällig gerade entdeckt: Der Mythos des papierlosen Büros

07/19/12

„Du hast Dein Hobby zum Beruf gemacht“

Schreiben kann ja jeder. Und überhaupt macht es Spaß. Wie Stricken, Malen, Töpfern auch ist es eines der so genannten „kreativen Hobbies“ und unterscheidet sich also nicht vom Glückwunschkartenbasteln.
So ist wohl zu erklären, dass jemand mir neulich mit aufrichtiger Begeisterung fröhlich entgegenwarf: „Du hast ja Glück, Du hast Dein Hobby zum Beruf gemacht! Das möchte doch jeder!“
Was mir einen Stich in die Magengegend versetzte, war nicht der unüberhörbare Neid und die leichte Missgunst, die im Unterton mitschwang. Es war das Ausmaß des Missverständnisses, das sich dahinter verbarg, das ich ohne lange Ausführungen und im Rahmen eines normalen Gespräches nicht mehr aus der Welt schaffen konnte, es war die Lebenslüge, die sie bedeutete.
Ich schreibe schon mein ganzes Leben. Ich habe schon als Kind im Grundschulalter geschrieben. Das Schreiben als Hobby zu bezeichnen, würde mir allerdings nicht im Traum einfallen. Es ist ein tief verwurzeltes Bedürfnis, so notwendig wie Essen, Schlafen und Atmung. Es ist nichts Entspannendes oder Ausgleichendes. Es ist eine anstrengende, verzehrende Sucht, die einen gleichermaßen befriedigt und erschöpft. Dass ich schreibe, ist ein Zugeständnis, das mir das Leben abgetrotzt hat und auf der Einsicht beruht, dass ich das kann und dass andere mögen, was ich schreibe. Ich habe es mir nicht ausgesucht, die Natur hat es für mich getan.
Von Hobby keine Spur.

06/6/12

Idealbild Kolumnist

Zu Hause in Ruhe sitzen und den Alltag in all seinen Nuancen erzählen. Eine Seite lang die persönliche Sicht der Dinge schildern. Mal humorvoll, mal kritisch, mal polemisch. Sein Geld damit verdienen, Persönliches preiszugeben. Aus Anekdoten poetische Texte entstehen lassen … Amerikanische Serien wie Sex and the City, 8 Simple Rules for Dating my Teenage Daughter, Suddenly Susan zeigen es überdeutlich: Der Beruf des Kolumnisten ist der ideale Beruf schlechthin. Freie Zeiteinteilung, sicheres und überdurchschnittliches Einkommen – in diesem perfekten Leben gilt die einzige Sorge der Deadline und der Frage nach dem Thema des nächsten Artikels. In unmittelbarem Kontakt zu seinen Lesern, mitten im Zeitgeschehen und dennoch ohne Hektik arbeiten zu können – wer träumt nicht davon?
In den Vereinigten Staaten ist dieses Bild nach Abstrich der dramatisch notwendigen und unvermeidlichen Überzeichnung als nicht unrealistisch zu bewerten: Kolumnisten genießen ein hohes Ansehen, sind fester Bestandteil der Medienkultur und werden entsprechend entlohnt. Zum Verständnis ihrer Arbeit gehört die Tatsache, dass sie ein festes Gehalt beziehen. Die damit verbundene Absicht ist, zum einen, dass sie so an eine Zeitung oder zumindest an einen Arbeitgeber gebunden sein sollen, was nicht zuletzt von wettbewerbstechnischem Interesse ist, zum anderen, dass sie so ihre kreative Freiheit entfalten können. Dementsprechend ist das Einkommen eines Kolumnisten durchaus solide: Das Anfangsgehalt von 17000 $ entwickelt sich sehr schnell zu einem komfortablen Betrag, der je nach Region, Ansehen und Verbreitung der Zeitung zwischen 29000 $ (in einem Provinzstädtchen bei begrenzter Leserschaft) und 60000 $ (etwa in Boston oder Chicago) erreichen kann. New Yorker Kolumnisten verdienen bis zu 80000 $. Hinzu kommen nicht unerhebliche Prämien für besonders erfolgreiche Artikelserien, die sich durch steigende Leserschaft und eine entsprechende Anzahl Leserbriefe etwa verkaufsargumentativ bei Werbepartnern verwerten lassen.
Auch wenn Louboutin-Schuhe und eine 3-Zimmer-Wohnung im Herzen Manhattans also tatsächlich der Fiktion angehören, verfügt ein amerikanischer Kolumnist im Allgemeinen also über gute Arbeitsbedingungen und eine ausreichende finanzielle Sicherheit.

Im Land der Dichter und Denker ist das Bild bei weitem nicht so erfreulich. Kolumnisten werden kaum bis gar nicht als eigene journalistische Kategorie wahrgenommen. Kolumnen werden vorzugsweise nicht Schreibenden, sondern prominenten Namen oder der Reihe nach und mehr oder minder wahllos Honorarkräften überlassen, die sie neben anderen Artikeln übernehmen müssen, wenn sie schon darauf bestehen, von ihrer Schreibe leben zu wollen. Das Ergebnis ist qualitativ entsprechend, und während Kolumnen selbst kleinerer Zeitungen in den USA nicht selten literarischen Wert haben, tut man hierzulande gut daran, sie am besten zu überlesen.

Wie ein Land seine Kolumnisten behandelt, sagt viel über sein ethisch-soziales Wertesystem und sein wirtschaftliches Selbstverständnis aus – vor allem auch über die Ansprüche des Einzelnen, was das eigene Leben betrifft.
Die USA sind als multikulturelles Land mit dem Gedanken vertraut, dass Dinge nebeneinander bestehen können und einander nichts nehmen, sondern bereichern, dass unterschiedliche Betätigungsfelder einen eigenen Wert und einen eigenen Platz in der Gesellschaft haben, dass es daher gute Gründe gibt, Geisteswissenschaftler und insbesondere Schreibende in ihrem besonderen Umfeld der Qualität ihrer Arbeit entsprechend zu bezahlen. Ihr Marktwert definiert sich nicht im Vergleich zur Automobilindustrie oder zur Lebensmittelbranche, sonder innerhalb des eigenen Kulturbetriebs.
In Deutschland haben Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder ein klares Bild dessen geschaffen, was Leistungsethik anzustreben hat und was nicht. Industrielle Produktion wurde zur neuen Tugend und ist es heute noch. Wenn von Bildung die Rede ist, sind künftige Ingenieure oder Naturwissenschaftler gemeint. Intellektuelle werden bestenfalls kritisch beäugt, gar belächelt, nicht selten in Anführungsstrichen geschrieben, Das bereits provinzielle Denken verweigert Kreativen und insbesondere Schreibenden sowohl gesellschaftliche Anerkennung als auch angemessene Bezahlung. Und so lange Kolumnisten nicht dazu beitragen, dass alle ein Auto vor der Tür und eine Mikrowelle in der Küche haben, wird es so bleiben. Ich besitze übrigens weder das eine noch das andere. Ich schreibe lieber.

01/27/12

Freiheit und Jahresbeginn

Eine der schönen Seiten des Künstlerdaseins ist für mich die Tatsache, dass es mir ermöglicht, zumindest in weiten Teilen das Gefühl der Selbstbestimmtheit aufrechtzuerhalten, das ich in den letzten Jahren des Studiums als die für mich einzig richtige Lebensform entdeckt hatte. Objektiv betrachtet arbeitet man bei weitem nicht weniger, aber das Wissen um die Möglichkeit, die eigene Zeit frei einteilen zu können, fördert nicht nur die Kreativität, sondern in sehr erheblichem Maße auch die Qualität des Ergebnisses. Will ein Absatz nicht richtig gelingen – etwa nach einer schlechten Nacht, wegen ständiger Störungen durch Telefon und Türklingel -, kann man sich ohne schlechtes Gewissen dem Fensterputzen/Kelleraufräumen oder irgendeiner anderen hirnwindungenbefreienden Tätigkeit widmen: Am folgenden Tag wird man problemlos und ganz unbemerkt 18 Stunden ohne Pause schreiben, nachdem sich Frische und Inspiration wieder eingestellt haben. Arbeit wird so nicht als Zwang empfunden, denn sie folgt sozusagen dem eigenen Biorhythmus.
Die damit verbundene Unsicherheit sehe ich als den gerechten Preis dafür, dass ich meine Jugend so künstlich ins Unendliche verlängern darf und mir den Luxus leiste, das Erwachsenwerden einfach und mutwillig zu verweigern.
Diese Freiheit ist durchaus real, aber so märchenhaft sie sich anhören mag, sie ist natürlich nicht grenzenlos. Als Selbstständige mit Verantwortungsbewusstsein für das eigene Leben muss man auch die Aufträge feiern, wie sie fallen. Pläne über Bord werfen zu müssen, gehört ebenso dazu, wie es zu verstehen, die Balance zwischen Spitzenzeiten und zu ruhigen Phasen nicht nur auszunutzen, sondern auch zu genießen.
Die ersten Wochen des Jahres, die üblicherweise von Ruhe gekennzeichnet sind und eher dazu dienen, Zeitpunkt und Umfang von Werbemaßnahmen, von freiwilligen Projekten und Pflichtaufgaben in das noch fast jungfräuliche Terminbuch einzutragen, verliefen dieses Mal ganz unerwartet. Ein unangekündigter Großauftrag, den es zudem in einer unmöglichen Rekordzeit zu bewältigen galt, riss mich aus der genussvollen und bedächtigen Planungsphase unsanft in medias res.
In solchen Fällen verschwindet die Welt außerhalb des Auftrags völlig, das Leben steht still, was sich nicht zuletzt ärgerlicherweise in Form eines immer voller werdenden Wäschekorbs offenbart. Eine Nachtschicht jagt die andere, und wenn der Spuk endlich vorbei ist, liegt alles andere brach.

10/24/10

Trakl? Oder doch Handke?

Ein amüsantes Spielchen bietet die FAZ auf der Seite https://www.faz.net/f30/aktuell/WriteLike.aspx unter dem Titel „Ich schreibe wie …“. In ein leeres Feld kann der Leser eigene Texte eingeben, und ein Algorithmus verrät ihm in Sekundenschnelle, welchem bekannten Schriftsteller sein Schreibstil am ehesten entspricht. Je länger der Text, desto genauer die Diagnose, heißt es in der Beschreibung. Natürlich handelt es sich nur um einen netten Zeitvertreib und nicht um eine wissenschaftliche Analyse – doch mein Spieltrieb war geweckt und ich musste es einfach ausprobieren. Nach Eingabe von etwa 30 Texten, von denen einige aus diesem Blog stammen und andere unveröffentlichte, private Texte waren, änderte sich das Ergebnis nicht und ich erhielt immer wieder die beiden gleichen Antworten: Bei den eher sachlichen oder fachlichen Texten erkannte das Programm eine Ähnlichkeit mit Peter Handke, alle privaten Texte und die Stimmungsbilder aus dem Blog wurden Georg Trakl zugeordnet. Nun, Thomas Mann wäre mir lieber gewesen als Peter Handke, bei dem ich etwas geknickt war. Aber Georg Trakl schmeichelte durchaus meinem geschundenen Ego. Und überhaupt: Zumindest schreibe ich nicht wie eine Frau. Und das ist die Hauptsache.

03/25/10

Umberto Eco und ich

Als wir uns vor sechseinhalb Jahren auf Wohnungssuche begaben, um den 32 m² ohne Küche zu entfliehen, die schon über ein Jahrzehnt unsere Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstätte darzustellen bemüht waren, hatten wir es nicht leicht. Selbstständige – ob Freiberufler oder Künstler – sind in einer konservativen Studenten- und Beamtenstadt als Mieter nicht gerade erwünscht, geschweige denn gefragt, und wir mussten erleben, dass auch Immobilienmakler trotz vertrauenswürdiger Umsatzzahlen eine Zusammenarbeit nicht einmal in Erwägung ziehen wollten: Ohne eine Bürgschaft betuchter Verwandter war es kaum möglich, überhaupt zu einer Besichtigung zugelassen zu werden. Solche Verwandten hatten wir nun einmal nicht, und auch wenn wir sie hätten vorweisen können, hätten wir sie nicht gebeten, wir sind schließlich längst erwachsen.
Außerdem waren die wenigsten Vermieter für den Begriff „Wohnbüro“ oder „Heimarbeit“ wirklich zu begeistern. Zu betonen, es sei damit kein Publikumsverkehr verbunden und die Kontakte zu unseren Kunden würden ausschließlich per eMail stattfinden, erwies sich als müßig: Wer den ganzen Tag in der Wohnung sei, würde sie mehr abnutzen, als ein Mieter, der tagsüber auf der Arbeit sei. Einer solchen Argumentation hat man naturgemäß wenig entgegenzusetzen.
Zu allem Überfluss suchten wir eine Wohnung in der Innenstadt, die genau unseren Vorstellungen entsprach, sprich mit vielen Wandstellflächen, ohne Dachschrägen und unzählige Winkel – klare, lineare Strukturen, wie das TextLoft sie eben mag.
So beschlossen wir, mit Kleinanzeigen in den lokalen Tageszeitungen in die Offensive zu gehen.

Um neben den vielen anderen Paaren, die mit ihrem bequemen und sicheren Festangestellten-Dasein prunken und punkten konnten, überhaupt eine Chance zu haben, setzten wir auf Originalität und Ehrlichkeit. „5000 Bücher suchen ein Zuhause„, lautete die erste, fettgedruckte Zeile unserer Anzeige. Die Anzahl der Vermieter, die sich von diesem Geständnis berühren ließen, war zugegebenermaßen nicht überwältigend, und bis auf drei mehr amüsierte als wirklich interessierte Anrufer meldete sich lediglich ein älterer Herr, der in unserem Text die versteckte Botschaft entdeckt zu haben glaubte, Menschen, die so viel lesen, würden niemals, aber auch niemals Musik hören, und wir seien für sein spießiges Zwei-Familien-Haus, in dem sich nur auf Zehenspitzen bewegt wurde, ja geradezu perfekt.
Auch wenn der Erfolg ausblieb und wir schließlich über andere Wege das – so dachten wir es damals zumindest – Gesuchte fanden, steckte hinter dem vielleicht nicht ganz alltäglichen Text nicht nur Selbstironie. Wir besitzen tatsächlich so viele Bücher – inzwischen sind es natürlich einige mehr geworden.

Aus einem Grund, der mir bis heute schleierhaft geblieben ist, scheint diese Wahrheit aber grundsätzlich besonders unglaubwürdig zu sein. Nicht selten erlebte ich, wie Menschen, die uns zum ersten Mal besuchten, staunend vor unseren zahlreichen Bücherwänden standen und fragten: „Haben Sie die etwa alle gelesen?“. Immer wieder brachte mich diese Frage arg in Bedrängnis. Warum sollte ich denn Bücher kaufen, wenn ich sie nicht lese? Und warum war es überhaupt so verwunderlich, dass jemand gern liest? Oder traute man mir selbst einfach nicht zu, so viel zu lesen? Irgendwie empfand ich die Situation immer als etwas beleidigend, und noch ehe ich mich zusammenreißen konnte, wehrte sich mein Ehrgefühl ohne mein Zutun und wider besseres Wissen auf kindischste und überflüssigste Art, indem ich den dumm Fragenden mit dem ganzen Ausmaß der Wirklichkeit konfrontierte: „Ja, und ein paar Tausend mehr dazu. Das hier sind nur die wenigen, die ich gekauft habe“. Und jedes Mal aufs Neue ärgerte ich mich im selben Augenblick über mich selbst – darüber, dass ich mich einmal mehr auf dieses Narrenspiel eingelassen hatte, darüber, dass dieser Mensch mich dazu gebracht hatte, mich so zu benehmen, als hätte ich es nötig, ihm oder mir zu beweisen, ob oder wie belesen ich sei, darüber, dass ich mich dazu hatte provozieren lassen, mich wie ein Angeber zu verhalten – obwohl die Frage, wie viele Bücher ich je gelesen habe, für mich selbst als nicht im geringsten relevant einzuordnen ist. Tatsächlich könnte ich sie nicht annähernd beantworten, ich habe nie mitgezählt und wusste auch nicht, dass man es tun sollte.

Nach dem Einzug in die neue Wohnung änderte sich die Lage. Zum einen fällt die Menge der Bücher, die wir besitzen, dank großzügiger Wandflächen, puristischer Möblierung und der Verteilung auf eine größere Anzahl an Räumen optisch etwas weniger auf. Zum anderen ersetzte ich die früheren offenen Regale durch Bücherschränke und Vitrinen, was nicht nur einen besseren Schutz vor Staub bietet und eine Aufstellung der Sekundärliteratur „in zweiter Reihe“ ermöglicht, sondern auch durch das bloße Vorhandensein von Türen die für viele wohl erschlagende Wirkung von Tonnen von Papier geschickt umspielt und versteckt.
Außerdem kamen in den letzten Jahren nicht mehr so viele neue Besucher zum TextLoft, und unsere Bekannten haben sich mittlerweile so daran gewöhnt, dass sich bei uns alles um Bücher dreht – es sind sogar in der Küche welche zu finden, die nichts mit dem Kochen zu tun haben -, dass ich sehr lange Zeit diese wohl dümmste aller diesbezüglichen Fragen nicht mehr gehört und auch nicht mehr daran gedacht habe.

Bis mein Mann mich neulich mit einem Geschenk überraschte: Umberto Ecos Streichholzbriefe, bzw. ein Teil davon, von dtv unter dem Titel Wie man mit einem Lachs verreist und andere nützliche Ratschläge zusammengestellt. Es sind köstliche Texte, und ich verbrachte einen wirklich vergnüglichen und belohnenden Abend in ihrer Gesellschaft.
Eigentlich wäre ich niemals so anmaßend gewesen, zu denken, dass mich mit Umberto Eco mehr verbinden könnte, als die Tatsache, dass ich seine Bücher wie Oasen genieße, dass ich es liebe, in seine gepflegte Sprache einzutauchen, dass ich es bereue, niemals die Gelegenheit gehabt zu haben, einer seiner Vorlesungen in Semiotik beizuwohnen – was ohnehin schon daran gescheitet wäre, dass ich kein Wort Italienisch kann.
Doch dann war da dieser eine Streichholzbrief: „Wie man eine Privatbibliothek rechtfertigt“. Ich hatte mir bei dieser Überschrift nichts Konkretes vorgestellt und las einfach mit Genuss vor mich hin, aber plötzlich traute ich meinen Augen nicht, und ein Absatz ließ mich mit offenem Mund zurück, nachdem mein Herz beinahe ausgesetzt hätte: Tatsächlich berichtet Umberto Eco darin, wie Besucher und namentlich gebildete Personen, denen man nicht unterstellen könne, sie hätten in ihrem eigenen Alltag wenig Umgang mit Büchern, beim Anblick seiner die Wohnung beherrschenden Bibliothek ihn mit erstaunlicher Regelmäßigkeit fragen, ob er all die vielen Bücher auch wirklich gelesen habe.

Es konnte nicht sein. Mich fragt man das. In Ordnung. Ich bin ein Nichts. Ein Niemand. Eine Akademikerin unter vielen. Eine kleine Textarbeiterin mitten in irgendeiner Pampa. Gut. Angenommen. Vielleicht traut man mir wirklich nichts zu.
Aber er ist Umberto Eco.
Der Umberto Eco.
Wie kann jemand Umberto Eco genau die Frage stellen, die auch mir gestellt wird? Etwas passte nicht zusammen.

Nach der ersten Verblüffung, die eher als Schrecken daherkam, tröstet mich die Parallelität der Erfahrung aufs Innigste. Wenn der große Umberto Eco diese Frage – wie er sagt – mehr als einmal und von den unterschiedlichsten Leuten gehört hatte, dann konnte ich aufhören, beleidigt zu sein oder an meinem Image zu zweifeln. Offenbar gibt es eben solche Menschen, die das Lesen als so widernatürlich empfinden, dass ihnen nicht einmal einfällt, dass es anders geht.
In Münster und in Italien.
Überall.
Und ich werde Umberto Eco immer dafür dankbar sein, dass er mir das Selbstbewusstsein zurückgeschenkt hat, mich meiner Bibliothek trotz ihres Umfangs nicht mehr zu schämen.

03/14/10

Textqualität

Jeder, der ein Auto, eine Couch, einen Anzug kaufen möchte, versteht, was es bedeutet, wenn die Werbung zu dem entsprechenden Objekt seiner Begierde in Begrifflichkeiten der Qualität ausgedrückt wird. Es ist auch nicht schwer zu begreifen. Assoziiert werden dabei sehr fassbare und messbare Daten wie Sicherheit, Langlebigkeit des Materials, Komfort, Funktionalität.

Bezieht sich das Qualitätsversprechen auf weniger materielle Dinge, stellt sich schnell heraus, dass der Kunde mangels konkreter Anhaltspunkte aus dem Alltag regelrecht überfordert ist. Für Texte zum Beispiel gibt es keine Skala, die es ermöglichen würde, Kriterien miteinander zu vergleichen. Erschwerend kommt hinzu, dass der primären Beurteilung von Texten (und oft der einzigen, die überhaupt bekannt ist), der Literaturkritik also, in der breiten Masse der Bevölkerung der Ruf der Subjektivität und der Willkür anhaftet. Negative Erinnerungen aus der Schulzeit, in denen schlechte Pädagogen es nicht vermocht haben, als ungerecht empfundene Noten im Schulaufsatz sinnvoll und nachvollziehbar zu begründen, sind schmerzhafte Narben im Gedächtnis vieler und machen es praktisch unmöglich, zu vermitteln, dass die objektive Beurteilung eines Textes in der Tat durchführbar wäre, wenn man es nur wollte.

Auf der verzweifelten Suche nach einer Möglichkeit, den Begriff „Textqualität“ zu interpretieren, greift der Kunde daher auf andere, ihm bekannte Maßstäbe zurück und reduziert sie im Allgemeinen auf Grammatik, Rechtschreibung und soziale Komponente. Ein guter Text ist demnach frei von Tippfehlern, korrekt orthografiert, weist eine den Regeln entsprechende Interpunktion auf und verzichtet auf Kraftausdrücke oder Beleidigungen. Auf diese Weise wird das, was als Mindestanforderung an einen Text anzusehen wäre, auf einmal zum einzigen Auswahl- und Bewertungskriterium.
Da aber davon auszugehen oder zumindest zu hoffen ist, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen jeder Textdienstleister diese Grundsätze erfüllt, stellt sich die Frage der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Angeboten ungelöst und immer weiter aufs Neue. Im Zweifelsfall wird die Entscheidung durch die Referenzenfrage, durch den Preis oder über den ersten persönlichen Eindruck getroffen.

Für Schreibende, die Wert darauf legen, auf hohem Niveau zu arbeiten, ergibt sich dadurch ein kaum überwindbares Problem: Eine deutliche Positionierung und eine Differenzierung von der sogenannten Konkurrenz wird auch dann mehr als nur schwierig, wenn eben diese Konkurrenz gar keine ist.

Vergleiche aus anderen Bereichen können als eine Art Erste Hilfe-Kasten angesehen werden.
Ein guter Text unterscheidet sich von einem durchschnittlichen Text wie ein Kleid von Dior von C&A-Ware, wie belgische Pralinen von Discounter-Schokolade, wie ein Diamant-Collier von Modeschmuck, wie ein Luxushotel von einer Jugendherberge.
Dieser Wink mit dem Zaunpfahl bietet zumindest einen Vorteil: Er ermöglicht eine sofortige Einordnung des potenziellen Kunden. Wer ihn versteht, wird wahrscheinlich in der Lage sein, mit einigen weiteren Erklärungen an die wirklichen Merkmale der Textqualität herangeführt zu werden. Wer ihn nicht versteht und damit argumentiert, dass er keinen Unterschied zwischen selbst gemahlenem und frisch gebrühtem Espresso einerseits und Instant-Kaffee aus dem Glas andererseits schmecke und dass man somit den Verbraucher nur düpiere, der bei gleichem Produkt für den Markennamen bezahle, darf in Begriffen der Textqualität als beratungsresistent gelten – eine schöne Umschreibung dafür, dass dieser Kunde keinen Geschmack hat und niemals welchen haben wird. Im TextLoft bedeutet dies, dass der Interessent höflich aber dezidiert hinauskomplimentiert wird.

Dabei ist eine Definition von Textqualität recht einfach und besteht aus zwei Aspekten: eine klare und übersichtliche Gliederung, eine differenzierte Sprache.

Eine sinnvolle Gliederung besteht der allgemeinen Meinung entgegen nicht aus den 3 Punkten „Einführung“, „Hauptteil“ und „Schluss“. Dieses mehr hilflose als hilfreiche Konstrukt aus der Schulzeit, das sicherstellen sollte, dass der Schüler niemals vergisst, eine Einleitung zu schreiben, und sein Text in Gottes Namen nicht wie das Hornberger Schießen ausgeht, ist zwar allgemein bekannt, hat mit der wirklichen Textarbeit aber wenig zu tun.

Eine Gliederung soll dem Leser in erster Linie als Reiseführer dienen. Er darf sich an keinem Punkt des Textes fragen müssen, wo er sich gerade befindet und was er dort überhaupt zu suchen hat.
Zudem soll der Aufbau des Gedankengangs mühelos erfasst, verstanden und verinnerlicht werden können. Die Gliederung ist ein Gerüst der Logik.

Der im TextLoft nur zu gern verwendete Vergleich mit Architektur und Innenausstattung mag für die Stammleser dieses Blogs mittlerweile etwas langweilig werden, er verdeutlicht aber sehr genau, nach welchen Kriterien die Gliederung eines Textes beurteilt werden kann und sollte. Sie ist das raum(ein)teilende Element und sollte auch als solches betrachtet werden.
Eine gut geschnittene Wohnung besteht aus klar abgegrenzten Bereichen, die einerseits eine eigene, festgelegte Funktion haben, andererseits die freie Entfaltung des Geschmacks und der Einrichtungsvorstellungen des Einzelnen unterstützen, indem unter anderem Stellflächen ausreichender Größe und viele klare, gerade Linien eine individuelle Möblierung ermöglichen. Diese Maßstäbe lassen sich auch auf eine Gliederung anwenden.

Die Einleitung eines Textes sollte wie die Diele oder der Flur einen einfachen Zugang zum gesamten Haus sowie die Öffnung und Verbindung zu allen anderen Räumen, sprich Kapiteln oder Absätzen, gewährleisten. Ungern betritt man als Erstes die Küche oder das Wohnzimmer, geschweige denn das Schlafzimmer.
Was für ein Haus selbstverständlich ist, sollte für einen Text erst recht grundlegend sein. Unklar, schlecht oder gar nicht gegliederte Texte erkennt man daran, dass weder die Funktion der einzelnen Abschnitte deutlich ist (ist das hier das Kinderzimmer oder der Abstellraum?), noch eine Grundlinie erkennbar ist. Sie verhalten sich bestenfalls wie Durchgangszimmer, in denen eine Abtrennung von Nutzbereichen nur bedingt gegeben ist oder erst mit zahlreichen Hilfsmitteln erreicht werden kann, schlimmstenfalls – ist die Gliederung überhaupt nicht vorhanden – wie ein unaufgeräumter Dachboden, in dem sich alles ungeordnet stapelt, was irgendwann vielleicht nützlich sein könnte – für eine Schnitzeljagd an einem regnerischen Novembertag ganz und gar reizvoll, aber niemand möchte dauerhaft in einem Labyrinth wohnen.

Ebenso wichtig ist der Zuschnitt – also die Form der Räume und ihr Verhältnis zueinander. Es ist kein Zufall, wenn Wohnungen, deren Zimmer in etwa gleich groß und quadratisch sind, auf dem Immobilienmarkt einen höheren Wert haben. Undurchsichtige Strukturen mit vielen Winkeln, engen Bereichen und Hindernissen werden als ungemütlich und unpraktisch empfunden.
In einem Text ist es nicht anders. Die Kapitel und Abschnitte sollten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, die freie Entfaltung des Gedankens ermöglichen und inhaltlich einwandfrei zuzuordnen sein.

Neben dem Aufbau der Wohnung ist die Inneneinrichtung von entscheidender Bedeutung. Ob der Raum eher zweckmäßig mit wahllos aufgestellten, funktionsbezogenen Gegenständen „gefüllt“ oder aber bis ins kleinste Detail feinfühlig dekoriert wird, entscheidet über den ersten Eindruck und bestimmt, ob Bewohner und Besucher sich wohl fühlen werden. Außerdem ist die Einrichtung auch repräsentatives Element und spiegelt die Einstellung, die soziale Stellung und die Vorlieben der Besitzer wider.

Nicht anders verhält es sich mit Text. Hier steht eine differenzierte Sprache für Niveau, Kultiviertheit und Lebensgefühl.
Ein guter Text unterscheidet sich von einem durchschnittlichen oder schlechten Text also nicht dadurch, dass die primitivsten Gebote der Höflichkeit eingehalten werden, und Sprachniveau ist nicht auf den Verzicht auf Rüpeleien beschränkt. Wer Rechtschreibung als Qualitätsmerkmal für einen Text zur Sprache bringt, würde den Immobilienmakler wahrscheinlich fragen, ob in der Wohnung auch wirklich eine Toilette vorhanden ist oder das Haus ein Dach hat.
Vereinfacht ausgedrückt: Sprache darf dann als differenziert aufgefasst werden, wenn Wortwahl und Satzbau ungeachtet des eigenen Geschmacks von einem breiten, kultivierten, anspruchsvollen Wortschatz und einem Sinn für subtile Nuancen und fein schattierte Unterscheidungen in der Synonymik zeugen.

Die Verbindung von Strukturen – dem Grundriss einer Wohnung und der Gliederung eines Textes – und individueller, ausgesuchter Einrichtung – stilvoller Möblierung und Dekoration und gehobenem Sprachniveau – entscheidet bei Immobilien und Text gleichermaßen über den Marktwert. Minimalanforderungen sollten nur für diejenigen eine Rolle spielen, die sich für gewöhnlich mit eben solchen begnügen.

03/7/10

Ein Text ist kein Reinigungsmittel

TextLoft wirbt mit eindeutigen Botschaften. Begriffe wie Exklusivität, Differenziertheit und Individualität stehen im Vordergrund aller PR-Maßnahmen und auch dieses Blog lässt Zweifel gar nicht erst aufkommen. Zahlreiche plastische bis drastische Vergleiche mit namhaften Vertretern der Haute-Couture und des Designs sowie konkrete Anlehnungen an Bereiche der Innenarchitektur machen deutlich, in welcher Welt sich der potenzielle Interessent hier bewegt.

Mag die wiederholte Betonung der Qualitätsmaßstäbe und des Selbstverständnisses des Unternehmens mitunter überheblich, realitätsfremd und nicht zuletzt penetrant anmuten, sie ändert nichts daran, dass auch der Textkunde heutzutage in erster Linie Verbraucher ist und als solcher längst verinnerlichte Verhaltensmuster schlecht ablegen kann. Erstaunlicherweise betrifft dies weniger die Preisverhandlungen, die in den meisten Fällen fair und angemessen verlaufen, oder die Suche nach dem günstigsten Angebot als vielmehr ein grundsätzliches Missverständnis der Ware „Text“.
Während das TextLoft durch Namen, Motto, optisches Erscheinungsbild und erklärte Positionierung eine im deutschen Sprachraum einzigartige Dienstleitung anbietet, die sich weder in Kategorien noch in Brancheneinteilungen ausdrücken lässt, geht aus vielen Anfragen hervor, dass oft weniger ein Luxusprodukt denn eine Allzweckwaffe angestrebt wird. Erzielt werden soll etwas, das sich am besten für die Homepage, verschiedene Flyer, Handzettel und Anschreiben verwenden lässt. All-in-One.

Das Anliegen ist verständlich und hat am seltensten mit ökonomischen Beweggründen zu tun.
Die Werbung zeigt es – wir können heute mit einer einzigen Flasche in der Hand Bad, Küche, Fenster, Fernseher und Möbel mit modernen Oberflächen erfolgreich von Staub und Keimen befreien und sie sogar zugleich zum Glänzen und Duften bringen.
Der Gedanke hat einen Schönheitsfehler: Ein Text ist kein Reinigungsmittel.

Flyer etwa bestehen aus einer Titelseite und fünf beschriebenen Spalten. Das Format impliziert nicht nur eine Begrenzung der Gesamtlänge, es macht auch eine ausgewogene Auf- und Verteilung der Inhalte erforderlich, die nicht nur von der Papierhöhe, sondern auch von der Reihenfolge bedingt wird, in der der Prospekt aufgefaltet und gelesen wird. Ebenso genügt es nicht, für ein Anschreiben an eine präzise Zielgruppe die eher allgemeinen Informationen einer Internet-Präsenz einfach auf Briefpapier einzukopieren. Form und Inhalt sind in der Textarbeit nicht von einander zu trennen, das Medium ist Grundlage und Kontext einer jeden Konzeptentwicklung. Auch die Wahl von Papier, Farben, Abbildungen und Schriftbild gehören zu den Faktoren des Texterfolgs. Genau so wie eine sehr schöne Frau durchaus lächerlich erscheinen kann, wenn sie overdressed ein Flüchtlingslager besucht oder underdressed auf einem offiziellen Empfang auftritt, muss der Text dem Anlass angemessen sein, für den er verwendet wird.

TextLoft bietet Texte jenseits des Alltäglichen an – Unikate und Sammlerstücke, keine für alles taugliche Sprühflasche.

05/18/09

Die Re-Writing-Lüge

Viele Textschaffende bieten eine Leistung an, die als Re-Writing bezeichnet wird. Doch worum handelt es sich genau? Die Antwort ist einfach: um etwas, was es nicht gibt.
Soll ein Text optimiert werden, handelt es sich um eine Lektoratarbeit. Ist er wirklich so schlecht, dass nichts Brauchbares damit anzufangen ist, ohne Tabula rasa zu machen, hilft es nur, die Inhalte als Stichpunkte zu betrachten und einen ganz neuen Text zu schreiben. Dies ist keine rätselhafte, besondere und eigene Leistung, sondern das, was der Texter jeden Tag tut: schreiben.
Wer ein Haus komplett abreißt und auf demselben Grundstück ein völlig neues baut, ist kein Verbesserungshandwerker, sondern ein Architekt, der seiner ganz normalen Aufgabe nachgeht, und niemand redet hier von Re-Building.

Dass der Begriff von Textarbeitern gern benutzt wird, um den Preis für eine komplexe und zeitintensive Lektoratleistung in die Höhe zu treiben, ist nachvollziehbar. Und was der Textdienstleister kann, beherrscht der Kunde wiederum schon lange – gibt er doch vor, einen fast fertigen Text vorgelegt zu haben, auch wenn nichts davon zu verwenden war.

Vergleicht man hier erneut die Textarbeit mit der Baubranche, käme das Re-Writing in etwa dem Entkernen gleich.
Eine solche Sanierungsmaßnahme mag aus wirtschaftlicher Sicht für den Bauherrn durchaus legitim sein: Der Gesamtabriss wird gespart, es muss kein Architekt beauftragt werden. Dass es sich um eine aus der (finanziellen) Not geborene Lösung, um einen Kompromiss handelt, dürfte ebenso klar sein – und meist haben die vier Wände, die man zu retten versucht, um den ökonomischen Schaden möglichst klein zu halten, selbst schon lange nicht mehr die Qualität, die ein Neubau aufweisen würde. Mit ihren Mängeln wird man leben müssen und kann nur versuchen, sie einzudämmen. Es geht hier um ein „gerade noch tauglich“, um eine letzte Rettungsaktion, die sich auch schnell als Milchmädchenrechnung erweisen kann. Ganz gleich, wie gut das Ergebnis letztlich sein mag, es handelt sich nicht um ein neues, modernes Gebäude, sondern um eine extrem aufwendige Renovierung – schlimmstenfalls mit allen Nachteilen eines Altbaus.

TextLoft versteht sich als kreativer Raum. Hier wird erdacht, erschaffen und geschrieben – und nicht aus einer Hülle mit schlechter Bausubstanz gerade noch etwas hinbekommen. Entkernen ist eine Sache der Bauunternehmer und Handwerker, nicht der Architekten und Designer.

05/3/09

TextLoft ist keine Änderungsschneiderei

Oft werde ich gefragt, ob ich einen Text lektorieren würde. Dass ich es ablehne und TextLoft auch grundsätzlich eine solche Leistung in seiner Werbung überhaupt nicht anspricht, stößt oft auf Unverständnis. Zum einen weil viele Schreibende in der Tat eine sehr breite Palette anbieten, die sich vom Texten über Korrekturlesen bis hin zu Lektorat, Re-Writing und Coaching erstreckt, zum anderen auch weil Textarbeit von den meisten ganz unreflektiert als eine Art Einheitsbrei betrachtet wird, in dem die Aufgabenbereiche nicht wirklich abgegrenzt sind.

Ein Vergleich mit anderen kreativen Berufen ist hier hilfreich: Niemand geht zu Karl Lagerfeld, um sich zeigen zu lassen, wie man Fingerhut und Nadel richtig hält, oder um löchrige Socken stopfen und einen defekten Reißverschluss ersetzen zu lassen. Nicht dass Karl Lagerfeld solchen Aufgaben nicht gewachsen wäre, es ist im Gegenteil anzunehmen, dass er das durchaus ist. Aber nähen lernen können Anfängerinnen auf der Volkshochschule, und für Reparaturen sind eher Änderungsschneidereien zuständig – deren handwerkliche Fertigkeiten in keiner Weise minder wertvoll, solide und vielseitig sind, die aber nichts mit Haute-Couture und Kreation zu tun haben. Um es in eine allgemein verständliche Sprache zu übertragen: Karl Lagerfeld wäre zwar höchstwahrscheinlich dazu in der Lage, aber es ist schlichtweg nicht sein Job, und interessieren würde es ihn auch nicht.

Wer seinen Text zur Lektorierung zu einem kreativen Schreibenden bringt, verhält sich so, als würde er mit einem Topf versalzener Suppe unter dem Arm zu einem Vier-Sterne-Koch rennen und ihn anflehen, schnell zu retten, was zu retten ist.
Natürlich kann man eine misslungene Soße manchmal noch „retten“. Einen schlechten Text auch. Doch gerade in diesem Begriff liegt auch ein Teil der Problematik: „Retten“ bedeutet, aus etwas Schlechtem, Ungenießbarem, etwas Akzeptables zu machen. Akzeptables ist aber für TextLoft kein Qualitätsmaßstab.
Aus schlechten Zutaten lässt sich kein herausragendes Gericht zaubern, aus Tiefkühl-Früchten entsteht keine aromatische Marmelade, sondern fades Discount-Einerlei. Wenn die Rohstoffe nicht stimmen, ist das Ergebnis nur mittelmäßig, das weiß schon ein Koch-Lehrling. Bei der Textarbeit lässt sich eine schlechte Ausgangsware nur durch Vertuschung, Abstriche und Flickwerk, durch Kompromisse zu etwas Brauchbarem verwandeln. Aber „essbar“ ist nicht „köstlich“. Noch einmal: Sockenstopfen ist nützlich, aber kein Mode-Design – und auch hier sollte man die sprichwörtlichen Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.

Ein guter Lektor muss zudem Eigenschaften mitbringen, die dem kreativen Schreibenden gänzlich fremd sind, ja gar seiner eigentlichen Tätigkeit im Wege stünden.
Dazu zählen zum Beispiel selbstverleugnerische Geduld und ein bewundernswertes diplomatisches Geschick. Es ist alles andere als einfach, einen Kunden, der zwar keine textpsychologischen oder stilistischen Kenntnisse besitzt aber von dem eigenen Satz so überzeugt ist, wie man es nur sein kann, eitelkeiten- und egoschonend zur Einsicht zu bringen. Es erfordert eine geradezu mütterlich-seelsorgerische Begabung, einem unbeholfenen Text positive Aspekte abzugewinnen, nur um den Kunden nicht zu verletzen. Die Wahrheit – in den meisten Fällen nämlich, dass der Text bei aller Liebe und Nachsicht den direkten Weg in die Rundablage nehmen sollte, weil er beim Leser die unangenehme Erinnerung an den typischerweise von einem Zahnarztbohrer verursachten Schmerz wachruft (das Bild von Fingernägeln auf einer Schiefertafel mag zuweilen treffender sein) – darf ein guter Lektor nicht aussprechen, er darf sie im Grunde nicht einmal denken.
Lektoratarbeit, wenn sie richtig verstanden wird, erfordert außerdem und paradoxerweiser ein erstaunliches Durchsetzungsvermögen – nicht zuletzt in kaufmännischer Hinsicht. Zu vermitteln, wie notwendig eine Textänderung ist, ist eine oft gesprächsintensive und kraftraubende Machtprobe.
Der Kreative wäre hier fehl am Platz. Er taugt zum nicht Therapeuten, er ist Künstler – auch wenn sein Schaffen abstrakter bleibt als auf die Leinwand aufgetragene Farbe.
Auch in anderer Hinsicht ist der kreative Schreibende per se ein schlechter Lektor – neigt er doch dazu, im Zweifelsfall zu glauben, dass eine stilistische Abweichung gewollt und durchdacht ist, weil er sich selbst solcher bedient. Zum Lektorat gehören – von den besagten schweren Fällen abgesehen, in denen der Text wirklich sehr schlecht und nicht zu gebrauchen ist – eine gewisse Anmaßung und der Glaube, die textliche Wahrheit gepachtet zu haben, die in der Regel der natürlichen Demut des Künstlers entgegenstehen, der allen ästhetischen Welten offen und (zu) tolerant gegenübersteht. Lektorat unterscheidet sich dahingehend von Textkritik, Rezension oder Kunstkritik, dass es die eigene Meinung nicht nur äußert und für einen Leser als Alternative und Denkanstoß vermittelt, sondern den eigenen stilistischen Geschmack subjektiv und gewaltsam durchsetzt – mit welchem Recht auch immer. Grenzfälle wie Texte von Designern oder Architekten, die ihre eigenen semantischen und stilistischen Gesetze haben, würde ein Kreativer aber als Ausdruck und Teil des Designs und des Zeitgeists betrachten und niemals zu dem machen wollen, was die allgemeine Öffentlichkeit als „richtiges“ oder „verständliches“ Deutsch betrachtet. Er wäre also für diese Aufgabe die falsche Besetzung.

TextLoft übernimmt keine Lektorat- und keine Korrektorat-Aufträge. TextLoft erschafft Texte. Weil Karl Lagerfeld keine Änderungsschneiderei betreibt.

02/9/09

Reichtümer

„Du kannst doch so gut schreiben, du kannst doch bestimmt viel Geld damit verdienen.“ Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört! Ich könnte es nicht sagen, aber wenn ich jedes Mal den sprichwörtlichen Cent dafür bekommen hätte, könnte ich mich sicher langsam zur Ruhe setzen.

Berühmte Namen von Bestseller-Autoren vornehmlich aus dem englisch-sprachigen Raum, märchenhafte Geschichten von Filmrechten und Tantiemen in fünfstelliger Höhe haben bei den meisten das ehemals verbreitete Klischee des armen Dichters vergessen und ein diametral entgegengesetzes, nicht minder extremes Bild enstehen lassen. In dieser Welt lebt der Schreibende entweder auf dem Land in einem großräumigen Haus, blickt von seinem Arbeitszimmer aus auf einen malerischen Garten voller duftender Blumen, oder er hat ein Penthouse in der Großstadt, das er in seinem eigenen Stil mit Designermöbeln oder Kunstgegenständen ausstattet und in dem er Lesungen und Partys veranstaltet.
Dass die Wahrheit nicht einmal dazwischen liegt und die Feuilletons immer wieder hervorheben, wie wenige im deutschsprachigen Raum von dem Schreibberuf leben können, tut dem Image und der idealisierten Vorstellung eines perfekten Künstlerlebens keinen Abbruch.

Möglicherweise ist es gut so. Ein Besuch in einem Vier-Sterne-Restaurant sollte Genuss sein, und was in der Küche passiert, sollte dem Gast verborgen bleiben. Wenn die Träume vom Schreiberleben einen Teil der Magie ausmachen, die mit dem Schreibenden und seinen Texten assoziiert wird, dann sollten wir uns wünschen, dass sie lange bestehen.

02/8/09

Montags im TextLoft

Im TextLoft ist der Montag der erholsamste Tag der Woche.
Die lästigen Dinge wie Buchhaltung, Auftragsverwaltung und Korrespondenz wurden am Wochenende pflichtgemäß erledigt, der Schreibtisch glänzt jungfräulich. Das TextLoft ist blank geputzt, makellos aufgeräumt, alles riecht frisch und unbeschwert. Selbst im tiefsten Winter kommt das Gefühl von Frühling auf. Es ist ein Tag ohne Altlasten. Die lange Woche erstreckt sich noch frei wie ein einladender Waldweg in Richtung Zukunft vor einem, euphorische Stimmung mutet nach Urlaub an. Es ist die Freude über das weiße leere Blatt – die Möglichkeiten scheinen unendlich. Kindliche Inspiration, eifriger Überschwang ergreifen Papier und Tastatur.
Meist bleibt es über den ganzen Tag ruhig, neue Aufträge beginnen erst wieder dienstags den elektronischen Briefkasten zu füllen. Es ist Zeit, in aller Muße dem Rotkehlchen und der Wühlmaus zuzuschauen, die in der Krokusblüte eingeschlafene Hummel zu beobachten, Zeit aufzuatmen und sich des Lebens zu freuen.

02/1/09

Eine andere Zeitrechnung

Es herrscht im kreativen Raum von TextLoft eine andere Zeitrechnung, als in der Welt da draußen üblich ist. Und dies gilt sowohl im kleinen als auch im großen Maßstab.

Welchen Monat wir schreiben, weiß ich immer, zugegebenermaßen.
Nicht zuletzt, weil die Jahreszeiten, die an der großen Glaswand meines Arbeitszimmers vorbeiziehen, und ihre Begleiterscheinungen – der Wechsel des Lichts, das Blühen der ersten Tulpen, das badende Rotkehlchen, die Schwere der Geräusche in der Hitze, die nervöse Spannung der ersten Schneeflocken – für mich nicht einfach Nebensache sind. Sie sind mir wichtig, so lebenswichtig wie Atmen und Trinken.

Damit ist es um die kalendarische Genauigkeit aber auch schon geschehen. Es wäre meist ein Fehler und äußerst vergeblich, mich nach dem Tag oder dem Datum fragen. Eine solche Gliederung der Zeit ist im TextLoft fremd. Erkennbare Punkte heißen nicht „Montag“, und auch nicht „der soundsovielte Januar“. Erstreckt sich ein Auftrag etwa über zwei Wochen, besteht dieser Zeitraum aus jenen kleineren Welten, die jeweils für sich abgeschlossen sind: „Projektbeginn“, „Konzept“, „Schreiben“, „Korrekturlesen“, „Abgabetermin“. Welchen Namen oder welche Nummer jeder Tag dabei haben mag, ist nicht relevant. „Tag 3 des Schreiben-Blocks“ ist dagegen sehr wohl ein Begriff, der das Leben wirksam und fühlbar rhythmisiert. Pünktliche Lieferung ist in diesem Kalender das einzige gültige Datum.

Der Tagesablauf ist hier auch nicht das, was der sogenannte brave Bürger aus dem sprichwörtlichen Bilderbuch sich als „normal“ und gewöhnlich vorstellt, und beginnt im TextLoft erst zur landestypischen Fernsehzeit. Die Stille der Nacht unterbricht kein Telefonat, kein Eintreffen von eMails, kein Kundengespräch, konzentriertes Arbeiten ohne jede Störung wird endlich möglich. Bis 3 Uhr brennt das Licht einsam und produktiv – manchmal auch etwas länger, wenn Ideen sich unbeherrscht tummeln und den Schlaf verdrängen.
Dies hat Folgen.
Wer im Winter versucht, vor Mittag Textloft telefonisch zu erreichen, hat Glück im Unglück und darf sich angeregt, wenn auch einseitig, mit dem Anrufbeantworter unterhalten. Im Sommer kann er etwas früher mit einem persönlichen Gespräch rechnen – dem Licht und der morgendlichen Kühle sei Dank -, aber verlassen sollte er sich darauf nicht: Es ist kein Zufall, wenn meine Homepage die Öffnungszeiten mit lakonischen „14:00 bis 22:00 Uhr“ angibt. In der schönen Jahreszeit ist es zwar schade um die Sonnenaufgänge, um die klare Luft in der ersten Stunden des Tages, wenn es heiß zu werden verspricht und das Gras noch feucht und einladend riecht, aber sie sind die Kopfschmerzen nicht wert, mit denen mangelnder Schlaf bestraft wird.

Diese etwas unkonventionelle Lebensart, in der das Mittagessen in die frühen Abendstunden verlegt wird, ist nicht gewollt, nicht Image, nicht Pose, nicht Protest, nicht Ablehnung, nicht System. Sie ist Symptom. Für eine natürliche Andersartigkeit des Denkens und des Seins. Für den Freiraum, den Kreativität braucht, um sich zu entfalten. Für die Enklave, in der Texte leben.