Saisonales Schreiben und seine Bedeutung

Obwohl ich dieses Blog schon einige Zeit führe und ziemlich genau zeige, womit ich mich beschäftige, fällt es vielen Menschen schwer, zu begreifen, was ich tue. Im Grunde genommen fällt es ihnen eher schwer zu begreifen, was ich nicht tue. Ich frage mich manchmal, wie oft in den vergangenen Jahren ich berichtigend die Sätze aussprechen musste: „Ich bin aber nicht Texterin“, „Nein, ich schreibe keine Werbeclaims“. Wenn ich jedes Mal einen Euro dafür bekommen hätte … Nun ja, Sie wissen schon …

Künstlerisches Schreiben ist eine Grenzdisziplin und wird als solche missverstanden, ja unverstanden. Es hat sicher damit zu tun, dass immer das Bekannte und Naheliegende angenommen wird. Das Ungewöhnliche braucht Erklärungen.

Ein wichtiger Aspekt, der meinen Arbeitsprozess gut verdeutlicht, ist das saisonale Schreiben.
Im Gegensatz zu Textern brauchen Künstler die sinnliche Anregung, den Augenblick, die Unmittelbarkeit der Erfahrung.
Natürlich schreibe ich zuweilen auch aus der Erinnerung an diese sinnliche Wahrnehmung heraus, aber dennoch bleibt selbst in diesem Fall die Unmittelbarkeit wichtig, und es gibt immer einen konkreten Anlass, einen Auslöser, der die Erinnerung wieder regelrecht fühlbar, spürbar zum Leben erweckt und so die Unmittelbarkeit wiederherstellt: Es kann ein Licht, eine Farbe, ein Geruch, ein Zufall, ein Erlebnis, eine Begegnung sein – ja, so lächerlich und abgedroschen es klingen mag: eine Art Madeleine.
Texter sind in der Lage – und das ist mehr als nur bewundernswert –, über „tote“ Dinge zu schreiben, d.h. über Dinge, zu denen sie keinen sinnlichen Bezug haben und für die sie sich nicht einmal interessieren. Künstler dagegen brauchen die Lebendigkeit und die Echtheit der Erfahrung, um zu malen oder zu schreiben. Daran ändert auch die Notwendigkeit von Auftragsarbeit nichts.

Saisonales und damit künstlerisches Schreiben bedeutet in erster Linie, dass dem Schreiben ein Kontext gegeben werden muss: ein Raum, ein Ort, eine Stimmung, ein fassbarer Gegenstand, ein Wunsch, eine Situation, eine eindrucksstarke Erinnerung, ein Bild, ein Gefühl.
Der Unterschied zum Texter ist dem zwischen impressionistischer Malerei und moderner kaufmännischer Illustration oder Sketchnotes sehr ähnlich. Deshalb ist der Titel meiner Website „Impressionistische Texte“*. Während ein Maler auch bei Kommissionen ab einem Foto weiterhin in einem sehr erkennbaren Stil malt, kommt der Illustrator mit dem einfachen Befehl „Malen Sie mir ein paar Tomaten“ auch ohne lebendige Vorlage zurecht und greift dabei kontextfrei auf die Sicherheit seines handwerklichen Könnens und auf in seinem (Hirn-, aber auch Muskel-)Gedächtnis gespeicherte Muster und Schablonen zurück. Auch deshalb malt der Impressionist einen situativen Hintergrund, während der moderne kaufmännische Illustrator für die Bebilderung einer Speisekarte oder eines Supermarktprospekts etwa dies nicht braucht. Dies bedeutet nicht, dass einige Illustratoren nicht auch großartige Kunstwerke schaffen, bei denen der Unterschied zwischen Malerei und Illustration mitunter schwer zu erfassen ist oder sogar verschmilzt und die dem Betrachter zu Recht größte Bewunderung und Ehrfurcht abnötigen. Die Grenzen zwischen Tierporträts, botanischer Malerei und Illustration sind je nach Qualität in der Tat sehr fließend – hier wären viele Namen bemerkenswerter Künstler zu nennen. Aber in den meisten Fällen unterscheidet sich das Anliegen eines Illustrators, dessen Aufgabe es ist, Sushi-Häppchen auf eine Preisliste zu bringen, von demjenigen eines Kunstmalers in Auftragsarbeit.

Wenn potentielle Auftraggeber begreifen, dass ein wichtiger Teil meiner Arbeit saisonal ist, dann verstehen sie besser, was ich für sie tun kann und was nicht. Ich schreibe nicht auf Knopfdruck. Das können andere sehr viel besser. Ich fühle mich in den Textraum ein und gestalte ihn so, wie ich ihn erspüre. Ich erzähle von Stimmungen, Atmosphären – und sie sind nie von ihrem Kontext gelöst. Ein Hotelfenster im Winter erzählt nicht die gleichen Geschichten wie der Liegestuhl im Sommer oder die Frühstücksterrasse im Herbst. Die Gerüche des Weihnachtsmarkts sind nicht die des Apfelsaftfestes. Auch die Geräusche vor dem Hofladen folgen dem Rhythmus der Jahreszeiten.

Alles, was das Leben – auch meiner Auftraggeber – verändert, verändert auch die Texte, die ich für sie schreibe. Weil jeder Moment an einem bestimmten Ort einzigartig ist. Das ist saisonales, impressionistisches Schreiben. Nicht Texten.

*Dieser Satz bezog sich auf den Websitestand von 2021.