Vom Duft der Freiheit

Seit im 17. Jahrhundert die ersten Schiffe exotische Bohnen über die Häfen von Venedig, London und Marseille nach Europa brachten, mag sich viel verändert haben. Die Begeisterung für das braune Getränk namens Kaffee aber bleibt ungebrochen.

Doch warum wurde aus dem duftenden Luxusprodukt mehr als nur eine geliebte Angewohnheit? Warum verkam es nie zu einer Selbstverständlichkeit? Wie konnte es einen so festen Platz in unserem Alltag finden, ohne je an Faszination zu verlieren?
Ganze Bibliotheken ließen sich mit den Veröffentlichungen füllen, die es schon zum Gegenstand hatten: Lifestyle-Bücher für den Couchtisch, Kompendien für den Connaisseur, Blogartikel, wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen – über Kaffee liest und schreibt im Grunde jeder.

Kein Wunder: Kaffee kann alles sein, und jeder entscheidet darüber, was er darin sehen will.
Der schnelle Energiekick für Zwischendurch wird für viele als Arbeitsmittel oder Werkzeug betrachtet und über seine körperlich und geistig anregende Funktion definiert. Als tröstlicher und bodenständiger Vertrauter kann er sich unkompliziert, ehrlich und verfügbar geben. Kaffee ist perfekt für den hedonistischen, überschwänglichen Lebensstil, indem er andere Genussmittel unterstützt und hervorhebt. Er begleitet jede Form von Geselligkeit – die sommerlichen Kuchenrunde am Gartentisch, das Plauderstündchen mit Freundinnen auf der Couch, die prächtige Weihnachtstafel. In unserer Vorstellung steht Kaffee nicht zuletzt für die Nostalgie eines idealen Familienlebens, und für fast jeden gehört der Duft des Morgenkaffees zu den frühesten Kindheitserinnerungen.
Kaffee ist das Sinnbild ganzer Biografien.

Kaffeegeschichten sind immer ganz persönliche Geschichten. Diese Individualität ist dank neuer Produkte in Kapseln oder im Kühlregal in den letzten Jahren noch größer geworden und verbindet Trends, die voneinander entfernter nicht sein könnten – vom gemütlichen Cocooning bis zum dynamischen Coffee to go.
Mit den Barista und der Entdeckung des Kaffees als Tinte und Farbe, der Umwandlung von Verpackungen zu Schmuck und Gemälden wurde aus einem vermeintlich alltäglichen Getränk Kunst.

Kaffee überlebt alle Moden, ohne sich wieder neu erfinden zu müssen. Er ist eine in sich wandelbare Konstante.
Es liegt wohl in erster Linie daran, dass Kaffee kein Produkt im eigentlichen Sinn ist. Kaffee hat kein festgelegtes Image und keine Zielgruppe. Vielmehr ist er ein lebendiges Rohmaterial, aus dem jeder unabhängig von sozialen Verhältnissen die Welt, die er sich wünscht, die zu ihm passt, erschaffen kann.

Der Duft von Kaffee ist also vor allem der Duft von Freiheit und Selbstbestimmung, von Träumen und Hoffnungen, von Lebensfreude und Fantasie.

TEXTDATEN:
Beispiel einer allgemeinen Betrachtung eines Alltagsprodukts als Artikel oder Einleitung für eine Zeitschrift oder ein Themenbuch.
Themenbereiche: Lifestyle, Zeitgeist, Genuss
Textart: Kolumne
Textfarben: kaffeebraun