Die Wahl des richtigen Schreibgeräts – Teil II

Teil II: Schreibgeräte sind auch nur Schuhe

Schuhe und Füllfederhalter haben vieles gemeinsam – unter anderem die Tatsache, dass sie vor dem Kauf an- bzw. ausprobiert werden sollten. Allerdings ist diese Möglichkeit im Falle des Schreibgeräts nur oberflächlich betrachtet wirklich hilfreich, denn nur die wenigsten Aspekte können, wenn überhaupt, im Geschäft erfasst werden.

Die erste Begegnung mit dem künftigen Füller sollte dazu dienen, fünf Grundkategorien der Entscheidung festzulegen: Haptik, Optik, Gewicht, Balance und Form.

Nicht jede Oberfläche fühlt sich für jeden gleichermaßen angenehm an. Es ist wichtig, unterschiedliche Materialien konkret ertasten zu dürfen, um herauszufinden, ob eher Metall, Lack, Holz oder Kunststoff als natürlich zum Schreiben gehörend empfunden werden. So kann eine erste Auswahl getroffen werden. Es ist außerdem ratsam, mehrere Füller mit der jeweiligen Haptik in der Hand zu halten, bevor man sich den weiteren Kriterien zuwenden kann.
Ein Füller ist ein Schreibwerkzeug, aber er ist auch ein Gegenstand, mit dessen Optik man sich identifizieren können muss. Es ist müßig, sich selbst im Namen von Haptik, Qualität und Komfort zu einem Schreibgerät zu überreden, das einem optisch nicht gefällt. Der Kauf eines Schreibgeräts hat eine starke gefühlsorientierte Komponente, die nicht mit aller Vernunft unterdrückt werden darf. Wie ein Parfüm ist ein Füllfederhalter auch ein Spiegelbild des eigenen Geschmacks und der eigenen Persönlichkeit, und dieser Aspekt sollte neben technischen Daten und Praxistauglichkeit niemals vergessen werden. Es ist schließlich auch nicht sinnvoll, bequeme Schuhe zu kaufen, die später im Schrank versteckt bleiben, weil sie einem peinlich sind.

Ein Schreibinstrument wird bei konsequentem Gebrauch täglich und über Stunden verwendet. Dass es in Gewicht und Form zur Hand passt und als bequem empfunden wird, ist also unerlässlich. Hier kann der potentielle Käufer allerdings bereits zu Hause durch Selbstbeobachtung mit den Schreibgeräten, mit denen er sonst mühelos umgeht, wichtige Informationen zusammentragen und grundlegende Fragen vorab beantworten: Welchen Durchmesser sollte der Füller idealerweise haben? Sollte er eher schmal oder bauchig geformt sein? Kommt der Schreiber eher mit leichteren oder mit schwereren Schreibgeräten gut zurecht? Wird die Kappe gewohnheitsmäßig aufgesteckt oder weggelassen? Fühlt sich ein langer oder ein kurzer Schaft besser an? Ist der bevorzugte Greifpunkt ganz unten oder relativ hoch am Schaft? All diese Schreibgewohnheiten, die sich auch an einem schnöden Einweg-Kugelschreiber oder Filzstift testen lassen, sind für die Auswahl des richtigen Füllfederhalters von entscheidender Bedeutung. Handgröße, Handhaltung und Fingerbeweglichkeit spielen hier eine Rolle. Einige bevorzugen schmale leichte Geräte mit verjüngtem Greifstück, andere kurvigere, stabilere Linien. Es ist absolut sinnlos, seine diesbezüglichen Bedürfnisse und Vorlieben ändern zu wollen. Dies führt zum einen zu einer verzerrten, unnatürlichen, als fremd empfundenen Handschrift, zum anderen zu körperlichen Beschwerden, die von Verkrampfungen bis zu Entzündungen reichen können – wer die falschen Schuhe kauft, bekommt ja auch Rückenschmerzen.

Grundsätzlich gilt: Das richtige Schreibgerät ist dasjenige, das man in der Hand nicht merkt, das einem den Eindruck vermittelt, als Teil des eigenen Körpers schon immer da gewesen zu sein, das unaufdringlich und selbstverständlich ist.

Diese Kriterien sollten beim ersten Kennenlernen im Geschäft im Mittelpunkt stehen. Hier ist noch etwas anzumerken: Insbesondere bei offensichtlich wenig kundigen oder geübten Kunden versuchen Verkäufer nicht selten – sei es, um guten Glaubens die eigenen theoretischen Maßstäbe des Schreibens durchzusetzen, sei es, um die mangelnde Balance eines Schreibgeräts, das sie unbedingt vermitteln möchten, zu verschleiern -, den Käufer dazu zu bringen, die Kappe auf jeden Fall aufzustecken, und führen gerne an, der Füller und überhaupt alle Füller seien dazu gedacht, dass man nur so und nicht anders damit schreibe. Die Wahrheit liegt woanders. Ein wirklich gut entwickelter und für die eigene Hand geeigneter Füllfederhalter bleibt gleichermaßen im Gleichgewicht – die sogenannte Balance -, wenn man ihn mit und ohne Kappe verwendet. Verlagert sich der Mittelpunkt des Füllers zu sehr nach vorn, wenn er ohne aufgesteckte Kappe verwendet wird, so dass die Feder nicht mehr im richtigen Winkel aufliegt und die Handhaltung unnatürlich wird, weil sie kompensieren muss, oder fühlt es sich so an, als würde der Füller mit aufgesteckter Kappe nach hinten „ziehen“ oder kippen, und muss die Hand „gegenlenken“, kann dies zwei Ursachen haben: eine grundsätzliche Fehlentwicklung (in den meisten Fällen) oder eine schwere Disharmonie zwischen der eigenen Hand und dem Schreibinstrument. Niemand sollte sich deswegen überreden lassen, die lang erworbenen Schreib- und Haltungsgewohnheiten zu ändern. Es lohnt sich, weiter zu suchen, bis man den perfekten Partner gefunden hat, und die Überheblichkeit des nur vermeintlich weisen Verkäufers sollte nicht zum Kaufargument werden.