Warum ich Notizbücher liebe

Dass Notizbücher meine besten Freunde wurden, war keine Selbstverständlichkeit und stellte sich erst relativ spät heraus.
Als ich klein war, beneidete ich immer die Schüler der höheren Klassen, die nicht angehalten waren, Hefte zu benutzen und auf lose Ringbuchblätter schreiben durften. Die losen Blätter wurden für mich zum Symbol des Erwachsenseins und der damit verbundenen Freiheit, und ich war heilfroh und stolz, als auch ich endlich in die Klassenstufen kam, in denen jeder seine Schreibmaterialien so wählen konnte, wie er wollte. Die losen Blätter wurden zur demonstrativen Form meiner ganz persönlichen Emanzipation vom Kinderdasein.
Erst nach dem Studium begann ich, die praktischen Seiten von Heften und Notizbüchern wirklich zu schätzen und auch ihre optische Geschlossenheit zu genießen. Sie sind haltbarer, es fällt nichts heraus, man muss die Seiten nicht einmal nummerieren. Allein das Heraustrennen einer unerwünschten Seite ist manchmal etwas schwieriger, aber nicht unmöglich. Es entfällt die Notwendigkeit einer Unterlage, und das Schreibgefühl ist immer gleich  – aus diesem Grund bevorzuge ich Briefpapier mittlerweile auch in Schreibblockform und meide die üblichen Schachteln.
Die gebundene Form ist etwas Unvergleichliches. Sie ist für mich viel mehr als ein rein technisches und äußerliches Merkmal. Sie gibt meinem Schreiben Halt. Sie schafft Geborgenheit  – als würde man sich in seinen Lieblingspullover einkuscheln oder in einem Lieblingssessel verkriechen. Es ist ganz egal, wo ich bin, das geschlossene Büchlein in meiner Hand oder in meiner Umhängetasche gibt mir das Gefühl, zu Hause zu sein, geschützt, sicher, fast unangreifbar. Es ist, als könnte mir nichts passieren, solange mein Notizbuch in Reichweite ist. Es ist die einzige Heimat, die ich wirklich brauche, der einzige Hafen, den ich wirklich spüre, der einzige Festpunkt, auf den ich mich verlassen kann.
In ihrer bewahrenden Eigenschaft sind Notizbücher nicht nur Archiv und Quelle. Sie sind Enklaven in unserem Alltag, das Sinnbild eines einfachen, ursprünglichen und unaufgeregten Lebens. Sie haben ihre ganz eigene Treue … und ihre ganz eigene Ehrlichkeit. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Ferne und Nähe verwandeln sie zu einem abgeschiedenen Kosmos, den wir überall hin mitnehmen können. Sie sind das Meer und die Insel zugleich.
Bis ich dies begriff, hat es verhältnismäßig lange gedauert. Umso inniger wurde diese Liebe, und meine Notizbücher, -hefte und -blöcke sind heute ein Teil meiner Selbst, unentbehrlich und selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Sie sind der sinnliche Ausdruck des Schreibens.