Daniel Mar – Dialog des weißen Blatts

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(Un peu, beaucoup – Er liebt mich, er liebt mich nicht)

Ganz unprätentiös und mit der für seine Heimatregion Poitou typischen Gastfreundlichkeit öffnet Daniel Mar seine Werkstatt. Eigentlich ist er Fotograf und hat als solcher viele Preise bekommen und zahlreiche Veröffentlichungen vorzuweisen. Aber das Papier, das ihm über lange Jahre als Untergrund und Mittel zum Zweck diente, hat nun eine neue Bestimmung gefunden. Auf der Suche nach einem Ausgleich zu der wachsenden Technisierung seines Berufs besann er sich auf die Ursprünglichkeit, die Bedeutung, die Vielfalt und das Potenzial des Materials „Papier“ und erschuf ihm eine eigene Welt.

Was dabei auf der Grundlage einer – so sagt er – wohl angeborenen Liebe zu Detail und Sorgfalt entsteht, sind Kunstwerke der besonderen Art.

Am Anfang steht nicht das Wort, sondern das weiße Blatt. „Papier, bitte!“ betitelt Daniel Mar seine Homepage und sein Kunstprojekt. Das tiefgreifende Bedürfnis nach Leere, Stille, Unberührtheit ist dabei das grundlegende Prinzip eines jeden Werkes und des künstlerischen Ansatzes überhaupt.

Und es beginnt das Zwiegespräch.
Viele Wege führen zum Ziel: der Schnitt mit dem Skalpell, die Collage, das Falten. Techniken aus aller Welt vereinen sich zu seiner eigenen.
Bald tritt die Fläche in Dialog mit der Tiefe, und aus dem Spannungsfeld zwischen der weißen Weite des Blattes und der Greifbarkeit der sich lösenden Elemente entsteht Leben. Es sind magische Schnappschüsse, der Zerbrechlichkeit des Augenblicks entrissen, eine Kunst des flüchtigen Moments – augenzwinkernd, ironisch, manchmal kritisch, aber auch und vor allem zauberhaft anrührend, verträumt, poetisch, unvergesslich.
Der Dialog, der zwischen dem Künstler und dem leeren Blatt seinen Anfang genommen hatte und in der Diskrepanz zwischen Fläche und Raum seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, setzt sich auch nach Vollendung des Werkes fort: Rinkata, die handschriftliche, beinahe kalligrafierte Botschaft an den Käufer oder Empfänger des Stücks, die versiegelt auf die Rückseite eines jeden Kastens angebracht wird, schafft eine einzigartige, unverfälschte Verbindung, Vertrautheit und Intimität zwischen Künstler und Sammler.

Bis jetzt wurde der so virtuell begonnene Austausch noch nie bis zur letzten Konsequenz fortgeführt: Während die Rinkatas bei Ausstellungseröffnungen durchaus Thema der einzelnen Gespräche mit den Interessenten werden und eine berechtigte Neugier erwecken, bleiben sie meistens ungeöffnet – aus Scheu und Scham, das Kunstwerk zu entweihen – und noch nie hat ein Käufer zum Stift gegriffen, um auf seinen ganz persönlichen Brief zu antworten. Dieser Respekt und diese in der Tat nachvollziehbare Rücksicht rührt den Künstler zwar, aber es bleibt abzuwarten, ob nicht doch eines Tages jemand den gemeinsamen emotionalen Weg mit ihm bis zum Ende beschreitet.

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(Coup de vent – Windstoß)

Die Homepage des Künstlers gibt einen faszinierenden Einblick in seine Arbeitsweise und informiert unkompliziert über sein Werk und anstehende Ausstellungen.

Papier – Tinte – Schrift dankt Herrn Mar für seine Freundlichkeit und Gesprächsbereitschaft und für seine Unterstützung im Rahmen der Redaktion dieses Artikels durch die kostenlose Bereitstellung der Abbildungen.

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(La levée est faite – Der Briefkasten wurde geleert)

Urheberrechte für die Abbildungen liegen bei Daniel Mar.