Montmorillon – eine Stadt widmet sich dem Schrifttum

Es könnte ein verschlafenes Städtchen in der tiefsten französischen Provinz sein – ein Ort wie viele andere, die sich an dem malerischen Flüsschen Gartempe entlang schmiegen. Es könnte von der schönen und ruhigen Landschaft, von den zahlreichen alten Gemäuern und der guten Küche des Poitou zehren. Es könnte sich an der eigenen Abgeschiedenheit erfreuen, sich trotzig der Globalisierung verweigern oder sich bewusst als Fluchtort für Aussteiger, Meditationshungrige und Naturliebhaber positionieren.
Doch das im Jahr 2000 hier gestartete Projekt ist mehr als nur ungewöhnlich und mutet in Zeiten virtueller Realität märchenhaft unwirklich an. Die sorgsam restaurierte mittelalterliche Altstadt ist einem einzigen Thema gewidmet: dem geschriebenen Wort.

Die Herausforderung hätte durchaus scheitern können. Aus einer gut gemeinten Initiative hätte schnell eine ungeschickte touristische Anbiederung werden können. Dass Montmorillons historisches Viertel weder zu einem peinlichen Sammelsurium von halbherzigen Antiquaren und gelangweilten Buchtrödlern noch zu einem kitschischen, rummelplatzartigen Bookland mit aufdringlichen Maskottchen und dröhnender Musik wurde, verdankt es nicht nur beeindruckenden Investitionen, einer systematischen, intelligenten und fundierten Planung und einer beispiellosen PR-Arbeit, sondern auch und vor allem einer typisch französischen Eigenschaft: der bedingungslosen Bewunderung und Liebe zu allem Schriftlichen.

Das zentrale Thema ist nicht nur das Buch – wenngleich mittlerweile zwölf Bouquinisten dort ihren Standort eröffnet haben. Ebenso im Mittelpunkt steht der ästhetische Aspekt des Schrifttums in all seinen Facetten. Kalligraphieateliers, Restaurierungswerkstätten, Buchmaler bieten ihre Werke zum Verkauf an und laden zu Workshops und Vorführungen ein. Regelmäßig werden Ausstellungen veranstaltet – und der mittelalterliche architektonische Rahmen verleiht der Atmosphäre eine zusätzliche Glaubwürdigkeit, die von der Modernität der Mittel nur noch unterstrichen wird. Häuser und Straßen sind rührend gepflegt, Ausstellungsvitrinen, Displays und Tresen im als „La Préface“, also „das Vorwort“, bezeichneten Empfangsgebäude entsprechen den neuesten Standards und zeugen von höchster Professionalität. Aus dem bis ins kleinste Detail durchdachten Konzept wurde eine eigene Welt. Die Cité de l’Ecrit ist kein Museum, sie ist eine lebendige Oase des Schreibens.
Hier türmen sich keine immergleichen verstaubten Bücherberge, hier werden die Schönheit des Geschriebenen und die wirklich empfundene Leidenschaft für Papier, Tinte und Schrift überzeugend und schlüssig gelebt.

Der Erfolg gibt dem Wagnis recht. Das Interesse sowohl von Schreibkünstlern und Antiquaren als auch von Touristen und Buchliebhabern ist auch nach neun Jahren ungebrochen. Und es ist Montmorillon zu wünschen, dass sich Investoren auch weiterhin von dieser magischen Welt werden begeistern und überzeugen lassen.